Ein Aufzug ins All – das klingt verrückt. Oder zumindest nach Science-Fiction mit Betonung auf Fiction. Doch hört man sich in der Raumfahrtbranche um, wandert diese Betonung tatsächlich wieder in Richtung Science.
Weltraumaufzug in 35.000 Kilometer Höhe
„Ein Aufzug ins All ist eine brillante Idee“, sagt Tommaso Ghidini, Leiter des Mechanical Department bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Diese Abteilung erforscht und entwickelt Technologien für das Leben und Arbeiten im All. Kurz: Ghidini weiß, wovon er spricht.
Er beschreibt das Prinzip so: „Es ist ein Kabel von der Erde ins All, mit einem Satelliten am anderen Ende. Das Kabel reicht bis 35.000 Kilometer über der Erde.“
Diese Höhe ist entscheidend, denn der Schwerpunkt der gesamten Konstruktion muss auf der geostationären Umlaufbahn liegen. Nur dann kreist sich der Weltraumaufzug synchron zur Erdrotation, sodass der Startpunkt auf der Erdoberfläche an einem festen Ort verbleiben kann.

Alternative zum Raketenstart: Elektrischer Antrieb entlang des Aufzugs
„Mit diesem Kabel können wir Fracht, aber auch Menschen ins All bringen, beziehungsweise hochheben. An dem Kabel steigen Gondeln wie ein Aufzug nach oben aus der Atmosphäre hinaus“, erklärt Ghidini.
Der Unterschied zu heutigen Raketenstarts wäre fundamental: Statt schlagartiger Freisetzung gewaltiger Kräfte könnte ein Weltraumaufzug gemächlich, etwa mithilfe von Solarenergie und elektrischem Antrieb, ins All aufsteigen. Fachleute schätzen, dass der Transport von Fracht oder Menschen dadurch bis zu 100-mal günstiger werden könnte – allerdings zunächst ohne die enormen Baukosten einzurechnen.

Materialfrage ungelöst: Kabel von einem Weltraumaufzug müsste extrem belastbar sein
Doch bis dahin sei es noch ein weiter Weg, räumt Ghidini ein. „Das Kabel zum Beispiel: Es gibt noch kein Material, das die Last eines so langen Kabels aushalten könnte." Alle bekannten Materialien würden unter ihrer eigenen Last zusammenbrechen.
"Es gibt aktuell Studien, die Kohlenstoffnanoröhren oder Graphen in den Blick nehmen, aber da sind wir noch weit von einer industriellen Fertigung entfernt. Bisher sind diese Materialien in einer sehr frühen Entwicklungsphase", sagt Ghidini
Spannung und Verankerung: Technische Herausforderungen beim Bau
Hinzu kommen weitere technische Herausforderungen: Das Seil müsste extrem straff gespannt sein. Dadurch würden gigantische Kräfte auf die Basisstation auf der Erde wirken, die diese aushalten können müsste.
Auch das Verankern des Kabels ist kompliziert: Es müsste aus der Umlaufbahn heraus langsam zur Erde abgesenkt werden – was bedeutet, dass das komplette Kabel zunächst mit herkömmlichen Raketen in den Orbit transportiert werden müsste. Alleine das könnte mehr als eine Billion Euro kosten.
Private Initiativen: Japanisches Unternehmen plant Weltraumaufzug
Trotz dieser Hürden gibt es bereits konkrete Baupläne: Die japanische Obayashi Corporation kündigte 2012 an, einen Weltraumaufzug errichten zu wollen – mit geplantem Baubeginn 2025 und Fertigstellung 2050.
Der Bau hat noch nicht begonnen, der Zeitplan also mittlerweile nicht mehr realistisch, wie der Leiter der Abteilung für Zukunftstechnologien bei Obayashi im vergangenen Jahr gegenüber Business Insider auch einräumte. Dennoch hält das Unternehmen an seinem Vorhaben fest und geht davon aus, dass der Bau innerhalb von 25 Jahren abgeschlossen werden könnte – sobald die benötigte Technologie verfügbar ist.

Zeithorizont ungewiss: Entwicklung könnte Jahrzehnte dauern
ESA-Experte Tommaso Ghidini sieht das deutlich skeptischer: „Es kommt darauf an, ob wir überhaupt ein geeignetes Material finden werden. Meine, ich würde sagen, fundierte Schätzung ist 50 Jahre bis mehrere hundert Jahre.“
Noch müssen wir uns also gedulden, bis wir – anstelle auf riesigen Raketen – vielleicht in einer mit seichter Musik beschallten Aufzugskabine, in der unangenehm wenig gesprochen wird, ins All reisen können.
Aber so verrückt, wie die Idee klingen mag, ist sie nicht. „Die Idee ist sehr elegant, finde ich. Die Physik dahinter funktioniert. Das einzige Problem ist unsere begrenzte Technologie“, so Ghidini.