Fotoausstellung im Stadthaus Ulm

Bilder des Terrors: Paula Markerts Deutschlandreise zeigt Tatorte des NSU

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AUTOR/IN
Andreas Langen

Die Hamburger Fotografin Paula Markert hat Jahre lang zum Thema Rechtsterrorismus und Fremdenhass gearbeitet. Ihr Projekt „Eine Reise durch Deutschland. Die Mordserie des NSU“ ist nun im Stadthaus Ulm zu sehen. Sie befragt sich selbst und das ganze Land, wie dieser Terror möglich war – ein Thema, das leider nicht erledigt ist.

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Ausstellungstitel offenbart Widersprüchlichkeit

Paula Markert hat ihrem Projekt, das gerade im Stadthaus Ulm ausgestellt wird, einen mehrteiligen Titel gegeben. Teil eins hat was von Stadt-Land-Fluss, klingt beinahe touristisch: „Eine Reise durch Deutschland“. An manchen Stellen wirken die Bilder sogar fast romantisch – etwa beim Foto einer Burgruine im Abendlicht. Teil zwei des Titels aber macht alles Wohlgefühl zunichte. Er lautet: „Die Mordserie des NSU“.

„Das war mir wichtig, dass das Alltägliche, was in den Bildern an der Oberfläche erstmal zu sehen ist, dann noch mal so aufgebrochen wird, dass das sich auch im Titel widerspiegelt“, sagt Markert.

Paula Markert: Eine Reise durch Deutschland. Die Mordserie des NSU im Stadthaus Ulm (Foto: Pressestelle, Stadthaus Ulm ©Paula Markert)
Eines der Bilder von Paula Markert zeigt die Anklagebank im Schwurgerichtssaal 101 des Oberlandesgerichts München. Vom 6. Mai 2013 bis zum 11. Juli 2018 fand hier der NSU-Prozess statt.

„So eine Reise ist ja auch so ein Eintauchen, das ist ja eine intensive Beschäftigung mit was, was man bisher vielleicht so noch nicht kannte. Und da ist so eine fotografische Reise, als Autorin sich auf die Reise begeben, vielleicht das Wichtige“, ergänzt Ausstellungs-Kurator Robert Pupeter.

Assoziatives Geflecht aus Fotografien und Texten

„Eintauchen ins Alltägliche“, und ins „Unbekannte“ – wie bitte? „Alltägliches“ scheint völlig deplatziert, es geht hier schließlich um die größte rechtsterroristische Anschlagsserie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. „Unbekanntes“ wiederum klingt seltsam, angesichts von Jahren intensiver Berichterstattung. Und Paula Markert kennt dieses Metier bestens. 

Ich arbeite ja auch als Fotojournalistin, aber das ist eine komplett andere Arbeitsweise. Wir unterscheiden ja auch nicht ohne Grund zwischen dem Begriff ,Reportage‘ und ,dokumentarischer Arbeit‘. Die Reportage wäre ja meist ein Versuch, bestimmte Dinge, die im Text erklärt werden, zu visualisieren oder zu illustrieren. Und ich glaube, das ist etwas, was ja diese Arbeit überhaupt nicht versucht. 

Stattdessen knüpft Paula Markert ein assoziatives Geflecht aus einzelnen Fotografien und Texten. Jedes dieser Elemente bekommt viel Raum – im Künstlerbuch, das die Ausstellung begleitet, und an den Museumswänden ebenso. Auf gerade mal dreißig Bilder und ein Dutzend Texte ist der Themenkomplex komprimiert, der bei jeder Online-Suchanfrage hunderttausende Treffer erzeugt.

Paula Markert: Eine Reise durch Deutschland. Die Mordserie des NSU im Stadthaus Ulm (Foto: Pressestelle, Stadthaus Ulm ©Paula Markert)
Bei einer Durchsuchung einer von Beate Zschäpe in Jena angemieteten Garage am 26. Januar 1998 fand die Polizei Propagandamaterial, Sprengstoff und halbfertige Rohrbomben. Danach tauchte das NSU-Trio in den Untergrund ab.

Markert fokussiert den Blick auf wenige Ansichten von Landschaften, Tatorten und beteiligten Personen. Dazu stellt sie knappe Texte aus Protokollen, Gesetzen und Vernehmungen.

Darunter ist immer wieder absolut Bestürzendes, wie der Bericht eines türkischen Geschäftsinhabers in Köln, der dem ermittelnden Polizisten nach einem Anschlag sagt, das sei die Tat von Neonazis und Rassisten – worauf der Beamte den Zeigefinger auf die Lippen legt und zu verstehen gibt: Psst, schweig! 

Paula Markert stellt unbequeme Fragen

„Ich betrachte die Arbeit auch als so eine Art Selbstbefragung, weil ich bin Teil der Gesellschaft“, sagt Paula Markert – und erläutert: „Rassistische Strukturen in den Ermittlungsbehörden, rassistische Strukturen in der Gesellschaft sind natürlich irgendwie eine Art von Begünstigungen für solche Taten. Und das war für mich wichtig: mich und mein Verhältnis zu diesem Land und das Land zu befragen.“

Einem Land, dem Paula Markert die unbequeme Frage stellt, ab wie vielen Anschlägen man eigentlich noch von Einzeltätern sprechen kann.  

Paula Markert: Eine Reise durch Deutschland. Die Mordserie des NSU im Stadthaus Ulm (Foto: SWR, Andreas Langen)
Künstlerin Paula Markert beim Ausstellungsaufbau im Stadthaus Ulm.

Es gibt immer wieder diese Aufschreie: nach dem Lübcke-Mord, nach dem rassistischen Anschlag in Hanau, nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle. Und ich glaube, deswegen ist die Arbeit wichtig, um das noch mal auch so zu bekunden, dass das Vergessen nicht so schnell voranschreitet.  

Paula Markerts Deutschlandreise gräbt sich tief ins Gemüt der Betrachter. Dort rumort das, was man sieht und liest, es dampft den NSU-Komplex ein auf seinen bitteren Kern – nämlich: dass wir nicht fertig sind mit dem tödlichen Wahn des Rechtsextremismus, und womöglich niemals sein werden. 

„Ich habe die Hoffnung, dass das eher Fragen aufwirft anstatt zu einfache Antworten zu geben, weil leider gibt es auch in diesem NSU-Komplex sehr wenige einfache Antworten“, sagt Paula Markert.

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Andreas Langen