Angriff auf die Ohren

Warum Lärm krank macht

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AUTOR/IN
Jörg Wolf

Früher ein Überlebensvorteil, heute ein Problem: bei lauten Geräuschen schüttet der Körper Cortisol aus. Dauerlärm kann deshalb zu Herz- und Kreislaufkrankheiten führen.

Ohren haben keine Lider

Draußen in der Wildnis zu übernachten, hatte auch schon in grauer Vorzeit seine Tücken. Kaum waren die Augen geschlossen, war man ohne sichere Wände und Türen jeglicher Gefahr schutzlos ausgeliefert.

Fast! Denn wir haben unserer Evolution einen genialen Schutzmechanismus für solche Situationen zu verdanken. Da Ohren im Gegensatz zu den Augen keine Lider haben, um sich zu schließen, empfangen sie auch im Schlaf Schallsignale und senden sie an das Gehirn. Die Areale des Bewusstseins können während des Schlafs allerdings nicht auf solche Signale reagieren. Das Furchtzentrum im Gehirn (Amygdala) empfängt dagegen bei besonders auffälligen Geräuschquellen dennoch Signale und aktiviert den Hypothalamus, der seinerseits das vegetative Nervensystem alarmiert.

Alarmbereitschaft im Schlaf

Die Folge ist, dass in der Nebenniere Adrenalin und Noradrenalin ins Blut ausgeschüttet werden, um den Körper in Alarmbereitschaft zu versetzen.
Sofort erhöht das Herz seine Schlagfrequenz und optimiert so die Sauerstoffversorgung. Außerdem verengen sich die Blutgefäße und der Druck steigt, um die Durchblutung der wichtigen Gewebe zu verbessern. Alle für den Moment nebensächlichen Körperfunktionen, wie zum Beispiel die Verdauung werden vom Blutkreislauf abgekoppelt, denn die Durchblutung in den überlebenswichtigen Organen geht jetzt vor. Bei Angriff- oder Fluchtsituationen braucht man nun mal einen klaren Kopf und gut versorgte Muskeln.

All dies geschieht im Schlaf auch ohne unser Bewusstsein und wird durch verdächtige Geräusche ausgelöst. In der Vergangenheit ermöglichte dieses Alarmsystem, uns in kürzester Zeit eine maximale körperliche und geistige Bereitschaft für überlebensnotwendige Reaktionen in Kampf- oder Fluchtsituationen.

Stresshormon Kortisol regt Stoffwechsel an

Nachdem Adrenalin und Noradrenalin schon längst den Körper in Alarmbereitschaft versetzt haben, beginnt mit zeitlicher Verzögerung nun auch die Nebenniere damit, das Stresshormon Kortisol ins Blut auszuschütten. Kortisol bringt unseren Stoffwechsel in Schwung, um dem erhöhten Energiebedarf in Stresssituationen gerecht zu werden. In der Leber wird in der Folge Zucker ins Blut frei gesetzt und aus Fettdepots Fett mobilisiert.

Kortisol hat noch vielfältige andere Wirkungen wie zum Beispiel eine Unterdrückung des Immunsystems, das in Notsituationen kostbare Energie verbrauchen würde.
Alles in allem ein geniales Alarmsystem, das der Spezies Mensch im Laufe der Jahrtausende sicherlich große Dienste im Überlebenskampf erwiesen hat.

Der Säbelzahntiger lässt grüßen

Erst seit wir unsere alte Heimat in den Savannen gegen Straßen, Häuser und Verkehr eingetauscht haben, scheint dieses akustische Alarmsystem überflüssig geworden zu sein. Geräuschquellen gibt es in unserer modernen Welt mehr als genug, aber nur im Ausnahmefall signalisieren sie Gefahren.

Unser Ohr registriert dennoch alle Geräusche und unser Furchtzentrum löst bei starker Beschallung auch im Schlaf nach wie vor die alte "Flucht-oder-Kampf-Reaktion" aus. Das heißt es kommt zur Stresshormonausschüttung in der Nebenniere.

Vor allem das Kortisol wird bei Dauerbeschallung auch dauerhaft erhöht ausgeschüttet und sorgt für einen hohen Blutdruck, hohe Blutfette und hohen Blutzucker. Diese veränderte Blutzusammensetzung und der dauerhaft erhöhte Blutdruck sind die optimalen Wegbereiter für Herz- und Kreislauferkrankungen.

Zum Beispiel bei Menschen, die durch ihren Wohnsitz in der Nähe von Flugplätzen einer erhöhten Beschallung ausgesetzt sind, konnten diese Erkrankungen wesentlich häufiger als im Bevölkerungsdurchschnitt diagnostiziert werden. Hier helfen auf Dauer nur moderne Lärmschutzfenster, die unser Alarmsystem in der Nacht zur Ruhe kommen lassen.

Hier können Sie die ganze Sendung "Angriff auf die Ohren - Stressfaktor Lärm" sehen.

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Jörg Wolf