Eine Operation am offenen Herzen ist ein schwerwiegender und nicht ganz ungefährlicher medizinischer Eingriff. Bei einem Großteil der Patienten führt diese Tatsache vor der Operation zu Angst und Stress. Das ist nicht nur in diesem Moment für die Patienten unangenehm. Es wirkt sich auch negativ auf die Ergebnisse nach der Operation aus.
Virtueller Spaziergang zur Entspannung vor Herz-OP
Der Stress vor der Operation führt zu verminderter Aktivität, mehr Schmerzen und einer erhöhten Einnahme von Medikamenten nach der Operation. In einer Studie mit hundert Patientinnen und Patienten untersuchten nun Herzchirurgen an der Mayo Clinic, wie sich ein Entspannungstrip im Cyberspace, ein Schlendern auf einer angenehmen Uferpromenade in der virtuellen Realität, auf das Erleben der Patienten rund um die Operation auswirkt.

Virtual Reality sorgt für echtes Empfinden
Ein naheliegender Ansatz für den Psychiater Bartosz Zurowski, der an der Uniklinik in Lübeck bereits eine Studie zum Einsatz der virtuellen Realität gegen Angst und Depression geleitet hat. Die beruhigende Wirkung solcher Szenarien in der virtuellen Realität ist gut belegt, so Zurowski:
"Wir haben kein System, keine Software, die es uns erlaubt, zu unterscheiden zwischen echt und unecht in dieser Situation. Der virtuelle Eindruck ist so durchdringend, der kapert sozusagen unser Wahrnehmungssystem und versetzt uns automatisch – ob wir es wollen oder nicht – in diese Situation. Zwar ist die Umgebung nur virtuell, aber das Empfinden ist echt, als wären wir tatsächlich in dieser Situation.“

Emotionaler Zustand beeinflusst Verlauf einer OP
Die Herzchirurgen Joseph Dearani und John Stulak von der Mayo-Clinic betonen in ihrem Fachartikel die Bedeutung des emotionalen Zustands vor und nach der Operation. Bisher hätten sie Musik und Massagen nach den Herzoperationen angeboten, um die negativen Auswirkungen von Angstzuständen auf die OP-Ergebnisse zu mindern.
Für ihre Studie zum Einfluss von Entspannung in der virtuellen Realität auf die OP-Ergebnisse rekrutierten Dearani und Stulak hundert Patientinnen und Patienten zwischen 21 und 80 Jahren. Vor der Operation trugen die Herzkranken Sensoren, um physiologische Daten wie Herz- und Atemfrequenz aufzuzeichnen - objektive Parameter zur Beurteilung des Stresszustandes der Studienteilnehmer vor der Operation.

Intensives Naturerlebnis mit Virtual Reality
Außerdem mussten die Teilnehmenden vor und nach der Operation einen Angst-Fragebogen ausfüllen. Darin hatten sie zwanzig Fragen zu beantworten, die sich auf ihre aktuellen Gefühle bezogen. Die Teilnehmenden wurden auf zwei Gruppen verteilt.
Die eine erlebte ihr zehnminütiges Entspannungsprogramm – ein Spaziergang durch eine Uferpromenade im Wechsel der Jahreszeiten – als Video auf einem Tablett. Die andere Gruppe durchliefen das Naturerlebnis intensiver mit einem Headset in der virtuellen Realität. Die beiden Studienarme seien wichtig, so die Herzchirurgen, weil es Patienten gebe, die im Cyberspace Symptome einer Reisekrankheit entwickelten.

Virtual Reality hat keine Nebenwirkungen
Ein Grund für die Studie mit der computergestützten Entspannungstechnik: Herkömmliche Beruhigungsmittel haben unerwünschte Nebenwirkungen, wie der Psychiater Bartosz Zurowski erklärt: "Beides, sowohl die negative Wirkung auf die Atmung, die sogenannte Atemdepression, als auch die kognitiven Defizite sind klassische – mit die wichtigsten – Nebenwirkungen der am weitesten verbreiteten Medikamente zur Senkung der Angst, der Benzodiazepine."

Virtual Reality deutlich wirksamer als Tablet
Und was waren nun die Ergebnisse der Studie? Der Entspannungstrip verlangsamte die Pulsfrequenz in beiden Gruppen – sowohl in der Tablet-Gruppe, als auch in der Gruppe, die sich im Cyberspace entspannte. Allerdings zeigte die Auswertung der Angst-Fragebögen einen deutlichen Unterschied. Hier erreichte nur die Gruppe mit dem intensiven Cyberspace-Erlebnis eine signifikante Verbesserung der allgemeinen Angstwerte.
Mit den Tablets wurden nur Teilerfolge erzielt. Die Forscher betonen, dass weitere Studien nötig seien, um das Potenzial der virtuellen Realität als Alternative zu Beruhigungsmitteln in der Chirurgie zu erforschen. Bartosz Zurowski von der Uniklinik Lübeck sieht in im Einsatz der virtuellen Realität zur Reduktion von Ängsten generell ein großes Potenzial:
"Als Psychiater denke ich natürlich zuerst an so etwas wie Angststörungen, Zwangsstörungen, bei denen es gilt, die Patienten zu einer Konfrontation mit den angstauslösenden Situationen zu ermutigen, das funktioniert sehr sehr gut. Solche Situationen wie Angst, Anspannung, Unruhe haben wir natürlich auch vor Eingriffen – je schwerer sie sind, desto größer. Da kann man diese Angst vorher reduzieren."
Vielleicht wird der medizinische Cyberspace ja in Zukunft in Konkurrenz zu zahlreichen Psychopharmaka treten. Die Studie der Mayo Clinic hat es gezeigt: Unter anderem können so unerwünschte Nebenwirkungen der Pharmazeutika vermeiden werden.