Am Samstag, den 24.2., geht Russlands Krieg gegen die Ukraine ins dritte Jahr. Für die Menschen in der Ukraine ist der Krieg seither bedrückender Alltag – aber auch Ukrainerinnen und Ukrainer, die nach Deutschland geflohen sind, beeinflusst das Geschehen in ihrer Heimat. Die Autorin und Ärztin Iryna Fingerova ist vor sechs Jahren aus der Ukraine nach Dresden gezogen und betreut und begleitet dort ihre Landsleute.
Viele Ukrainer*innen hierzulande empfinden Kontrollverlust
Fingerova schildert die Exilsituation ihrer ukrainischen Patientinnen und Patienten als enorme seelische Belastung. Die Betroffenen hätten nach ihrer Beobachtung häufig das Gefühl, „nichts mehr kontrollieren zu können, ihr Leben nicht mehr im Griff zu haben.“ Im SWR2-Interview erzählt Fingerova, wie ihr Kinder mit Panikattacken, Herzrasen oder Schlafstörungen präsentiert würden.
Das Leben hat keinen Pausenknopf
Häufig allerdings unterschätzten die Patienten, wie stark diese bedrückende Situation in ihrer Heimat sie tatsächlich beeinflusst: „Man denkt: Okay, ich bin jetzt in Sicherheit. Warum muss ich jetzt leiden? Aber so einfach funktioniert das nicht.“ Viele hätten Verwandte oder Freunde in der Ukraine, die Verbindung sei also sehr wohl da.
Viele wüssten zudem nicht, was sie mit ihrem Leben hier anfangen sollten – es sei, als warteten sie nur auf das Leben, statt wirklich zu leben. Fingerova: „Das funktioniert natürlich nicht. Man kann beim Leben nicht auf den Pausenknopf drücken.“
Kunst der kleinen Schritte
Viele Ukrainerinnen und Ukrainer, so die Ärztin und Autorin weiter, hätten inzwischen gelernt, die Situation zu akzeptieren: „Wir müssen weiterleben und trotz allem das Leben feiern, weil wir Kinder haben und weil der Krieg uns schon zu viel weggenommen hat.“
Gleichzeitig gelte es zu verhindern, dass der Krieg sämtliche Lebensfreude verschlingt. Eine mögliche Strategie hat Fingerova selbst verfolgt: Nach einer ersten Phase des schlechten Gewissens habe sie begonnen, aktiv zu werden, habe sich ehrenamtlich engagiert und Spenden für Medikamente und medizinische Ausrüstung für ihre Heimat gesammelt: „Das ist so ein Spagat zwischen Hilflosigkeit und Kunst der kleinen Schritte, dass man etwas Kleines macht. Aber trotzdem: macht.“
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