Literatur

Erinnerungen als Literatur: Julia Schoch ist Mainzer Stadtschreiberin 2024

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Leonie Berger
SWR Kultur Autorin Leonie Berger  (Foto: SWR, Leonie Berger)
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Dominic Konrad

Ihre Kunst ist die Erinnerung: Die 1974 in Bad Saarow geborene Julia Schoch gilt als eine der markantesten Stimmen der deutschen autofiktionalen Literatur. In Romanen wie Das Liebespaar des Jahrhunderts gibt sie tiefe Einblicke in die Gedankenwelt ihrer Erzählerin. Nun wird sie für ein Jahr Mainzer Stadtschreiberin.

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Bereit für neue Erinnerungen in Mainz

An Mainz hat die Schriftstellerin Julia Schoch noch keine Erinnerung, doch das wird sich bald ändern: Es ist ihr erster Aufenthalt in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt und dann gleich ein Jahr als Stadtschreiberin. Das wird wohl literarische Spuren hinterlassen, denn Erinnerungen sind für Julia Schoch Ausgangspunkt Ihres Erzählens.

Autorin Julia Schoch in einer olivgrünen Jacke. Sie sitzt auf einer Treppe in einem holzgetäfelten Treppenhaus.  (Foto: IMAGO, IMAGO / Sabine Gudath)
Neues Amt für die brandenburgische Schriftstellerin Julia Schoch. Sie wird für ein Jahr Stadtschreiberin von Mainz.

Ihre Kunst ist es, etwas so Flüchtiges und Wandelbares durch das Schreiben greifbar und präzise zu machen. Jeder hat seine ganz eigenen Erinnerungen. Julia Schoch nennt das den Erinnerungskokon, in dem wir gefangen sind, der aber durch das Erzählen durchbrochen werden kann.

Nur, wenn wir das besonders präzise, prägnant und anschaulich machen, dann kann es der andere vielleicht abgleichen mit den eigenen Wahrnehmungen und den eigenen Erinnerungen und dann entsteht sowas wie so eine Schnittstelle, wie eine Schnittmenge zwischen den Menschen. 

Schreiben als Handwerk und hartes Training 

In ihrem Roman „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ erinnert sich die Protagonistin an die dreißig gemeinsamen Jahre mit ihrem Partner. Schon lange spielt sie mit dem Gedanken, ihn zu verlassen. Julia Schoch lässt uns beim Lesen an diesem Gedankenspiel teilhaben.

Dabei entfaltet sie aus den Erinnerungen der Ich-Erzählungen, aus Szenen und Anekdoten fast ein ganzes Leben. Es könnte ein Sammelsurium sein, ist es aber nicht: Alles fügt sich ganz leicht zusammen, entwickelt sich wie von selbst weiter. Beim Schreiben war es natürlich nicht so leicht, aber das sei schlicht Handwerk, meint Julia Schoch. 

SWR2 lesenswert Kritik Julia Schoch – Das Liebespaar des Jahrhunderts. Biographie einer Frau

Warum an der Liebe arbeiten, wenn man sich auch trennen kann? Messerscharf und exemplarisch analysiert Julia Schoch in "Das Liebespaar des Jahrhunderts" die Ermüdungserscheinungen einer langjährigen Beziehung. Und stellt die Frage, wie man eingeschlichenes Unglück wieder loswird.

dtv Verlag, 192 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-423-28333-5

SWR2 lesenswert Kritik SWR2

Es sei mit dem Schreiben wie mit dem Ballet, wo „ja auch viele, viele Jahre nötig sind, damit der Sprung so federleicht aussieht, als wäre es nichts, vom Boden abzuheben. Aber dahinter steckt eben hartes Training“. Das Wesentliche, so Schoch, sei immer Kürzen und damit zu einer tieferen Prägnanz zu finden.

Das ist für mich immer das Wesentliche: Klarheit und Prägnanz, auch vor mir selbst, also sehe ich das vor mir oder benutze ich nur faule Wörter, die mich sozusagen nur irgendwie schnell durch den Satz bringen? Am Ende rächt sich das ja immer – also ich muss immer zu einer großen Klarheit kommen.

 Julia Schoch schöpft aus ihrer eigenen Biografie

Für ihren präzisen Ton ist Julia Schoch schon viel gelobt worden. „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ ist der zweite Band ihrer Trilogie „Biographie einer Frau“. Drei Bücher über dieselbe Person, die sie aber in unterschiedlichen Rollen zeigen. Im ersten Band „Das Vorkommnis“ war sie vor allem Tochter und Schwester, beschäftigte sich mit ihrer Herkunftsfamilie und deren Geheimnissen.

Julia Schoch am Mikrofon. Sie hält ihr Buch "Das Liebespaar des Jahrhunderts" in der Hand, aus dem sie liest. (Foto: IMAGO, IMAGO / Eberhard Thonfeld)
Für ihr literarisches Schaffen schöpft Julia Schoch aus ihren eigenen Erinnerungen.

Im zweiten Band ging es dann um die selbst gewählte Partnerschaft, sie als Liebende und Mutter. Im Herbst soll nun der abschließende Teil erscheinen: Dort werden kurze Begegnungen im Mittelpunkt stehen, die bei der Erzählerin einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben.

Julia Schoch schöpft aus ihrer eigenen Biografie, verwandelt sie im Schreibprozess in Fiktion. Das autofiktionale Schreiben habe sich aufgedrängt, sagt sie. 

Warum soll ich über Dinge schreiben, die ich nicht gut kenne? Das wäre ja die Frage. Also benutze ich natürlich die Bestandteile, über die ich mir auch im Klaren werden will und das sind die eigenen biographischen Brocken. Aber die stehen nicht immer sozusagen bedrohlich vor mir oder hängen mir nicht immer im Nacken, sondern sie sind da, sie gehören zu mir und das wird sich ja nicht ändern in ansehbarer Zeit. Die Vergangenheit steht ja irgendwie da und dann kann man sich dazu verhalten.

Das dritte Stadtschreiberamt in Mainz

Für Julia Schoch ist es bereits das dritte Stadtschreiberamt, nach Dresden und Rheinsberg nun also Mainz. Ganz unschuldig komme sie an den Rhein, ohne Vorbereitung, um sich den Blick nicht zu verstellen.

Diese Offenheit ist eine gute Voraussetzung, korrespondiert sie doch mit der gastfreundlichen Mainzer Mentalität. Ihre Mainzer Erfahrungen werden zu Erinnerungen von morgen und aus diesen vielleicht sogar eines Tages Literatur.  

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Gespräch „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ – Julia Schoch erzählt vom Ende einer Ehe

Eine Frau will sich von ihrem Mann trennen. 30 Jahre lang waren sie verheiratet. 2 gemeinsame Kinder. Was geht der Frau durch den Kopf? Ein Gespräch mit der Autorin Julia Schoch.

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