Gitarrenspieler (Foto: IMAGO, IMAGO / Cavan Images)

Zwillingsstudie

Wie Musikalität und psychische Erkrankungen zusammenhängen

Stand
AUTOR/IN
Anja Braun
Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell. (Foto: SWR, Christian Koch)
ONLINEFASSUNG
Leila Boucheligua

Verglichen mit musikalisch inaktiven Menschen scheinen Musikerinnen und Musiker häufiger unter psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen zu leiden. In einer Zwillingsstudie haben Forschende diesen Zusammenhang nun näher untersucht.

Psychische Probleme, Drogenmissbrauch und die immer wieder aufsehenerregenden Fälle von Suiziden unter berühmten Musikern, wie Kurt Cobain, Avicii oder Chester Bennington werfen die Frage auf, ob es möglicherweise einen Zusammenhang zwischen Musikalität und psychischer Gesundheit gibt. In einer kürzlich im Fachmagazin Nature veröffentlichten Studie hat das ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik (MPIEA) in Frankfurt am Main genauer untersucht.

Die Grundlage bot eine bereits 2019 veröffentlichte Studie, für die die Forschenden das schwedische Zwillingsregister nutzten, wie die an beiden Studien beteiligte Verhaltensgenetikerin Miriam Mosing vom MPIEA berichtet:

Hier haben wir 30.000 Zwillinge eingeladen, uns Antworten zu geben über sowohl ihre musikalische Aktivität, ihre Musikalität, also, welche Instrumente sie spielen, wieviel sie spielen und auch wie erfolgreich sie sind im Bereich der Musik. Und haben sie dann aber auch gefragt, ob sie an psychischen Problemen leiden und wie oft.  

Zwillinge bieten für solche Studien ideale Voraussetzungen, denn sie wachsen meist im selben Haushalt auf und haben identische oder zumindest teilweise die gleichen Gene – je nachdem, ob es ein- oder zweieiige Zwillinge sind.  

Zwillingsstudie bestätigte den Zusammenhang von Musikalität und Disposition für psychische Probleme

Zunächst zeigte sich, dass die Zwillinge, die ein Musikinstrument spielten und beim Musizieren erfolgreich waren, häufiger berichteten, dass sie Probleme mit ihrer psychischen Gesundheit hatten. Im nächsten Schritt untersuchte das Forschungsteam, ob musikalische Aktivität unter Umständen psychisch krank machen könnte – oder ob umgekehrt psychische Probleme dazu führen können, dass Menschen musikalisch aktiv werden. Derartige Kausalitäten konnten sie aber nicht feststellen, betont Miriam Mosing.  

Musik zu machen erhöht nicht das Risiko für Depressionen 

Es wäre falsch, aus der vorliegenden Studie den Schluss zu ziehen, dass Musizieren das Risiko an Depressionen zu erkranken erhöht, versichern die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. So wird beispielsweise auch nicht durch die musikalische Förderung von Kindern ihr Risiko erhöht, depressiv zu werden. Dass Menschen, die musikalisch sind, ein etwas höheres Risiko für psychische Erkrankungen haben, ist genetisch angelegt.  

Zwillinge (Foto: IMAGO, IMAGO / Image Source)
Anhand des schwedischen Zwillingsregisters haben Forschende in einer Befragung den Zusammenhang zwischen Musikalität und psychischen Erkrankungen untersucht. Untersuchungen von Zwillingen können genetische und äußerliche Störfaktoren reduzieren und kausale Schlüsse stärker stützen.

Neue Studie: Genetische Risikowerte für psychische Erkrankungen

In der weiterführenden Studie nahm das Forschungsteam die genetische Beziehung zwischen Musikalität und psychischer Gesundheit genauer unter die Lupe. Dabei konnten es auf die molekularen Daten von ungefähr 5.000 Zwillingen zugreifen, die eingewilligt hatten, auch Informationen über ihre DNA zur Verfügung zu stellen. Darauf basierend errechneten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sogenannte polygenetische Scores: Das sind genetische Risikowerte, die bestimmte erbliche Merkmale von Menschen mit genetischen Auffälligkeiten im Erbgut in Zusammenhang bringen.  

So konnte das Forschungsteam einerseits Werte für das genetische Risiko der Zwillinge für psychische Erkrankungen und andererseits für deren genetische Veranlagung zur Musikalität berechnen. Die Datenauswertung zeigte, dass Menschen mit einem höheren genetischen Risiko für Depressionen und bipolare Störungen im Durchschnitt auch häufiger musikalisch aktiv waren, mehr übten und Leistungen auf einem höheren künstlerischen Niveau erbrachten.  

Genetische Veranlagungen zu Musikalität und Depressionen hängen zusammen 

Interessanterweise traten diese Zusammenhänge unabhängig davon auf, ob die Personen tatsächlich psychische Probleme hatten. Gleichzeitig zeigte sich, dass Menschen, die ein höheres musikalisches Talent mitbrachten – unabhängig davon, ob sie tatsächlich ein Instrument spielten –, eine größere Wahrscheinlichkeit hatten, später an einer Depression zu erkranken.

Demnach scheinen musikalische Menschen im Schnitt ein leicht höheres genetisches Risiko für bestimmte psychische Erkrankungen zu haben, denn die genetischen Varianten, die psychische Probleme beeinflussen, und solche, die auf musikalisches Engagement einwirken, überschneiden sich.  

Das Risiko für musikalische Menschen ist nur leicht erhöht 

Dabei ist es jedoch wichtig festzuhalten, dass es sich tatsächlich nur um einen kleinen Unterschied handelt und dass die Forschung immer nur einen Durchschnitt ermitteln kann. Studienleiterin Miriam Mosing verdeutlicht, dass diese polygenetischen Scores nicht auf einem individuellen Level angewandt werden können:  

Wenn ich jetzt zum Beispiel zwei Individuen nach Zufallsprinzip aussuche, einen Musiker und einen Nicht-Musiker, dann kann ich nicht mit Sicherheit sagen, dass der Musiker ein größeres genetisches Risiko hat als der Nicht-Musiker, sondern das ist nur anwendbar auf der Ebene der Gesamt-Population. Aber im Durchschnitt ist es tatsächlich so, dass Musikerinnen und Musiker ein leicht erhöhtes Risiko für Depressionen haben. 

Auch andere kreative Bereiche untersucht

Das Forschungsteam um Mosing hat auch untersucht, wie das Zusammenspiel von psychischer Gesundheit mit anderen kreativen Tätigkeiten, beispielsweise in Kunst, Theater oder Literatur aussieht und fanden Ähnliches heraus, wie mit Blick auf das Musizieren, wie Miriam Mosing erklärt:

Menschen, die in einem kreativen Bereich aktiv sind, haben ein sehr viel höheres Risiko für alle psychiatrischen Krankheiten, die wir angeschaut haben. Und da konnten wir dann auch zeigen, dass in der Tat Menschen, die in diesem Bereich aktiv sind, auch ein höheres genetisches Risiko für alle dieser Faktoren haben.

Dabei fanden die Forschenden auch heraus, dass der Zusammenhang besonders bei kreativem Schreiben ausgeprägt ist. Das betrifft also Personen, die in einem schreibenden Beruf aktiv sind, wie Autorinnen und Autoren.

Mehr zu Musik

Emotionen Gefühle in der Musik – Wie sie entstehen und was sie auslösen

Langsame Lieder in Moll machen traurig, schnelle in Dur eher fröhlich. Die Gefühle, die westliche Musik bei uns meist auslöst, funktionieren nicht unbedingt bei Menschen aus anderen Kulturkreisen. Wieso ist das so?
 

SWR2 Wissen SWR2

Stand
AUTOR/IN
Anja Braun
Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell. (Foto: SWR, Christian Koch)
ONLINEFASSUNG
Leila Boucheligua