Auf dem Foto sieht man ein Kind, das einen eingegipsten Arm hat. (Foto: IMAGO, U. J. Alexander)

Sicherheit

Hochbetten – eine Gefahr für Kinder?

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Annegret Faber
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Lena Schmidt

Zwei Drittel der Unfälle bei Kindern passieren nicht auf der Straße oder in der Schule, sondern zu Hause. Oft unterschätzt: die Unfallgefahr von Hochbetten.

Immer wieder kommt es zu tragischen Unfällen durch Hochbetten. In einem Kindergarten in Nordrhein-Westphalen kam dieses Jahr ein zweijähriges Kind zu Tode, da es beim Spielen aus einem Etagenbett gerutscht ist. Dieses Bett war direkt für Kinderkrippen konzipiert. 

Keine verlässlichen Daten

Felix Scharnagl, der beim TÜV Rheinland das Labor für Möbelprüfungen in Nürnberg leitet, fällt auf, dass es von den Herstellern wieder mehr Anfragen gibt, Etagenbetten auf Sicherheit zu prüfen.  

Das könnte auf eine erhöhte Kaufnachfrage hindeuten. Immerhin steigen die Mieten immer weiter und Hochbetten sind platzsparend. Ob aber tatsächlich mehr Betten verkauft werden, weiß Scharnagl nicht. Auch die Möbelindustrie hat dazu auf Anfrage keine Zahlen.  

Mit Unfällen in Etagenbetten sieht es ähnlich aus. Es gibt keine genauen Daten dazu, wie viele es sind und welche Betten konkret betroffen sind: 

Wenn was passiert, dann sind die Eltern meistens mit anderen Sorgen beschäftigt, als dann noch einen Fragebogen auszufüllen, sodass es momentan keine mir bekannte verlässliche Statistik gibt, welche Betten wirklich an Unfällen beteiligt sind.

Die meisten Unfälle passieren zu Hause

Die meisten Unfälle bei Kindern passieren nicht auf der Straße oder in der Schule, sondern zu Hause. Andreas Kalbitz, von der Bundesarbeitsgemeinschaft Mehr Sicherheit für Kinder, sagt, viele Eltern würden das unterschätzen. Am häufigsten seien Stürze. Unter anderem auch vom Hoch- oder Etagenbett, erklärt er.

Man müsse nicht überängstlich sein. Eltern sollten laut Kalbitz aber gut abwägen und sich den richtigen Gebrauch von Produkten für Kinder genauer anschauen. Dadurch könne man viele Risiken schon weitestgehend ausschließen.

Neue Studie schafft mehr Klarheit

Stürze aus Hochbetten sind in der Kinderchirurgie keine Seltenheit. Auch Prof. Dr. med. Martin Lacher von der Uniklinik Leipzig ist aufgefallen, dass sehr viele der behandelten Knochenbrüche auf solche Stürze zurückzuführen sind. Da es an Unfalldaten fehlt, haben sich Leipziger Mediziner die Situation in Sachsen nun genauer angeschaut.  

Lacher erläutert, dass Behandlungen aus acht Jahren, im Zeitraum von 2014 bis 2021, in die Studie eingeflossen sind. Die Ärztinnen und Ärzte notierten in dieser Zeit über 160 Patienten und Patientinnen unter 15 Jahren, die aus ihrem Bett gefallen sind. Die häufigste Folge waren Unterarmbrüche, sagt Lacher. Darauf folgen in absteigender Reihenfolge Schlüsselbein-, Oberarm-, Fuß- und Handbrüche, aber auch Schädelfrakturen, erklärt der Mediziner weiter.

Erst ab einem Alter von 10 Jahren nimmt das Verletzungsrisiko deutlich ab, zeigen die Daten. Vor allem Kinder unter sechs Jahren seien betroffen. Bei ihnen sei die Frakturgefahr Lacher zufolge extrem hoch. In Leipzig seien es vor allem schlafende Kinder gewesen, die aus dem Bett stürzten.

Hochbetten können vor allem für jüngere Kinder Unfallgefahren bergen. (Foto: IMAGO, imago)
Vor allem für jüngere Kinder ist das Risiko eines Knochenbruchs hoch.

Größtes Risiko für Kinder unter sechs

Kinder unter sechs Jahren wollen sich sehr oft in der Nacht an eine Grenze annähern, suchen also den Kontakt zum Bettende und bewegen sich dadurch auch mehr, erklärt Scharnagl. Darum sei dort das Risiko des Herausfallens deutlich höher, als bei Kindern ab sechs Jahren. 

Kinderknochen sind eigentlich weniger anfällig, als die von Erwachsenen, sagt Stefanie Märzheuser, die an der Rostocker Universität die Kinderchirurgie leitet. Davor arbeitete sie 20 Jahre an der Berliner Charité. Kindliche Knochen brechen weniger schnell. Sie sind elastischer, besser durchblutet und heilen auch deutlich schneller und günstiger, erläutert Märzheuser.

Der Grund, warum davon abgeraten wird, kleine Kinder in Hochbetten schlafen zu lassen, ist, dass die Kinder eben wirklich zum einen vergessen, dass sie in einem Hochbett sind und deswegen aus dieser großen Höhe stürzen. Und zum anderen das Hochbett auch als Spielplatz verstehen. 

Auch Märzheuser wollte die Unfall-Situation mit Zahlen untermauern, gemeinsam mit der DIN-Normungszentrale. Der Versuch scheiterte jedoch.  

Der Rettungsstellenarzt sollte in Gegenwart der Eltern ankreuzen, aus welcher Art von Hochbett die Kinder gefallen sind und zusätzlich ein paar technische Daten erheben, beschreibt die Ärztin. Obwohl die Rückantworten frankiert waren und sich das Team wirklich darum bemüht habe, die Menschen zu motivieren, seien sie nicht auf signifikante Zahlen gekommen. Für Märzheuser war das enttäuschend. 

Hochbetten sind kein Spielplatz

Die Möbelindustrie begünstigt nach Einschätzung von Experten diese Unfälle. Es gibt Hochbetten, die gleichzeitig als Spielinsel dienen. Rutschen, Seile und Steuerräder sind ans Bett angebracht und laden zum Toben ein. Für den TÜV eine bedenkliche Entwicklung. Denn nach DIN-Norm (DIN EN 747) sind Etagenbetten für Kinder unter sechs Jahren nicht geeignet, erläutert Scharnagl. Beim Verkauf würde das aber selten kommuniziert.  

Eine bessere Beratung wäre schön. Scharnagl glaubt aber nicht daran, dass sich das in naher Zukunft ändern könnte. Nur das, was mit dem Produkt mitgeliefert wird, sei für die Verkäufer bindend. Laut Scharnagl handelt es sich dabei lediglich um einen Aufkleber am Bett, der anzeigt, dass erst Kinder ab sieben Jahren auf das Bett dürfen.

Hochbetten können vor allem für jüngere Kinder Unfallgefahren bergen. (Foto: IMAGO, imago)
Hochbetten, die gleichzeitig als Spielinsel dienen, begünstigen Unfälle.

Ein weltweites Problem

Die Leipziger Studie liefert nun erstmals brauchbare Daten, die allerdings nur auf Sachsen beschränkt sind. Deshalb verglichen die Leipziger ihre Ergebnisse mit bereits vorhandenen Studien aus Nordamerika, in denen es auch Todesfälle gab. Auch die Forschenden dort kamen zu dem Schluss, dass vor allem Kinder unter sechs Jahren gefährdet sind, erzählt Kinderchirurg Lacher. 

Eine weitere, kanadische Studie habe unter ähnlichen Fragestellungen gezeigt, dass die Altersspanne für die höchste Gefahr bei drei bis fünf Jahren liegt. Von daher wäre es verwunderlich, wenn die Unfälle ein sächsisches Phänomen wären, betont Lacher. Zumindest auf den Rest von Deutschland ließen sich die Zahlen ihm zufolge wahrscheinlich übertragen. 

Schutzmöglichkeiten 

Die Leipziger sagen, dass so ein Hoch- oder Etagenbett für über sechs-Jährige einen Rausfallschutz braucht. Geeignet seien zwei Querstangen, eine Höhe nennen die Forschenden nicht. Der TÜV verlangt ein Geländer 16 Zentimeter über der Matratze.

Vor dem Bett sollten ein weicher Teppich liegen oder ein paar Kissen. Laut TÜV dürfen die Geländerstangen nicht so weit voneinander entfernt sein, dass ein Kind hindurchrutschen und hängen bleiben könnte.

Das Bild zeigt ein Kind, das auf einem Hochbett springt und tobt. (Foto: IMAGO, Westend61)
Hochbetten sollten einen ausreichend hohen Rausfallschutz haben.

Beim Kauf sollten die Eltern auf das GS – Prüfzeichen achten. Das ist, laut TÜV, das einzig verlässliche Zeichen. Es darf nur von ausgewählten Stellen vergeben werden und kontrolliert in dem Fall die Sicherheit für Kinderbetten.

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