Um 1985

Volkspolizei-Schulung: Gesprächsführung bei Ausreisewilligen

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SWR2 Archivradio

Wie spricht man mit Ausreisewilligen? Wie entlockt man ihnen geschickt Informationen? Das ist Thema eines Vortrags vor Volkspolizisten. Wichtig: Gefühle sind erlaubt!

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Dieser Originalton dreht sich um Strategien und Taktiken, mit einer von der DDR-Führung als besonders schwierig angesehenen Bevölkerungsgruppe umzugehen, nämlich den Menschen, die einen Ausreiseantrag in den Westen stellten. Diese „Genossen“ vertrauten dem politischen System nicht, waren also Aussteiger. Würde man die Ausreise genehmigen, könnten sie dem politischen Gegner, eben der BRD, durch ihre Kenntnisse in die Hände spielen.

Der Vortrag von „Genosse Oberstleutnant Dr. Fendel“ (vielleicht auch Vendel oder Wendel; der Name ist auf dem Band nicht notiert) gibt den anwesenden Stasi-Kollegen psychologische Tipps im Umgang mit Ausreisewilligen und macht dabei keinen Hehl daraus, dass die wachsende Zahl der Antragsteller ein großes Problem für die DDR darstellt. Die Aufnahme entstand wahrscheinlich 1985 im Rahmen einer Weiterbildungsveranstaltung der Hauptabteilung Inneres. Die Bänder fanden sich in der größten Stasi-Bezirksverwaltung außerhalb Berlins, nämlich in Karl-Marx-Stadt, dem früheren und heutigen Chemnitz.

Der Vortrag fand an einem Vormittag statt, mit einer Pause um 10.30 Uhr. Fendel hatte den Vortrag schon zuvor in Rostock gehalten und sprach als Psychologe: „Ich will euch nichts vorschreiben, ihr wisst es eh besser. Aber ich will euch für Psychologie empfänglich machen.“

Er stellt zunächst die Frage, ob die Psychologie eine Art Geheimwissenschaft sei, und geht dann kurz auf die Geschichte ein: Die Psychologie habe eine unheilvolle Vergangenheit als Instrument der Manipulation der Massen – eine Anspielung auf den Nationalsozialismus. Die Psychologie trage noch immer Klassencharakter, sei also durchaus auch für den sozialistischen Staat wichtig,

Der Oberstleutnant nennt einige Zahlen: Bis zu 50 Prozent der ausreisewillige Personen ziehen in 14 Tagen ihren Antrag zurück, und zwar nur aufgrund von Gesprächen mit IMs. Nach 6-8 Wochen ziehen weitere 25 Prozent ihre Anträge zurück. Einige Zitate und Stichpunkte:

„Ihr seid Vertreter des Staats, und so werdet ihr auch vom Antragsteller gesehen. Ihr seid aber auch Vertreter der Interessen der Bürger. Das wissen die Antragsteller in der Regel nicht. Ihr seid die ersten, die das erfahren, aber hinter Euch steht ein ganzer Apparat. Ihr müsst die Information an andere staatliche Organe weitergeben.“

Fendel nimmt auch Bezug auf das „ZDF Magazin“, in dem ZDF-Moderator Gerhard Löwenthal Ausreisewilligen Verhaltenstipps gab, was sie sagen und nicht sagen dürfen.

Der lebendige Vortrag wird mit Applaus quittiert.

Die Bänder lagen in der ehemaligen Stasi-Bezirksverwaltung in Chemnitz. Zur Orientierung: Das Einzugsgebiet umfasste rund 2 Millionen Bürger, das jährliche Budget war lag am Ende bei über 100 Millionen Ost-Mark. Die Bezirksverwaltung beschäftigte fest 3600 Personen und frei, also IMs, 12.000.

Signatur: MfS BV KMSt/Tb/70

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