Freigängerkatzen, die nicht kastriert sind, stellen eine große Gefahr für den Bestand der Wildkatzen dar. Wenn sich Haus- und Wildkatzen paaren, verlieren die Wildtiere auf Dauer ihre wichtigen Überlebenseigenschaften. Außerdem können Hauskatzen gefährliche Krankheiten übertragen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) setzt sich für den Schutz der scheuen Wildkatzen ein. Jochen Steiner hat mit BUND-Wildkatzenexperte Dominik Hahn über die aktuelle Situation gesprochen.
Verbreitung der Art im Südwesten
SWR: Wo leben denn Wildkatzen bei uns im Südwesten überhaupt?
Hahn: Die größte Population in Baden-Württemberg haben wir entlang der Rheinebene. Ansonsten haben wir zwei Gebiete: Und zwar im südlichen Odenwald, also im Norden von Baden-Württemberg und dann noch in Stromberg-Heuchelberg. Das sind aber im Vergleich zur Rheinebene relativ kleine Populationen.
SWR: In Baden-Württemberg gibt es hier und da tatsächlich einzelne Populationen. Wie sieht es in Rheinland-Pfalz aus?
Hahn: In Rheinland-Pfalz ist die Situation wesentlich besser. Dort haben wir fast schon eine flächendeckende Verbreitung der Wildkatze. Da war die Wildkatze auch nicht ausgerottet gewesen, sondern war über das vergangene Jahrhundert dann auch vor Ort gewesen.

Hybridisierung als Risiko
Jochen Steiner, SWR: Wie groß ist denn das Problem der genetischen Vermischung von Haus- und Wildkatze? Wie oft kommt das denn vor?
Dominik Hahn: Aktuelle Untersuchungen deuten darauf hin, dass wir hier vor allem in Baden-Württemberg ein sehr viel größeres Problem mit Hybridisierung, also mit der Vermischung von Hauskatzen und Wildkatzen, haben als im restlichen Deutschland.
Das liegt sicherlich daran, dass wir hier an der Ausbreitungsgrenze der Wildkatze liegen. Also hier war die Wildkatze über 100 Jahre abwesend. Jetzt kommt sie langsam zurück und trifft hier natürlich überwiegend erst mal Hauskatzen und hat wenige Artgenossen mit denen sie sich paaren könnte.
Untersuchungen der Forstlichen Versuchsanstalt Baden-Württemberg haben jetzt an inzwischen sogar drei Orten Hybridisierungsraten von über 50 Prozent festgestellt. Und das ist natürlich ein extrem hoher Wert. Das können wir so zwar nicht auf ganz Baden-Württemberg verallgemeinern, aber Fakt ist: Wir haben ein Problem in Baden-Württemberg und zwar ein stärkeres als im restlichen Deutschland.

Wildkatzen verlieren überlebensnotwendige Merkmale
SWR: Welche wichtigen Anpassungsfähigkeiten verlieren die Wildkatzen denn dadurch?
Hahn: Man muss sehen, dass die Tiere, auch wenn sich doch so ähnlich sehen, zwei völlig verschiedene Arten sind. Die Hauskatze stammt von der Falbkatze ab. Die eigentlich aus dem nahen Mittleren Osten vorkommt und wurde zu uns mit den Römern gebracht. Die Europäische Wildkatze dagegen ist ein Tier, welches eigentlich eine Ureinwohnerin der Urwälder bei uns in Europa ist.
Körperlich gibt es verschiedene Anpassungen, die sich dadurch ändern. Zum Beispiel haben Wildkatzen ein sehr viel dichteres Fell. Deshalb wirken sie auch massiger als eine Hauskatze. Das ist natürlich für die harten Winter entscheidend für das Überleben. Das würde demnach eigentlich auch bedeuten, dass Hybride schlechter mit sehr tiefen Temperaturen zurechtkommen und dadurch Hybridisierung auch weniger stattfindet, weil die hybriden Tiere im Winter nicht so gut überleben könnten.
Jetzt haben wir aber auch durch den Klimawandel die Situation, dass die Tiere mildere Winter erfahren und somit auch Tiere nach der Hybridisierung überleben werden. Im Zweifelsfall, das ist zumindest die Befürchtung, werden die Hybride damit dann auch die Wildkatze verdrängen.
Das ist eine reale Gefahr, die wir zum Beispiel in Schottland beobachten konnten. Dort hat ein sogenannter Hybrid-Schwarm die Wildkatzen-Population vollständig abgelöst.

Kastration von Hauskatzen schützt Wildkatzen
SWR: Wäre denn die Lösung tatsächlich „einfach“ darauf zu achten, dass keine streunenden unkastrierten Katzen draußen unterwegs sind?
Hahn: Das ist sicherlich die effektivste Maßnahme. Wir sehen da zwei Ansatzmöglichkeiten: Zum einen ist es eben die Kastration. Und da finden wir es ganz wichtig, dass die Gemeinden in Baden-Württemberg Katzenschutzverordnungen verabschieden, damit die Bürgerinnen und Bürger verpflichtet sind, ihre Freigängerkatzen auch zu kastrieren oder zu sterilisieren. Dann kann es gar nicht mehr zu dieser Vermischung kommen.
Dann haben wir aber das Problem, dass es nach wie vor auch Streunerkatzen gibt. Aber auch die Streunerkatzen - also die Katzen, die schon verwildert sind - kriegen wir nur dadurch eingedämmt, dass wir Freigängerkatzen sterilisieren oder kastrieren, damit diese Populationen sich mich weiter aufbauen.
Und einen weiteren Ansatz sehen wir darin, dass wir die Kernlebensräume stärken, wo die Wildkatze wirklich heimisch und zuhause ist. Also, dass es im Prinzip gar nicht zu dieser Vermischung kommen muss, weil die Wildkatze gute Lebensräume hat, in denen sie auch unberührt von der Hauskatze leben kann.
Weitere Gefahren für Wildkatzen
SWR: Gibt es denn noch weitere Gefahren neben einer möglichen Hybridisierung, die den Wildkatzen zu schaffen macht?
Hahn: Der Tod an der Straße ist das größte Risiko, was Wildkatzen bei uns begegnet. Die Zerschneidung und Zersiedelung sind sehr stark bei uns in Baden-Württemberg und das stellt natürlich enorme Gefahren dar. Vor allem, wenn wir uns vor Augen führen, dass alle Populationen Baden-Württemberg eigentlich vernetzt sein müssten, damit sich die Wildkatze auch zukünftig stabil entwickeln kann. Ansonsten haben wir beispielsweise Inzuchteffekte oder die Gefahr, dass die Population nicht weiter wachsen kann.
Eine weitere Gefahr besteht dadurch, dass die jungen Wildkätzchen, die im Mai zur Welt kommen, oftmals von Wanderern im Wald verwechselt mit Hauskatzen. Da denkt man ‚oh, was machen diese Kätzchen hier?‘ und dann werden die Jungen mitgenommen.
Später stellt sich dann heraus, dass diese Kätzchen sich irgendwie ganz anders verhalten und gar nicht zutraulich werden. Dann ist es oftmals schon zu spät für die Wildkatzen, weil man das Muttertier dann wahrscheinlich nicht mehr findet und die Kätzchen dann an Aufzuchtstation vermitteln muss.
SWR: Okay, also junge Kätzchen die man findet, einfach im Wald lassen - die sind dort nur kurz, vielleicht während der Nahrungssuche der Elterntiere, alleingelassen worden?
Hahn: Genau, unser Appell lautet: junge Kätzchen im Wald lassen. Ein Tier, das in Not ist, macht auf sich aufmerksam. Das läuft einem dann vielleicht auch hinterher. Das kann dann wirklich eine Einzelsituation sein. Aber ansonsten, wenn man Tiere entdeckt: einfach im Wald lassen.

Lebensräume müssen besser vernetzt werden
Und wenn ich sie heran richtig verstanden habe, ist es das Ziel vom BUND und von anderen Artenschützern, auch die einzelnen Populationen miteinander zu vernetzen, sodass eine stabile Bestandsgröße erreicht wird, richtig?
Hahn: Ja, das ist so. Die Vernetzung ist wirklich das A und O bei der Wildkatze. Sie ist auch eine Stellvertreter-Art auch für viele waldgebundene Arten. Es geht ja nicht nur der Wildkatze so, dass die Vernetzung von Waldlebensräumen extrem wichtig ist, vor allem, wenn wir an unsere Kulturlandschaft denken, die eben kaum Vernetzungskorridore zwischen den Wäldern zulässt.
Und genau solche braucht die Wildkatze, um gefahrlos zwischen Wäldern und Wildkatzen-Vorkommen wandern zu können, sodass auch ein Gen-Austausch stattfindet. Gerade das ist essenziell für eine stabile, gesunde Population.