In Teilen der Münchener Innenstadt wurde die Maskenpflicht bereits eingeführt. (Foto: IMAGO, imago images/Michael Westermann)

Was nutzen diese Anti-Corona-Maßnahmen:

Sperrstunde, Alkoholverbot und Maskentragen in der Innenstadt

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Anja Braun
Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell. (Foto: SWR, Christian Koch)

Sperrstunde, Alkoholverbot und Maskenpflicht in der Innenstadt - damit reagieren immer weitere Großstädte auf die steigende Zahl an Corona-Infizierten. Was nutzen diese Maßnahmen?

Während eine Großstadt nach der anderen zu drastischen Maßnahmen greift wie Sperrstunde bereits um 23.00, Alkoholausschankverbot, Maskenpflicht in der Innenstadt, fragen sich viele Menschen, was diese Maßnahmen denn tatsächlich konkret zur Eindämmung des Coronavirus nutzen.

Immer mehr Städte und Regionen in Deutschland werden zu Risikogebieten erklärt. Doch welche Corona-Maßnahmen sind da überhaupt sinnvoll? (Foto: IMAGO, imago images/Christian Ohde)
Immer mehr Städte und Regionen in Deutschland werden zu Risikogebieten erklärt. Doch welche Corona-Maßnahmen sind da überhaupt sinnvoll?

Eine schwierige Frage für die Wissenschaft, denn bisher gibt es nur Modellierungen und Beobachtungsstudien zu den Anti-Corona-Maßnahmen im Frühjahr, aber diese Arbeiten sind keine kontrollierten Studien.

Sie können nur erfassen, welche Länder welche Maßnahmen wann durchgeführt haben und wie sich im Anschluss die Infektionszahlen verändert haben. Und dabei haben sie nie alle Einflussfaktoren im Blick. Zwei große Studien dazu sind vor kurzem im Preprint erschienen.

Die relative Wirkung von acht Maßnahmen in 41 Ländern hat Jan Brauner von der Universität Oxford untersucht. An der Universität Wien hat sich ein Team um Peter Klimek sogar 46 Maßnahmen in 76 Regionen angeschaut.

Am wirksamsten ist das Verbot von kleineren Gruppentreffen

Kurz gefasst: Die Wiener Studie ergibt, dass das Verbot von kleineren Gruppentreffen die höchste Wirksamkeit hatte. Gefolgt von Einschränkungen an Flughäfen, Quarantäne und Aufklärung der Bevölkerung. Dann Hilfen für Risikogruppen und Schließung von Schulen.

Das bestätigt auch die Studie aus Oxford. Zumindest für den angenommenen "Best Case". Da sehen die Wissenschaftler*innen das Verbot von kleineren Gruppentreffen als die wichtigste Maßnahme, gefolgt vom Verbot von Großveranstaltungen.

Gerade in größeren Städten, wie hier in Berlin, wird wieder viel gefeiert. Wo viele Menschen ohne Schutz eng zusammenkommen, kann sich das Virus natürlich relativ schnell verbreiten.  (Foto: IMAGO, imago images/Sabine Gudath)
Gerade in größeren Städten, wie hier in Berlin, wird wieder viel gefeiert. Wo viele Menschen ohne Schutz eng zusammenkommen, kann sich das Virus natürlich relativ schnell verbreiten.

Stuttgart und Mainz schränken die Personenzahl bei Gruppentreffen ein

In Stuttgart dürfen sich ab 14. Oktober nur noch 10 Menschen zu Festen in Privathäusern treffen, in Gaststätten sind es 25. In Mainz dürfen sich nur noch fünf Personen oder zwei Haushalte im öffentlichen Raum treffen. Bei Privatfeiern wie Hochzeiten oder Geburtstagen sind nur noch maximal 20 Personen in einem Raum erlaubt. Außerdem wird die Höchstzahl der Personen bei Veranstaltungen im Freien auf 250 reduziert, in geschlossenen Räumen auf 50. Sport im Freien ist nur noch für feste Kleingruppen von maximal 20 Personen erlaubt, in der Halle höchstens fünf.

Im Worst-Case waren Laden- und Schulschließungen die wirksamste Maßnahme

Die Oxford-Studie hat auch das Worst Case Szenario heraus gearbeitet. Im schlimmsten Fall ist es am wirksamsten, alle Läden bis auf die systemrelevanten Geschäfte zu schließen, direkt gefolgt von Schul- und Unischließungen und dem Verbot von Treffen mit mehr als 10 Personen. Ausgangssperre, Maskenpflicht und Verbot von Großveranstaltungen sind im schlimmsten Fall nicht so wirksam, da ja bereits andere großflächig wirkende Maßnahmen durchgeführt werden.

Sperrstunde und Alkoholverbot

Ein Alkoholverbot oder die frühzeitige Sperrstunde für Restaurants und Bars nannte keine der Studien als wirksame Maßnahme. Doch genau das haben einige deutsche Großstädte nun beschlossen, als Reaktion auf die steigenden Corona-Fallzahlen. Politiker hoffen so, ausufernde Partys und alkoholbedingte Unvorsichtigkeit einzuschränken.

Experten halten die Einführung von Sperrstunden als Gegenmaßnahme zur Verbreitung der Corona-Pandemie für eher nutzlos.  (Foto: IMAGO, imago images/Christian Ohde)
Experten halten die Einführung von Sperrstunden als Gegenmaßnahme zur Verbreitung der Corona-Pandemie für eher nutzlos.

Wissenschaftler zweifeln an der Wirksamkeit dieser Maßnahmen. Der leitende Epidemiologe des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung, Gérard Krause, warnt, dass durch die früheren Schließzeiten möglicherweise mehr Menschen in einer kürzeren Zeit zusammentreffen.

Bisher seien Sperrstunden noch nie als Infektionsschutzmaßnahme in Erwägung gezogen worden. Die Forscher aus Oxford und Wien erklären, zum Thema Alkoholverbot als Corona-Vorsichtsmaßnahme könnten sie keine Aussagen treffen. Da fehlten schlicht die Daten, wie sehr das in einer Pandemie helfe. Sicher sei jedoch, dass es nicht die wichtigste Maßnahme ist.

Der Nutzen von Alkoholverboten ist fraglich. Wissenschaftlich erwiesen ist er nicht. Denn das Problem wird dadurch nur verlagert – in der Regel einfach auf einen anderen Platz. Dort können sich die Menschen dann genauso alkoholisiert und enthemmt näher kommen.

Der Hamburger Edpidemiologe Ralf Reintjes hält es je nach Region und Situation durchaus für sinnvoll, ein Alkoholausschankverbot auszusprechen. So begrüßt er es durchaus im Rotlichtviertel St Pauli in Hamburg. Reintjes sagte dem SWR, in mehr bürgerlichen Bereichen halte er es aber für keine zielführende Maßnahme.

Verbote werden meist umgangen. Hier feiern junge Leute bei einer illegalen Goa-Party im Treptower Park in Berlin. (Foto: IMAGO, imago images/Travel-Stock-Image)
Verbote werden meist umgangen. Hier feiern junge Leute bei einer illegalen Goa-Party im Treptower Park in Berlin.

Erfahrungen mit der Sperrstunde in Großbritannien

Zur Sperrstunde gibt es bereits Erfahrungen aus Großbritannien: Dort gilt schon seit September für Kneipen, Pubs, Bars und Restaurants eine Sperrstunde um 22.00. Doch die Gäste gehen um 22.00 selten nach Hause, sondern drängen sich dann eben vor den Pubs herum und trinken weiter. Wirtschaftsforscher Flavio Toxvaerd von der Universität Cambridge schlägt deshalb vor, die Pubs gerade länger aufzuhalten – um den Andrang so zu entzerren. So verteile sich der Ansturm der Leute auf mehr Zeit.

Auch der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit warnt, illegale Partys nach der Sperrstunde seien nicht mehr gut zu kontrollieren. Deshalb sollte man den jungen Leuten besser Angebote machen, wie Clubbesuche mit vorherigen Schnelltests, sobald die Kapazitäten dies zulassen. Schmidt-Chanasit findet, man müsse Signale senden, dass auch die Bedürfnisse der jungen Bevölkerung wichtig seien. So könne man sie zum Mitmachen bewegen.

Der Hamburger Epidemiologe Ralf Reintjes sagte dem SWR dagegen, er halte es durchaus für sinnvoll die Zeit zu begrenzen, in der potentiell Infizierte mit anderen zusammentreffen können. Und gerade am Abend, wenn Menschen alkoholisiert seien, würde weniger auf Distanz geachtet. Reintjes setzt darauf, dass anders als in Großbritannien, die Menschen hier den Sinn der Sperrstunde einsehen und sich auch daran halten.

Maskentragen im Freien, in Fußgängerzonen, auf Märkten

In Stuttgart muss ab dem 14. OKtober in der Innenstadt Maske getragen werden. Diese Maßnahme halten Virologen, wie zum Beispiel der Bremer Wissenschaftler Andreas Dotzauer für richtig. Überall dort, wo es zu engeren Kontakten kommen kann, ist ein Mund-Nasen-Schutz sinnvoll. Denn die Maske bringe zusätzliche Sicherheit. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert sogar eine allgemeine Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen. Auch das Robert-Koch-Institut empfiehlt das Tragen von Masken in dicht gedrängten Situationen im Freien, wenn dort der Mindesabstand nicht eingehalten werden kann.

In Teilen der Münchener Innenstadt wurde die Maskenpflicht bereits eingeführt. (Foto: IMAGO, imago images/Michael Westermann)
In Teilen der Münchener Innenstadt wurde die Maskenpflicht bereits eingeführt.

In Belgien, den Niederlanden, Frankreich ist das Maskentragen im Freien in vielen Regionen vorgeschrieben, in Spanien landesweit.

Beherbergungsverbot

Zahlreiche Bundesländer haben im Zuge der steigenden Zahlen Beherbergungsverbote für Bürger aus Corona-Hotspots verhängt, also aus innerdeutschen Regionen, in denen der Grenzwert 50 überschritten ist. Der Hamburger Virologe Schmidt-Chanasit hält das nicht für sinnvoll. Innerdeutsche Reisen seien nicht der Grund für die steigenden Zahlen. Die Infektionsherde seien stets in den betroffenen Städten selbst entstanden.

Über Beherbungsverbote für Reisende aus Corona-Hotspots wird derzeit noch heftig gestritten.Bei der Eindämmung der Pandemie dürfte diese Maßnahme eine eher geringere Rolle spielen.  (Foto: IMAGO, imago images/Steinach)
Über Beherbungsverbote für Reisende aus Corona-Hotspots wird derzeit noch heftig gestritten.Bei der Eindämmung der Pandemie dürfte diese Maßnahme eine eher geringere Rolle spielen.

Auch der Chef des Kassenärzte-Verbandes, Andreas Gassen, hält das Beherbergungsverbot für unwirksam. Er warnt in der Neuen Osnabrücker Zeitung: "Durch den Wust an nicht nachvollziehbaren Regelungen verlieren wir aber eventuell die Akzeptanz für die Maßnahmen, die wirklich etwas bringen".

Der Epidemiologe Ralf Reintjes hält das Beherbergungsverbot allerdings aus epiemiologischer Sicht für sinnvoll und wirksam. Denn je mehr Durchmischung von Bevölkerungsgruppen stattfinde, desto stärker könne sich das Virus verbreiten. Deshalb sei es wichtig, Reisen bis aufs Minimum zu reduzieren. Im Urlaub habe man in der Regel mehr Kontakte mit Menschen aus anderen Regionen, das sei in Corona-Zeiten schwierig, diese Kontakte sollten dringend minimiert werden. Reintjes sieht eher ein Problem darin, wie diese Maßnahme kommuniziert wird.