25.11.1954

Hans Bredow: Der Weg zum Rundfunk

Stand
AUTOR/IN
SWR2 Archivradio
MODERATOR/IN
Gábor Paál
Gábor Paál (Foto: SWR, Oliver Reuther)

Er gilt als "Vater des Rundfunks": Dieses Interview mit Hans Bredow (26.11.1879 - 9.1.1959) stammt aus dem Jahr 1954. Bredow erzählt darin, wie er schon vor dem Krieg mit seinen Experimenten begonnen hat und wie es dann im Krieg weiterging.

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Bredow hatte die Radiotechnik vorangetrieben, lange bevor 1923 der reguläre Rundfunkbetrieb begann. Im Gespräch wird deutlich, welche Rolle der Erste Weltkrieg als Katalysator spielte. Bredow spricht auch über seine Motivation, "die Einsamkeit aus dem Leben der Menschen zu verbannen."

Hans Bredow gibt dieses Interview dem Südwestfunk am 25. November 1954 – anlässlich seines 75. Geburtstags.

Das Interview im Wortlaut

Interviewer: Eduard Roderich Dietze

Herr Staatssekretär, Vater des Rundfunks werden sie genannt, und doch wir alle, die wir Sie mit Dankbarkeit und Ehrfurcht so nennen, können kaum ermessen, welche Geduld und Beharrlichkeit Sie haben aufwenden müssen, um aus der Idee des Rundfunks zu seiner Realisierung vorzustoßen. Wie sind Sie eigentlich auf den Gedanken gekommen? War es nicht schon sehr früh schon vor dem Ersten Weltkrieg, Herr Staatssekretär?

Ja, Herr Dietze, Rundfunk hat es eigentlich schon so lange gegeben, wie es möglich war, elektrische Wellen zu verbreiten und aufzunehmen. Denn der Rundfunk beruht ja auf der Eigenschaft der elektrischen Welle, dass sie sich nach allen Richtungen ausbreitet und von jedermann aufgenommen werden kann, der einen abgestimmten Empfänger besitzt. Und Rundfunk, natürlich nicht im heutigen Sinne, ist schon seit Anfang des Jahrhunderts verwendet worden.

Aber doch nur mit Morsezeichen?

Nur mit einem Morsezeichen, denn die technischen Vorbedingungen für die drahtlose Telefonie waren damals noch nicht vorhanden. Ich entsinne mich, dass zuerst von einem Sender aus Zeitzeichen verbreitet wurden, für die Schiffe und für die Uhrmacher, um ihre Uhren danach zu stellen. Dann das nächste war die telegrafische Verbreitung von neuen Nachrichten für die auf hoher See befindlichen Schiffe, die dann diese Nachrichten vor Zeitungen den Passagieren zur Kenntnis geben. Und auch während des Krieges hat man schon von der Großstation Nauen aus die Heeresnachrichten für das Inland und Ausland verbreitet. Aber natürlich war die Aufnahme nur möglich durch ausgebildete Telegrafisten,

Aber schon vor dem Kriege, Herr Staatssekretär, machten Sie doch den ersten Telefonieversuch, das erste eigentliche Unterhaltungsrundfunkprogramm im heutigen Sinne, damals in den USA

Ja, das hängt damit zusammen, das in Folge gewissen Erfindungen die Möglichkeit geschaffen wurde, auch das Wort, den Ton zu übertragen. Allerdings genügten diese Vorrichtungen noch nicht, um einen wirklichen Rundfunk, wie wir ihn heute kennen und lieben, ins Leben zu rufen. Aber immerhin, man konnte telefonieren, und es wurden verschoben gemacht, um einen Sprechverkehr einzurichten, um das zu propagieren, fuhr ich 1913 nach New York, ließ dort eine Vorrichtung aufstellen und machte Versuche mit drahtloser Telefonie.

Hans Bredow  Deutsches Rundfunkarchiv (Foto: Deutsches Rundfunkarchiv -)
Hans Bredow

Es sollte dann eine Pressevorführung gemacht werden, um die Öffentlichkeit zu interessieren. Und um das etwas lebendiger zu machen, ließ ich von der Sendestation zur Empfangsstation, die in einem hohen Wolkenkratzer, dem Tower Building in York aufgestellt war, ein richtiges Rundfunkprogramm, bestehend aus Grammophon, Darbietungen und Vorträgen, verbreiten und von New Yorker Presseleuten aufnehmen. Es war eine ziemliche Sensation, aber sehr eindrucksvoll war es sonst nicht, weil die Aufnahme nur mit Kopfhörer geschehen konnte. Denn Lautsprecher, Verstärker, und alle neuen Dinge gab es damals noch nicht. Aber trotzdem waren die Presseleute doch entzückt, weil die Aufnahme klar, wenn auch sehr, sehr leise war, und schrieben viel darüber in Zeitungen.

Sie waren aber doch gar nicht dabei, denn zufällig waren Sie doch schon abgerufen auf dem Atlantik.

Diese Vorführung hatte ich angeordnet, musste aber aufgrund eines Telegramms vorher nach New York abfahren, weil ich eine Verhandlung mit Marconi durchzuführen hatte. Und wie ich nun am Tage nach dieser Vorführung auf hoher See war, auf dem Dampfer George Washington – Sie sehen mich hier mit einigen Funkoffizieren, an Bord der George Washington – bekam ich einen Funktelegram. Ich möchte um zehn Uhr vormittags am Empfänger sein, um etwas aufzunehmen. Ich bin dann in die Kajüte gegangen, habe den Kapitän dazugebeten, weil ich etwas ahnte. Und dann schallte uns - das heißt, schallt ist übertrieben - wir hatten die Hörer ans Ohr gepresst, und da hörten wir also leise Musikklänge, die sehr, sehr klar deutlich durchkamen. Dann wurde eine Begrüßungsansprache an mich von einem Stationsleiter an der amerikanischen Küste gehalten. Und dann kamen meine zurückgebliebenen Kollegen einzeln und begrüßten mich und beglückwünschten mich zu den Erfolgen. Und so schloss es dann mit gutem Reisewünschen und der amerikanischen Nationalhymne „The star spangled banner“.

Das war also die erste Funksendung im eigentlichen Sinne, würden wir heute sagen, und das war schon am 22. Februar 1913, Herr Staatssekretär. Sicher hat das durch sehr in ihnen nachgewirkt. Sie haben ja in unendlicher Geduld die technischen Fortschritte abwarten müssen, ehe sie diesen Gedanken einmal nachgehen konnten und dann kam der Krieg.

Ja, also Sie können sich vorstellen: Wenn jemand auf hoher See ist, abgeschlossen von allem und jetzt plötzlich eine Stimme ertönt von Ferne und Sie begrüßt das, dass das ein Menschen nicht ganz ungepackt lassen kann. Ich hatte damals den Eindruck, aus dieser Sache muss noch einmal etwas Großes werden. Aber wie gesagt, die technischen Vorbedingungen waren noch nicht vorhanden. Auf diese Weise war kein Rundfunk zu machen.

Aber die Idee hat mich nicht losgelassen. Nun, kam sehr bald der Krieg, da hatten wir andere Sorgen. Und mit dem Kriege kam gleichzeitig etwas, was man als eine völlige Umwälzung der drahtlosen Technik betrachten kann. Dr. [Alexander] Meißner hatte im Telefunken Laboratorium den Röhrensender erfunden. Dr. Rokob [?] hat die ersten Senderöhren gemacht, und damit konnte man nun ganz klar telefonieren. Gleichzeitig war durch die Röhre eine Verstärkungsmöglichkeit geboten, sodass man wesentlich lauter und auf größere Entfernung hören könnte. Damit war man nun einen entscheidenden Schritt weitergekommen. Und als ich nun als Soldat im Jahr 1917 an die Front kam und zwar nach Rethel, in der Nähe von Reims und dort ein Versuchskommando zu führen hatte zum Ausprobieren der neuartigen Röhreneinrichtungen, verfiel ich sofort wieder auf meine alten Gedanken und richtete eine Rundfunkstation ein…

Den ersten Soldatensender …

Ja, Soldatensender, insofern, weil Soldaten ihn betrieben. Ich hatte dort ein kleines Team. Einer von meinen Funkern, der sang sehr nett. Ein anderer spielte Geige, ein spielte gefühlvoll Mundharmonika. Und so legte ich damit los und verbreitete Programme. Ich bin auf diese Weise der erste Ansager geworden und der erste Programmdirektor, denn ich stellte diese Programme zusammen, sagt sie an. Ich las aus Zeitungen vor, las ein Roman in Fortsetzung, täglich ein Stück, und so machten wir Musik, und alles Mögliche, und freuten uns ungeheuer über den Beifall, der wir bei den Frontsoldaten hatten, die in großen Menge über Empfänger verfügten zur Aufnahme der Heeresnachrichten und so weiter.

Ich muss sagen, ich habe das noch ziemlich mit einer gewissen Gleichgültigkeit gemacht. Aber als ich dann in die Schützengräben kam und die Leute mit zuströmten und begeistert waren davon und sagten: „Sie wissen gar nicht, was Sie damit machen, dass wir hier in der in tiefen Bunkern eingegrabenen Station hier so etwas bekommen, das gibt uns ein ganz neues Leben. Das hat mich so gepackt, dass ich gesagt habe, sowie ich zurückkomme, wird die Sache durchgeführt. Ich konnte aber nicht weiterarbeiten. Wir mussten das aufgeben, weil Störungen dadurch verursacht worden. Die Leute an den Empfängern wurden abgelenkt, und der Oberkommandierende hat es dann aus militärischen Gründen verboten. Und wir sind dann später Peter abgezogen. Aber unmittelbar nach dem Kriege habe ich dann die Sache wieder angefasst.

(Unterbrechung)

Sie sprachen, Herr Staatssekretär, von der Wirkung auf den Einzelnen. Ist das für den Rundfunk ihrer Ansicht nach kennzeichnend, dass eben der Einzelne dieses Hörerlebnis hat. Und gilt das in gewissem Sinne vielleicht auch für das Fernsehen, dass es sich an den einzelnen richtet, was da über den Äther getragen wird? Klänge, Worte und Bilder?

Das ist das, was mich am meisten beeindruckt hat, dass es zukünftig möglich sein würde, die Einsamkeit aus dem Leben des Menschen zu verbannen. Ich ging dabei von Erlebnissen in den Schützengräben aus. Und als ich nun nach Ende des Krieges die Möglichkeit bekam, mit großem Nachdruck meine Ideen durchzuführen, nämlich – ich war es der Industrie ausgeschieden, in der ich vor tätig war - durch Ernennung zum Leiter des Reichsfunkwesens bei der Reichspost, da kam eine ganze Reihe von großen Aufgaben an mich heran. Aber eine der ersten Aufgaben, die ich anpackte, war der Rundfunk.

Und fanden sie gleich den nötigen Widerhall und für ihre Ideen?

Nein, nein, nein. Ich stand immer da, auch von meiner eigenen Behörde, als ein Fantast, der seinen Lieblingsideen nachlief. Und das führte mich eines Tags zu einer Katastrophe. Als ich bei der Nationalversammlung, deren Hauptausschuss ich im Oktober 1919 über meine Pläne berichtete, ging man überhaupt mit keinem Wort darauf ein. Ich entschloss mich deshalb, mich an die Öffentlichkeit zu wenden und veranstaltete einen öffentlichen Vortrag in der Berliner Urania. Zu dem ich Behörden, Wissenschaft, Presse und Industrie und Technik und so weiter einladen ließ, wollte nun praktischen Rundfunkempfang dort vorführen. Und meine Schlussfolgerung aus diesen technischen Möglichkeiten ziehen.

Zu meinem Unglück - ich erwähnte schon, dass es keine Lautsprecher gab, wir hatten aber zu diesem Zweck einige zusammengebastelt - versagte der Lautsprecherempfang, wie er es lange Jahre getan hat, gänzlich, und das Programm, das ich damals aussenden ließ, zusammengestellt hatte, und das nun das Publikum hören sollte, kam sehr stark verzerrt an.

Und die Anwesenden sahen nur die technische Seite und die Verzerrung, die aufgetreten war. Und meinen Hinweis darauf, es handelt sich hier um die grundsätzliche Frage und nicht um die Vorführung einer fertigen Technik. Und wir wollen mit der Entwicklung der Technik beginnen und ich möchte Ihr Interesse dafür erwecken.

Da war ich allerdings außerordentlich deprimiert, denn die Versammlung reagierte mit Stillschweigen, teilweise mit Kichern. Meine Kollegen von der Reichspost behandelten mich nach diesem Vortrag eisig, und ich kam mir vor wie eine Art Betrüger.

Damals habe ich die Aufgaben des Rundfunks als Hauptaufgabe des Rundfunks erkannt, den einsamen, einzelnen Menschen zu dienen, indem ich hinwies auf die Schiffe auf See, die einsamen Leute in den Heidedörfern, die einsame Witwe, die ohne Zusammenhang mit dem Leben leben muss, am diejenigen, die sich keine Konzerte leisten können und so weiter, dass denen ein neues Leben gebracht wird. An die politische Anwendung des Rundfunks, die heute im Vordergrund steht, habe ich weniger gedacht. Mich interessierte die Seite, den Menschen Menschen, die einsam sind, ein ganz neues Leben zu verschaffen.

Wie neu damals diese Gedanken waren, geht daraus vor, dass Hans Dominik [ein Ingenieur und Science-Fiction-Autor, Anm. d. Red.], dem man gewiss nicht ein Mangel an Fantasie vorwerfen kann, denn er hat viele utopische Romane geschrieben, damals im Berliner Lokalanzeiger über meinen Vortrag schrieb: Der Vortragende brachte Ideen von geradezu „Jules Vernescher Kühnheit“. Ich habe das nicht so empfunden. Für mich war das eine Selbstverständlichkeit und auch für jeden Techniker.

Und es ist nun für Millionen eine Selbstverständlichkeit geworden. Herr Staatssekretär. Vielleicht ist es ganz gut, wenn wir gerade diesen Anlass nehmen, die Millionen daran zu erinnern, wie wenig selbstverständlich diese ganze beharrliche und sehr Arbeit gewesen ist. All der namenlosen Ingenieure, die ihnen dabei geholfen haben und in einem gewissen Sinne sind Sie auch nicht nur der Vater des Rundfunks, Herr Staatssekretär, sondern wie man belegen kann, aus dem Schrifttum, in gewissem Sinn und sogar der Vater auch des Fernsehens. Sie haben doch diese Aufgabe damals schon 1923, den Ingenieuren ganz bewusst gestellt.

Das ist schon richtig. Aber, um Gottes Willen, bezeichnen sie mich nicht als Vater des Fernsehens. Denn es gibt viele Väter. Beim Fernsehen war es genau beim Rundfunk. Am Anfang stand die Technik. Erst viel, viel später kamen die Gestalter hinzu, und Väter der Fernsehtechnik gibt es eine ganze Anzahl.

Als wirklichen Vater des neuzeitlichen Fernsehens, an dem wir uns täglich hier in Deutschland erfreuen können, betrachte ich den Herrn Professor [Werner] Nestel vom NWDR, der sich ungeheure Verdienste um das Fernsehen erworben hat. Wenn er neulich, wie ich las, das Bundesverdienstkreuz dafür bekommen hat, so war das nur berechtigt, und ich denke mit großer Freude an die Leistung dieses Mannes.

Denn er hat auch einen anderen Gedanken sehr tatkräftig verwirklicht, der auch von ihnen stammte, nämlich der Ultrakurzwellen, nicht wahr, Herr Staatssekretär?

Ja, das hat nur sehr lange Jahre gedauert. Ich habe, das war auch eine plötzliche Konzeption im Jahr 1930, wie Sie gelesen haben, in Wien den Vorschlag gemacht, die Ultrakurzwelle für Lokalsendungen anzuwenden, und das damit begründet, dass er auf die Weise die Länderinteressen und die lokalen Interessen im Anfang wesentlich mehr berücksichtigt werden könnten als bei der Verwendung des Mittelwellenrundfunks, der damals üblich war. Und später ist dann ganz von selbst durch die Notwendigkeit der Wellenknappheit diese Aufgabe in an Vordergrund getreten und Prof. Nestel ist es wohl wiederum gewesen, der wohl als der Hauptförderer dieser neuen Einrichtung gelten kann.

Hans Bredow

21.7.1948 Hans Bredow über die deutsche Rundfunkgeschichte

21.7.1948 | Drei Jahre nach Kriegsende hält Hans Bredow einen Vortrag an einer deutschen Universität. Ausführlich erzählt er, wie der Rundfunk in Deutschland zwischen den Weltkriegen entstanden ist – und welche Lehren sich daraus für den neu aufzubauenden Rundfunk der Nachkriegszeit ergeben. Er betont, dass es eine föderale Struktur braucht, um die kulturelle Vielfalt im Land abzubilden. Dass der Rundfunk nicht von Reklame leben soll. Interessant im folgenden Vortrag ist, dass er die Rundfunksituation in der NS-Zeit praktisch komplett ausklammert. Vielleicht, weil Bredow, der den Rundfunk in der Weimarer Zeit aufgebaut hat, von 1933 bis 1945 selbst buchstäblich außen vor war.
Am Tag der Machtergreifung Hitlers – war er von seinem Amt als Staatssekretär für das Telegrafen-, Fernsprech- und Funkwesen zurückgetreten. 16 Monate verbrachte er in der NS-Zeit im Gefängnis Berlin Moabit. Er wollte in die USA ausreisen, was ihm verweigert wurde. Umso mehr bringt er hier im Vortrag seine Freude zum Ausdruck, nach dem Krieg endlich wieder an einer Universität sprechen zu dürfen. Die einleitende Worte spicht der Medienjournalist und Leiter der Arbeitsgemeinschaft für Rundfunkkunde Kurt Wagenführ – der später das bis heute bestehende Hans-Bredow-Institut in Hamburg mitbegründet hat. | Rundfunkgeschichte

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