Ärztin mit Tourette Syndrom: "Die Lizenz zum Fluchen"

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MODERATOR/IN
Nabil Atassi
Moderator Nabil Atassi aus dem SWR1 Team. Zu hören in der Talk-Sendung SWR1 Leute - immer 2 Stunden für einen Gast mit interessanten Themen. (Foto: SWR)

"Hitler", "F*** dich" oder "Ball" – Begriffe, die Stella Lingen immer wieder unbewusst und unabsichtlich sagt: Sie hat das Tourette-Syndrom. Trotz ihrer Tics will sie ihr Medizinstudium abschließen und Ärztin werden.

Warnung und Anm.d.Red.: Das Tourette-Syndrom hat sich auch während des SWR1 Leute-Talks bei Stella Lingen bemerkbar gemacht. Dadurch äußert sie immer wieder unbewusst Schimpfwörter oder Beleidigungen.

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Tourette Syndrom? Keine Scham - jetzt erst recht! 

Als Stella Lingen mit ihrem Medizinstudium begann, da war die Welt für sie noch einigermaßen normal. Doch im Alter von 21 Jahren kam die Gewissheit: Stella Lingen leidet am sogenannten "Tourette-Syndrom". Bei dieser chronischen, nicht heilbaren neuropsychiatrischen Erkrankung treten sogenannte "Tics" auf, das können Bewegungs-Tics (motorisch) oder Geräusch-Tics (vokal) sein.

Angefangen hat es bei mir eigentlich, bis auf dass es so spät war, ganz klassisch. Also mit leicht motorischen Tics, also Bewegungen die ich nicht machen wollte, Augenblinzeln, Augenrollen, dann auch irgendwann Bewegung des Arms. […] Nach einem halben Jahr kamen dann aber die verbalen Tics dazu.

Wie es nach der Diagnose weiterging

Aktuell arbeitet Stella Lingen im praktischen Jahr am Ende Ihres Medizinstudiums in einer Klinik im Ruhrgebiet. Und sie will - trotz Tourette - Ende 2023 ihr Examen machen, promovieren und später eine Praxis für Allgemeinmedizin eröffnen. Dank ihrer Vorgesetzten, die sie bestärkten und unterstützten, konnte Stella Lingen nach der Diagnose ihr Studium fortsetzen. Besonders ausgeprägt sei seither zudem ihre Empathie, da sie nicht nur angehende Ärztin, sondern auch eine Patientin ist.

Es war eher die Sorge da, wie ist das mit den motorischen Tics bei Sachen wie Blut abnehmen oder sowas. Oder wie ist das, wenn so verbale Tics kommen, ich kann mich nicht vor jedem Patienten erklären. […] Ich habe relativ schnell gemerkt, dass die Tics auf der Arbeit mich wirklich wenig einschränken und wirklich wenig da sind.

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Tourette Tics: mal harmlos, mal beleidigend, mal rassistisch

Bei Stella Lingen kommt es immer wieder sowohl zu motorischen, als auch zu vokalen Tics – und das können auch mal schwere Beleidigungen oder rassistische Bemerkungen sein. Sie fängt plötzlich an, unkontrolliert zu schimpfen.

Warum man die Wörter sagt, die man sagt, weiß ich nicht. Es sind teilweise Wörter die gut zu sagen sind, wie "Ball". Und manchmal sind es genau die Wörter, die man in solchen Momenten nicht sagen würde.

Die inzwischen 26-Jährige versucht diese Tics zu unterdrücken, geht aber in Ihrem Alltag als angehende Ärztin auch so offen wie möglich damit um. Natürlich kann sie sich nicht vor Jedermann erklären, hofft aber auf Verständnis.

Am angenehmsten ist es für mich, wenn man drauf reagiert und drüber lacht, um mir zu signalisieren, ich habe jetzt wahrgenommen, das war ein Tic, das war nicht deine Meinung, das war nicht persönlich gemeint. Wobei man sagen muss, wenn jemand drauf reagiert, werden die Tics auch stärker.

Aufklärung über die Symptome und den Umgang mit Tourette

Mit ihrer Krankheit hat sie sich arrangiert, auch wenn es im Alltag, vor allem in der Klinik, nicht immer einfach ist. Und noch mehr: Sie hat beschlossen, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Auf ihrem Youtube-Kanal "Stella - Die Lizenz zum Fluchen" teilt sie ihre Erfahrungen aus dem Alltag. In SWR1 Leute spricht Stella über ihre ersten Symptome, wie sie sich mit der Krankheit "Tourette" arrangiert hat und inzwischen sogar noch selbstbewusster geworden ist. 

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