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Verdrängte Corona-Impfschäden – Schwere Einzelfälle, wenig Forschung

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Volkart Wildermuth
Volkart Wildermuth (Foto: Privat)
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Candy Sauer

Ein Impfschaden ist schwer nachzuweisen, denn vielleicht liegt eine unerkannte Vorerkrankung vor, die die Beschwerden verursacht. Betroffene fühlen sich oft alleingelassen. Experten sehen Forschungsbedarf.

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Nutzen der Coronaimpfung überwiegt die Risiken

Die Coronaimpfung ist ein großer Erfolg. Ihr Nutzen überwiegt bei Weitem die Risiken, das belegt die Zusammenfassung der Daten durch die Ständige Impfkommission (STIKO). Aber der Schutz der Vielen vor Corona hat seinen Preis. In der Statistik verschwinden die Einzelfälle.

Impfkomplikationen lassen sich nur über Statistik belegen

Zu 99 Prozent, höchstwahrscheinlich, hat die Coronaimpfung die schweren Symptome von Dennis Riehle ausgelöst. Aber zu 100 Prozent? Da kann niemand sicher sein. Das ist das Paradox der Impfkomplikationen: Sie lassen sich nur über die Statistik belegen, fast nie beim Einzelfall. Für die Statistik ist bei den Impfungen in Deutschland das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen zuständig. Wenn es nach einer Impfung gesundheitliche Probleme gibt, sind Ärzte und Ärztinnen verpflichtet, sie dem PEI zu melden. Aber auch für die Betroffenen gibt es ein entsprechendes Internetportal.

"Da haben wir etwa 250.000 Verdachtsfall-Meldung bekommen. Bei knapp 150 Millionen Impfungen."

So fasst PEI-Präsident Prof. Klaus Cichutek die Zahlen bis Ende 2021 zusammen. Das sind 100-mal mehr Meldungen als bei anderen Impfungen. Dafür gibt es zwei Gründe:

  1. Noch nie wurden so viele Menschen in so kurzer Zeit geimpft.
  2. Die Öffentlichkeit war wohl noch nie so aufmerksam.

Am häufigsten wird von sogenannten "Impfreaktionen" berichtet: Schmerzen an der Einstichstelle, grippeähnliche Symptome. Sie sind oft heftiger als bei anderen Impfungen, aber sie verschwinden nach ein paar Tagen. Im Grunde belegen sie, dass die Impfung wirkt und das Immunsystem aktiviert.

Impfkomplikationen bei etwa 10.000 bis 17.000 Geimpften

Dann gibt es die echten Impfkomplikationen: ungewöhnliche und schwerwiegendere Gesundheitsfolgen. Etwa der anaphylaktische Schock – eine lebensgefährliche allergische Reaktion. Dieses Problem war schon in den Zulassungsstudien mit mehreren zehntausend Personen aufgefallen.

Trotzdem konnte klar belegt werden: Die Impfungen senken die Zahl der schweren Coronaverläufe und die der Todesfälle deutlich. Der Nutzen überwiegt die Risiken.

"Die schwerwiegenden Nebenwirkungen, die wir aufgrund der millionenfachen und weltweit milliardenfachen Impfung inzwischen sehr genau kennen, bewegen sich im Bereich unter zehn Fällen pro 100.000 Impfungen, sind auch sehr gut erfasst und insofern sehr selten."

Bei inzwischen über 170 Millionen verimpften Dosen wären das zwischen 10.000 und 17.000 schwer Betroffene in Deutschland. Bei den Vektorimpfstoffen von AstraZeneca und Johnson & Johnson kann es zu lebensgefährlichen Sinusvenenthrombosen kommen. Bei den mRNA-Impfstoffen gibt es ein erhöhtes Risiko für Entzündungen am Herzen.

Die Sinusvenenthrombosen traten vor allem bei jüngeren Menschen auf, sodass für sie mRNA-Impfstoffe empfohlen wurden. Die gefährlichen Nebenwirkungen stehen im Kleingedruckten der Impfungen, werden aber meist ausgeblendet.

Impfstoffe werden gut überwacht

Anders als Medikamente werden Impfstoffe nicht bereits Erkrankten gegeben, sondern gesunden Personen und das millionenfach. Deshalb müssen Impfstoffe noch verträglicher sein als Medikamente. Und deshalb werden sie durch das Paul-Ehrlich-Institut besonders genau überwacht.

An der Uniklinik Marburg wurde eine Anlaufstelle namens "PostVac" eingerichtet für gesundheitliche Beschwerden nach der Impfung. Dort untersucht ein Team um den Kardiologen Prof. Bernhard Schieffer jeden Tag rund acht Menschen.

"Wir sind wirklich erstaunt darüber, wie viele Patienten wir präsentiert bekommen, auch von Kollegen überwiesen bekommen aus der ganzen Republik, die einen diagnostischen Leidensweg hinter sich haben über viele Wochen und Monate und die Hilfe suchen, weil keiner weiß, wie er ihnen helfen kann."

Post-Vac-Beschwerden erinnern an Long-Covid-Beschwerden

Betroffene berichteten oft von Erschöpfungszuständen, häufig kam es auch zu Dauerschmerzen oder eine Verlangsamung des Denkens. Das erinnert an die Beschwerden bei Long-Covid.

Doch noch ist unklar, ob die Post-Vac-Beschwerden wirklich mit der Impfung zusammenhängen. Das Problem erläutert der Berliner Neurologie-Professor Harald Prüß, der an der Abteilung Experimentelle Neurologie der Charité viele Betroffene sieht, an einem Beispiel: Jeden Tag erhalten in Deutschland 30 Personen die Diagnose Multiple Sklerose. In der Impfkampagne wurden zum Teil über eine Millionen Menschen am Tag geimpft. Da könnten scheinbare Zusammenhänge entstehen.

"Wenn ich zum Beispiel nächste Woche die Diagnose Multiple Sklerose bekäme, und ich hätte diese Woche eine Impfung bekommen, da wäre ich auch absolut davon überzeugt: Da muss doch ein Zusammenhang sein. – Aber die Frage ist: Gehöre ich nicht vielleicht doch zu den 30 am Tag, die diese Diagnose eben in jedem Fall bekommen hätten? Ist da wirklich ein Impfzusammenhang? Das macht es so schwierig."

Harald Prüß verweist auf eine repräsentative Studie aus Großbritannien, in der über 20.000 Personen nach ihren Gesundheitsproblemen gefragt wurden. Über drei Prozent der Menschen berichteten von länger anhaltenden Symptomen. Ganz offenbar gibt es in der Bevölkerung eine unsichtbare Gruppe, die durch die diagnostischen Raster fällt, weil jede Arztpraxis nur die Einzelfälle sieht. Unter der Überschrift Long-Covid oder PostVac finden sich die Betroffenen und werden sichtbar.

"Die allermeisten meiner Kolleginnen und Kollegen nehmen die Beschwerden natürlich ernst. Unabhängig von der Frage, ob die Impfung oder etwas anderes die Ursache ist, muss man der Sache auf den Grund gehen und verstehen: Wo kommt das her?"

Während ihrer Krankheit suchte die Betroffene Selina Kaiser Hilfe beim Paul-Ehrlich-Institut und dem Robert-Koch-Institut, die in der Öffentlichkeit als wissenschaftliches Gesicht der Impfkampagne wahrgenommen werden.

Offen über Probleme sprechen und Patientinnen und Patienten ernst nehmen

Auf ihre Anfragen erhielt Selina Kaiser formale Antwortschreiben. Den Instituten geht es um die Gesundheit und Sicherheit der Vielen, für die konkrete Hilfestellung im Einzelfall sind sie schlicht nicht zuständig.

Der Betroffene Dennis Riehle hat den Eindruck, dass sich die offiziellen Instanzen wegducken, schweigen, um nur ja keine Angriffsfläche für Impfgegner zu bieten.

"Ich habe weder beim Bundesgesundheitsministerium noch bei den Parteien, die ich alle angeschrieben habe, irgendeine substanzielle Antwort erhalten. Ich bin kein Impfgegner und mir ist einfach nur wichtig, dass man auch dort bei der Politik und bei den Behörden weiß, dass es zu solchen Impfkomplikationen kommen kann und dass man damit auch ehrlich umgeht."

Prof. Philipp Osten, Medizinhistoriker, Universitätsklinikum HH-Eppendorf, sagt:

"In der Öffentlichkeit sollte meines Erachtens so offen wie möglich über diese Probleme gesprochen werden. Das ist sicherlich nicht einfach, weil es Ängste schürt. Aber auf der anderen Seite, wenn wir von mündigen Patientinnen und Patienten sprechen, dann müssen wir auch offen mit diesem Problem umgehen."

Verstärkt die Impfung bereits bestehende Gesundheitsprobleme?

Prof. Bernhard Schieffer von der PostVac-Ambulanz in Marburg vermutet, dass die Impfung in seltenen Fällen schon vorher bestehende Gesundheitsprobleme verstärkt. Das können verborgene Infektionen sein oder entzündliche Krankheiten wie Rheuma oder Schuppenflechte. Diagnosen, mit denen die Ärzte umgehen können.

"Die Prognose, die man sagen kann, ist, dass es, wenn man die Ursachenforschung intensiv betreibt – das heißt wirklich Detektivarbeit betreibt, und die Ursache versucht zu behandeln – kommt es nahezu in der Hälfte der Patienten zu einem Wiederherstellen des Status des Wohlbefindens und der Lebensqualität vorher."

Soziales Entschädigungsrecht ist im Bundesversorgungsgesetz geregelt 

Es bleiben aber die anderen 50 Prozent: Bei diesen Patientinnen und Patienten stellt sich das Wohlbefinden nicht wieder ein. In solchen Fällen gibt es seit den 1950ern Hilfsmöglichkeiten, erläutert der Medizinhistoriker Philipp Osten.

"Da werden Personen, die Impfschäden erleiden, entschädigt nach dem Bundesversorgungsgesetz. Das ist eigentlich ein Gesetz, was gedacht ist, um Menschen nach Kriegsschäden zu entschädigen, also Menschen, die als Soldaten tätig waren oder durch Kriegseinwirkungen zu Schaden gekommen sind."

Baden-Württemberg zahlt jährlich rund 17 Millionen Euro an Impfgeschädigte

Jedes Jahr gibt beispielsweise das Land Baden-Württemberg zwischen 16 und 17 Millionen Euro für die Folgen von Impfschäden aus. Damit werden Behandlungen bezahlt, und wenn die Beschwerden dauerhaft sind, auch Renten und ein Ausgleich für Verdienstausfälle. Mehr als die Hälfte der Rentenzahlungen geht an Personen, die heute mit über 60 noch an den Folgen ihrer Pockenimpfung im Kindesalter leiden.

Dr. Stefanie Franke leitet das Referat Ärztlicher Dienst für Versorgung und Teilhabe im Regierungspräsidium Stuttgart. Sie hat derzeit deutlich mehr zu tun, die Zahl der Anträge hat sich 2021 etwa vervierfacht.

Die Beurteilung ist aufwändig. Stefanie Franke guckt sich Arztbriefe und Klinikunterlagen an, analysiert Laborwerte und fragt nach. Einfach zu bewerten sind Gesundheitsschäden, die in den Daten des Paul-Ehrlich-Institutes schon häufiger beobachtet wurden. Aber darauf allein verlässt sich Stefanie Franke nicht. Im Infektionsschutzgesetz heißt es: Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens genügt „die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs“.

"Für uns entscheidend ist die konkrete Situation der Antragsstellenden. Also auch wenn das Paul-Ehrlich-Institut das Risikosignal nicht sieht, ist es durchaus möglich, dass wir es bei unseren Ermittlungen sehen, es gibt eigentlich keinen anderen Grund, warum diese Gesundheitsstörung entstanden sein soll."

Stefanie Franke geht davon aus, dass Baden-Württemberg allein aufgrund der hohen Zahl an Coronaimpfungen in Zukunft mehr Geld für die Unterstützung von Impfgeschädigten bezahlen muss. Im Vergleich der Gesamtkosten der Pandemie ein eher kleiner Posten. Denn die Impfschäden sind immer noch sehr selten, auch wenn weiterhin anderes behauptet wird.

Bundesweit gibt es inzwischen über 1.600 Anträge. Häufig geht es um die Folgen von Herzmuskelentzündungen oder Thrombosen durch die Corona-Impfung. Aber auch um Nervenleiden, Lähmungen, Schmerzen und eine niederdrückende Erschöpfung.

Impfregister und Ombudsperson könnten künftig hilfreich sein

Keine Impfung ist besser untersucht als die Coronaimpfung. Eine Unsicherheit bleibt jedoch bei den extrem seltenen Problemen, die für die Betroffenen oft dramatisch sein können. In Zukunft könnte hier ein Impfregister für mehr Klarheit sorgen. Ob das mit dem deutschen Datenschutz vereinbar ist, muss sich zeigen.

So bleibt weiter unklar, ob die Beschwerden von Selina Kaiser und Dennis Riehle wirklich auf die Impfungen zurückgehen oder ob es andere Ursachen gibt.

Die Betroffenen stehen mit ihrem tragischen Einzelschicksal oft allein da, müssen selbst den Weg zu den richtigen Anlaufstellen finden. Es fehlt so etwas wie eine leicht erreichbare Ombudsperson, die ihre Interessen vertritt.

Prozess gegen Biontech verschoben Deshalb ist der Nachweis von Impfschäden schwierig

In Hamburg sollte der erste Zivilprozess gegen Biontech wegen Impfschäden beginnen. Aufgrund eines Befangenheitsantrages, den der Anwalt der Klägerin jetzt eingereicht hat, wurde er nun kurzfristig verschoben.

Corona-Pandemie So meldet man Nebenwirkungen nach einer Covid-19 Impfung

Wer Nebenwirkungen im Zusammenhang mit einer Impfung bemerkt, sollte diese auf jeden Fall melden. Ob Online oder per Telefon - es gibt mittlerweile verschiedene Wege, wie das gehen kann. Erstmals in Deutschland wird auch eine App, SafeVac, eingesetzt, um den Zustand der Patienten zu erfragen.

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