Klimawandel

Zugvögel werden immer kleiner

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AUTOR/IN
Thomas Hillebrandt
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Ralf Kölbel

Forscher aus den USA zeigen in einer neuen Studie, dass Zugvögel in den letzten vierzig Jahren kleiner und leichter geworden sind. Einen großen Einfluss hat wohl auch der Klimawandel.

Fensterscheiben als Todesfalle

Wer seit mehr als 40 Jahren an Frühlings- und Herbsttagen um halb vier morgens aufsteht, der muss schon sehr für seine Wissenschaft brennen – und das tut Dave Willard. Seit 1978 hat der Ornithologe vom Naturhistorischen Museum in Chicago im Frühling und Herbst dasselbe Ziel: „McCormick Place“, Nordamerikas größtes Kongresszentrum, mit riesigen, teilweise voll verglasten Hallen, direkt am Michigan See.

Daten von zehntausenden Vögeln

Auf dem Platz vor den Hallen sammelt er seit nunmehr über 40 Jahren, zusammen mit freiwilligen Helfern, frühmorgens tote Vögel ein. Zugvögel, die nachts über den See anfliegen und immer wieder in die großen Fensterflächen krachen.

Der Ornithologe Dave Willard (Foto: Pressestelle, Field Museum, Michigan)
Dave Willard hat in den letzten Jahren eine eindrückliche Sammlung an Vögeln zusammengetragen.

Vögel schrumpfen

Im Laufe der Jahre sammelten Willard und sein Team über 100.000 tote Vögel. Dave Willard hat jedes einzelne Tier ganz genau vermessen und die Daten dann von Hand in ein großes Buch eingetragen.

So ist eine einmalige Datenbank entstanden, die der Ornithologe nun zusammen mit Ökologen und Evolutionsbiologen ausgewertet hat. Das eindeutige Ergebnis der Analyse von genau 70.716 Vögeln aus 52 Arten: Die Größe all dieser Arten hat seit 1978 kontinuierlich abgenommen.

Dave Willard sammelt seit über 40 Jahren tote Vögel (Foto: Pressestelle, Field Museum, Michigan)
Dave Willard sammelt seit über 40 Jahren tote Vögel, die an der Glasfront des McCormick Place, Amerikas größtem Kongresszentrum, ihr Leben verloren haben.

Körpergröße und Klima hängen zusammen

Die Körpermasse der Vögel, die Knochenlängen der Unterschenkel, die Gesamtkörpergröße - alles wurde im Laufe der Jahrzehnte kleiner. Die Beinknochenlänge zum Beispiel verringerte sich bei allen Arten um 2,4 Prozent. Nur die Spannweite der Flügel hat zugenommen - im Durchschnitt um 1,3 Prozent.

Die Vogelforscher sehen diese Veränderungen in direktem Zusammenhang mit dem Ansteigen der Durchschnittstemperatur. Den Grund dafür beschreibt die sogenannte „Bergmannsche Regel“, benannt nach dem deutschen Wissenschaftler Carl Bergmann, der die Regel bereits 1847 aufstellte.

52 unterschiedliche Vogelarten hat Dave Willard bislang im Einzugsbereich des Kongresszentrums gefunden.  (Foto: Pressestelle, Field Museum, Michigan)
52 unterschiedliche Vogelarten hat Dave Willard bislang im Einzugsbereich des Kongresszentrums gefunden.

Danach ist die Körpergröße von gleichwarmen Säugetieren und Vögeln an das Klima gebunden. Innerhalb einer Art sind Tiere in kalten Klimazonen in der Regel größer als ihre Gegenstücke in wärmeren Gegenden. Denn größere Tiere haben im Verhältnis zu ihrem Volumen eine geringere Oberfläche und dadurch einen geringeren Wärmeverlust.

Im Umkehrschluss heißt das: Je wärmer es am Lebensraum ist, umso kleiner können die Tiere sein.

Vögel scheinen sich im Laufe der Jahre an die Folgen des Klimawandels anzupassen.  (Foto: Pressestelle, Field Museum, Michigan)
Vögel scheinen sich im Laufe der Jahre an die Folgen des Klimawandels anzupassen.

Kleinere Vögel für steigende Temperaturen

Die Tatsache, dass die seit 1978 gefundenen Vögel immer kleiner geworden sind, ist daher nach Ansicht der Forscher darauf zurückzuführen, dass in den Sommerbrutgebieten der Vögel nördlich von Chicago die Temperaturen in den letzten vierzig Jahren nachweislich gestiegen sind.

Dass die Flügelspannweite der Vögel hingegen zugenommen hat, erklären die Wissenschaftler damit, dass die Vögel so auch mit kleineren Körpern noch ihre langen Wanderungen unternehmen können.

„Wir hatten durch frühere Studien einen guten Grund zu der Annahme, dass steigende Temperaturen zu einer Verringerung der Körpergröße führen würden“, sagt Brian Weeks von der University of Michigan, einer der Autoren der Studie: „Es war jedoch absolut überraschend, dass alle von uns vermessenen Vogel-Arten evolutionsbiologisch auf ähnliche Weise reagiert haben.“

Die Sammelleidenschaft von Dave Willard (Foto: Pressestelle, Field Museum, Michigan)
Die Sammelleidenschaft von Dave Willard bescherte der Ornthologie eine riesige Datenbasis für Untersuchungen.

Schatz für Biologen

Die Sammelleidenschaft von Dave Willard vom Naturhistorischen Museum in Chicago hat einen einzigartigen Schatz der Biologe geschaffen, den die Forscher nun weiter auswerten wollen.

Dave Willard erinnert sich auf jeden Fall noch gut an diesen Morgen im Frühjahr 1978, als er das erste Mal zum „McCormick Place“ ging, weil ihm jemand erzählt hatte, dass da immer wieder Vögel in die Scheiben fliegen.

„Ich glaube nicht, dass ich mir die Mühe gemacht hätte, zurückzukehren, wenn ich an diesem Morgen keine Vögel gefunden hätte“, sagt der heute 73 Jahre alte Ornithologe, „aber ich habe ein paar tote Vögel gefunden und sie zurück ins Museum gebracht – und dann hab‘ ich eben immer weiter gemacht.“

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