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Solo-Sex – Masturbation als Selbstfürsorge

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Silvia Plahl
Silvia Plahl (Foto: SWR, privat)

Masturbation gehört für immer mehr Menschen zu einer zufriedenstellenden Sexualität. Wer den eigenen Körper erforscht, weiß genauer, was guttut. Mädchen sind bislang am zurückhaltendsten.

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Körper profitiert vom Solo-Sex

Dass Masturbation eine Einschlafhilfe sein kann, gilt als wissenschaftlich anerkannt. Studien zeigen, dass die sexuelle Erregung das Immunsystem stärken kann. Dabei werden die beiden Hormone und Neurotransmitter Oxytocin und Dopamin aktiviert, die für positive Empfindungen und Entspannung sorgen. Die Blutdruckwerte und das stressauslösende Cortisol hingegen sinken.

Frauen und Männer können in vielerlei Hinsicht körperlich vom Solo-Sex profitieren, sagt der Kölner Urologe Friedrich Moll: Stressabbau, Spannungslösung, Schmerzlinderung. Er zählt auf:

"Zum Beispiel für Monatsschmerzen oder Kopfschmerzen. Und rein urologisch Blasenentzündung und Harninkontinenz durch Stärkung des Beckenbodens."

Wie auf die Sexualität im Allgemeinen hatten und haben Kultur und Gesellschaft einen ebenso großen Einfluss darauf, ob die Selbstbefriedigung akzeptiert oder abgelehnt wird. Friedrich Moll ist auch Wissenschaftshistoriker und forscht an der Universität Düsseldorf zur Geschichte der Sexualmedizin. Wie wurde in der Vergangenheit über die Masturbation kommuniziert?

"Bei Griechen und Römern durfte es die Onanie nur im öffentlichen Raum nicht geben. Ansonsten wurde die Sexualität als etwas Natürliches sehr frei behandelt."

Selbstbefriedigung in Religion und Philosophie

Der Islam und das Judentum werten die Selbstbefriedigung bis heute als verbotene Handlung. – Das europäische Christentum widmete ihr zunächst wenig Aufmerksamkeit, das änderte sich jedoch ab dem Mittelalter. Der Kirchenlehrer Thomas von Aquin etwa stufte sie als "Sünde der Wollust" ein: eine Verweichlichung, unkeusch und wider die Natur.

Endgültig tabuisiert wurde das Masturbieren mit der Aufklärung, von Freidenkern wie Rousseau, Voltaire oder Immanuel Kant. Kant hatte im Sinn, die Menschen von religiösen Fesseln zu befreien, gleichzeitig propagierte er aber die absolute Eigenmoral und Eigendisziplin jedes Menschen.

"Kant sah die Selbstbefriedigung und die Masturbation als eine sittliche Verfehlung an, denn für ihn war der natürliche Zweck des Sexualtriebes immer auf die Fortpflanzung ganz allgemein gerichtet. Und er sah damit eine Verletzung der Pflichten des Menschen gegen sich selber. Weil er das nur zur eigenen Verwirklichung seiner eigenen inneren Triebe brauchte. "

Parallel dazu begann der Schweizer Arzt Samuel Auguste Tissot, die Masturbation zu pathologisieren und listete auszehrende Krankheiten auf, die durch die "Selbstbefleckung" fast unweigerlich zum Tod führen würden. Die Vorstellung des Christentums von Laster und Sünde seien in medizinische Diagnosen umgewandelt worden, sagt Friedrich Moll. Und ein ursprünglich theologisches "Schimpfwort" wie Perversion gelangte in die Sprache der Wissenschaft. Im Alltag wurden Salben und Tinkturen angerührt, Korsagen und Keuschheitsgürtel bei Mädchen und Jungen angelegt.

Die weibliche Klitoris erklärte der belgische Biologe Eduard Van Benenden 1875 zu einem überflüssigen Organ, das Hysterie, Epilepsie und andere Formen des Wahnsinns verursachen könne.

Anfang des 20. Jahrhunderts gestand der Psychoanalytiker Sigmund Freud zumindest den Heranwachsenden ein "autoerotisches Verhalten" zu, wie er es nannte – als wichtiges Element für ihre sexuelle Entwicklung. Erst 1948 räumte schließlich der amerikanische Wissenschaftler Alfred Kinsey mit vielen Klischees auf: In seinem Sexualreport schrieb er, neun von zehn Männern masturbierten, bei den Frauen seien es 60 Prozent. Auch die 68er-Bewegung" brach weitere Tabus und verlangte mehr individuelle sexuelle Freiheit.

NoFap-Bewegung

Das US-amerikanische Internetforum "NoFap" zielt darauf ab, keine Pornos zu schauen, nicht zu masturbieren und sexuell abstinent zu bleiben. Die dazu empfohlenen Aktionen seien oft riskant, warnt der Urologe Friedrich Moll:

"So Techniken, das erigierte Glied auf den Tisch zu schlagen und sich eine Penisfraktur zuzuziehen, ist auf jeden Fall eine Problematisierung. Man hatte ja die Onanie medikalisiert, weil Säfte verschwendet wurden. Und genau solche Konzepte kommen heute wieder: Ich onaniere nicht und habe letztlich eine bessere Sexualität und einen höheren Testosteronspiegel."

Weibliche Finger berühren sich in einer frischen reifen Wassermelonenfrucht auf einem rasengrünen Hintergrund (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / Zoonar | Iaroslav Danylchenko phoographer)
Besser als Vibrator und Liebeskugeln können beim Solo-Sex die Hände sein

Sexspielzeug

Im Hinblick auf Sex-Toys gibt die Sexologin Jill Tammling ein paar Dinge zu bedenken – denn vor allem Frauen greifen verstärkt nach Vibratoren, Dildos oder Liebeskugeln. Um einen Orgasmus zu erzielen, sei Sexspielzeug sehr effektiv, sagt die Sexologin.

"Aber um seinen weiblichen Innenraum kennenzulernen und herauszufinden, wie die Aufnahmefähigkeit ist, dieses in sich hinein Spüren, wie weit man ist und wie tief man sein kann und was Sexualität alles mit einem machen kann, da hilft Sexspielzeug kaum, weil es immer nur an den Oberflächen-Rezeptoren ist."

Aber was ist besser als Vibrator oder Liebeskugeln? Jill Tammling ist sich sicher:

"Meiner Meinung nach sind die Hände das beste Spielzeug."

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