Eine Pflegerin hält die Hand eines Patienten auf einer Corona-Intensivstation

Weiterhin rund 130 Todesfälle pro Woche in BW

Warum die Corona-Toten bei der Pandemie-Bewertung scheinbar an Bedeutung verlieren

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Oliver Linsenmaier
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In BW sterben weiterhin viele Menschen an oder mit Corona. Trotzdem gibt es kaum mehr Regeln zur Eindämmung der Pandemie. Ist nun jeder selbst für sich verantwortlich?

1.221 Menschen sind zwischen dem 1. März und dem 6. Mai in Baden-Württemberg an oder mit einer Covid-19-Infektion gestorben. Das sind im Schnitt etwa 18 Menschen am Tag, pro Woche sind es 128. Und doch legen die weitgehend weggefallenen Corona-Regeln die Vermutung nahe, dass eine gewisse Anzahl von Todesfällen im Zusammenhang mit Covid-19 mittlerweile auch von der Politik in Kauf genommen wird - oder zumindest die Corona-Politik nicht mehr danach ausgerichtet ist.

Dem widerspricht Florian Mader, Sprecher des Landesgesundheitsministeriums. "Neben der Hospitalisierungsrate und der Belegung der Intensivbetten spielt die Mortalität nach wie vor eine sehr wichtige Rolle bei der Bewertung der Schwere der Erkrankungen", teilt er auf SWR-Anfrage mit. "Auch dieser Kennwert wird für die fachliche Bewertung der Infektionslage und einer entsprechenden Ableitung von Maßnahmen berücksichtigt."

Baden-Württemberg setzt alles auf die Impfung

Auf Nachfrage, an welchen politischen Maßnahmen das konkret abzulesen sei, nennt Mader eine einzige: die Impfkampagne. Auch Baden-Württemberg unternehme weiterhin "große Anstrengungen", um die Impfkampagne im Land voranzubringen. Schließlich sei die Impfung weiterhin die wichtigste Maßnahme zur Reduzierung eines schweren Krankheitsverlaufes, für eine höhere Immunität der Bevölkerung und damit ein Mittel gegen die Ausbreitung des Virus. Das Problem dabei: Aktuell lässt sich in Baden-Württemberg kaum mehr jemand impfen.

Wie wichtig das aber weiterhin wäre, zeigen die Todeszahlen. Von den 1.221 Menschen mit Todestag im März und April - der Altersdurchschnitt lag bei 84 Jahren - sind 988 wegen Covid-19 gestorben (81 Prozent). 230 von ihnen waren ungeimpft, 247 unvollständig geimpft und bei 466 gab es keine Angaben zum Impfstatus. Lediglich 45 Menschen waren vollständig geimpft und sind trotzdem an Covid-19 gestorben.

Todesfälle wegen Corona werden weniger

Noch deutlicher wird die Bedeutung der Impfung im Vergleich der aktuellen Zahlen mit denen der gesamten Pandemie. Seit Beginn vor mehr als zwei Jahren sind in Baden-Württemberg 15.871 Menschen an oder mit Covid-19 gestorben (Stand: 6. Mai). Bei 88 Prozent von ihnen wurde als Todesursache das Coronavirus angegeben, bei zehn Prozent ein anderer Grund und bei zwei Prozent ist die Ursache unbekannt. Aktuell sind es nur noch 81 Prozent, die wegen Covid-19 sterben.

Besonders aussagekräftig ist aber der Anteil der Verstorbenen im Vergleich zu den Infektionen. Zwar spielt auch die zunehmend bessere Versorgung der Infizierten in den Kliniken eine Rolle. Vor allem hat aber die aktuell dominierende, aber wohl etwas weniger gefährliche Omikron-Variante und eben die Impfung das Geschehen massiv verändert.

Nur noch 0,1 Prozent der Infizierten sterben

Starben zu Beginn der Pandemie zeitweise bis zu sieben Prozent der erfassten Infizierten, lag der Anteil der verstorbenen Covid-19-Fälle zwischen Anfang Dezember 2020 und Mitte Januar 2021 - in der Phase mit den höchsten übermittelten Covid-19-Todesfällen pro Tag - nur noch bei drei Prozent. Im Herbst 2021 war es noch ein Prozent. Seit der 3. Kalenderwoche in 2022 liegt der Anteil der Verstorbenen bei den erfassten Covid-19-Fällen unter 0,1 Prozent - trotz der enorm hohen Infektionszahlen, die zudem längst nicht mehr alle erfasst werden.

Und doch sterben weiterhin jeden Tag Menschen an Covid-19. Die Erklärung vom Gesundheitsministerium dazu: "Leider gibt es in Baden-Württemberg nach wie vor Menschen ohne vollen oder aufgefrischten Impfschutz gegen Covid-19. Außerdem stellen bestimmte Vorerkrankungen, die vor allem bei älteren Personen häufiger vorliegen, ein erhöhtes Risiko dar an Covid-19 schwer zu erkranken und sogar zu versterben", sagt Mader.

Gesundheitsministerium nimmt die Bevölkerung in die Pflicht

Umso größer ist die Bedeutung, die das Gesundheitsministerium der Impfung beimisst. Gerade die Auffrischungsimpfungen für Risikogruppen und ältere Menschen ab 70 Jahren seien besonders wichtig, um gut durch den kommenden Herbst und Winter zu kommen. Da die von der Landesregierung befürwortete Impfpflicht aber nicht gekommen sei, sieht sich das Gesundheitsministerium - auch mit Blick auf die täglichen Todesfälle - aber nur noch bedingt in der Pflicht:

"Mit der Aufhebung der weitgehenden Schutzmaßnamen des Staates ist nun jede Bürgerin und jeder Bürger selbst verantwortlich, sich zu schützen. Die Impfung ist das wesentliche Schutzinstrument."

Allerdings will das Land dafür das passende Angebot schaffen. Damit sich noch mehr Menschen in Baden-Württemberg impfen lassen, hat das Gesundheitsministerium eine neue Strategie aufgelegt. Gerade der Zugang zu Terminen soll dadurch vereinfacht werden.

Dass die Todesfälle in der breiten Öffentlichkeit kaum mehr diskutiert werden, könnte im Übrigen auch daran liegen, dass sie nur noch wenig über den aktuellen Stand der Pandemie aussagen. Letzteres bestätigt SWR-Datenjournalist Michael Kreil. Lange Zeit konnte aus der Sieben-Tage-Inzidenz abgelesen werden, wie viele Menschen in der Folge sterben werden. Theoretisch konnte man damals also auch von den Todesfällen ausgehend rückwirkend recht exakt sagen, wo sich die Pandemie wenige Wochen zuvor befunden hatte. Das könnte in der aktuellen Phase durchaus hilfreich bei der Bewertung sein.

Doch mit dem Bedeutungsverlust der Sieben-Tage-Inzidenz fiel auch das Verhältnis zu den Todesfällen in sich zusammen - und damit auch die Aussagekraft für die Pandemie. "Statistisch gesehen, ist es nun sehr viel schwieriger Aussagen zu treffen", sagt Kreil.

Erfassung der Todesfälle hinkt teilweise wochenlang hinterher

Hinzu kommt, dass die vermeintlich aktuellen Todeszahlen gar nicht so aktuell sind. Das Robert Koch-Institut (RKI) gibt die Zahl der Verstorben an, die an diesem Tag gemeldet wurden und nicht die, die an diesem Tag verstorben sind. Teilweise würden mehrere Tage oder gar Wochen zwischen dem Todestag und der Erfassung bei den Gesundheitsämtern liegen, meint der Datenexperte.

Das belegen auch die Zahlen. Offiziell erfasst wurden zwischen dem 1. März und dem 6. Mai 1.568 Todesfälle. Das Gesundheitsministerium spricht aber "nur" von 1.221 Toten. Die Erklärung für die Differenz: Die 1.221 Todesfälle richten sich nach dem tatsächlichen Sterbedatum. Die 1.568 Verstorbenen wurden nur im Zeitraum vom 1. März und 6. Mai erfasst. Demnach sind 347 Menschen in Baden-Württemberg bereits vor dem 1. März gestorben, wurden aber erst danach erfasst.

Diese Grafik zeigt die Todesfälle nach Erfassungstagen, und nicht den Todestagen:

"Eigentlich ist die Anzahl an Todesfällen statistisch gesehen von allen Messwerten der beste. Aber er hinkt auch am weitesten hinterher", sagt Kreil. "Man kann sehr viel aus diesen Zahlen herauslesen, aber leider nicht zum aktuellen Stand der Pandemie."