Matthias Maurer bei seiner Rückkehr nach Deutschland im Interview (Foto: IMAGO, IMAGO / NurPhoto)

Raumfahrt

So erlebte Matthias Maurer auf der ISS den Beginn des Ukrainekriegs

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Uwe Gradwohl
Uwe Gradwohl, Leiter der Redaktion SWR Wissen Aktuell. (Foto: SWR, Christian Koch)
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Leila Boucheligua

Als vor einem Jahr der russische Angriffskrieg in der Ukraine beginnt, befinden sich sechs Menschen auf der Internationalen Raumstation ISS – unter ihnen ist der deutsche Matthias Maurer. Er berichtet, was der Kriegsbeginn auf der ISS bedeutet hat.

Als die russischen Soldaten im Februar in die Ukraine einfallen sind gerade sechs Menschen auf der Internationalen Raumstation ISS: Drei Amerikaner, zwei Russen und ein Europäer. Es ist ein Deutscher: Matthias Maurer. Er erlebt hautnah, was der Beginn des Krieges auf der ISS verändert, was in den Stunden und Tagen nach Kriegsausbruch dort geschieht. Ebenso wird ein früherer Chef der Europäischen Raumfahrtagentur ESA mit Veränderungen infolge des Krieges konfrontiert.

Seit 22 Jahren Zusammenarbeit zwischen West und Ost auf der ISS

Der Einfall der russischen Truppen in die Ukraine ist für Matthias Maurer an Bord der ISS ein Einschnitt. Seine Stimmung ist am Tiefpunkt während er um die Erde kreist.

Das war der traurigste, der mit Abstand traurigste Tag oben im All in den sechs Monaten, in denen ich oben war. Das war eine ganz entsetzliche Vorstellung, dass da unten mitten in Europa ein Krieg ausgebrochen ist. Wir oben im All, wir leben in so einer heilen Welt, in so einer idealen Welt.

22 Jahre lang hatten West und Ost durch die Zusammenarbeit auf der ISS Vertrauen aufgebaut. Aber am Tag des Kriegsausbruchs überlegt Maurer, ob und wie er überhaupt diese beklemmende Stimmung an Bord der ISS durchbrechen und mit seinen russischen Kollegen in ein Gespräch über den Kriegsausbruch kommen kann.

Matthias Maurer mit der gesamten Crew auf der ISS (Foto: Pressestelle, NASA)
Matthias Maurer (rechts) mit der gesamten Crew auf der ISS.

Das erlebte der ehemalige Chef der Europäischen Weltraumagentur

Während Maurer an diesem 24. Februar 2022 noch zögert, greift in Darmstadt Jan Wörner zum Telefon. Als ehemaliger Chef der Europäischen Weltraumagentur verfügt er zu diesem Zeitpunkt noch über einen freundschaftlichen Draht zu Dimitrij Rogosin, dem Chef der russischen Raumfahrtbehörde. Wörner meldet sich besorgt bei Rogosin, der ihm aber versichert, dass die vielfältige europäisch-russische Kooperation im Weltraum unter dem Krieg kaum leiden werde, denn, so Rogosin, in drei Tagen sei die Ukraine besiegt und der Krieg zu Ende.

Als das so nicht eintritt, wird der russische Raumfahrtchef in den folgenden Tagen gegenüber dem weiter den Kontakt suchenden Wörner immer ungehaltener. Zwischen zwei bis dahin partnerschaftlich verbundenen Kollegen reißt der Gesprächsfaden ab.

Matthias Maurer auf der ISS dagegen findet schließlich ein unverfängliches Thema, um mit seinem russischen Kollegen ein Gespräch über den Krieg zu beginnen. Einer der Kosmonauten hat nämlich Familie auf der Krim, erzählt Maurer:

Antons Familie lebt ja auf der Krim und daher war es für mich ganz einfach, als Einstieg zu fragen: Wie geht es deiner Familie? Ist deine Familie in Ordnung? Ist die betroffen oder ist die in Gefahr? Und in dem Gespräch war sofort klar: Er ist komplett gegen den Krieg.

Maurer bemerkt aber, dass seine Kosmonautenkollegen zunächst der russischen Propaganda glauben, der zufolge in der Ukraine Terroristen bekämpft werden müssten. Erst Tage später verstehen sie, dass es sich um einen russischen Angriffskrieg handelt und distanzieren sich davon.

Matthias Maurer bei einem Außeneinsatz auf der ISS (Foto: IMAGO, IMAGO / ZUMA Wire)
Als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angreift, befindet sich der deutsche ESA-Astronaut Matthias Maurer mit drei amerikanischen und zwei russischen Kollegen auf der Internationalen Raumstation ISS. Nach insgesamt 175 Tagen auf der ISS kehrt Maurer am 6. Mai 2021 schließlich zurück nach Deutschland.

Auch für die ISS begann mit dem Kriegsbeginn eine neue Ära

Nach dem 24. Februar macht es sich Maurer an Bord der ISS zur Aufgabe, darauf zu achten, dass jede weitere Belastung für den Zusammenhalt auf der ISS vermieden wird. Dazu dienen ihm auch kleine Gesten: Da die russischen Kreditkarten wegen der Sanktionen nicht mehr funktionieren, bucht Maurer mit seiner Kreditkarte für seine russischen Kollegen die auf der ISS beliebten westlichen Musikstreamingdienste. Doch auch wenn der Zusammenhalt in der Erdumlaufbahn so gewahrt bleibt – Mit dem 24. Februar 2022 ist die kleine Welt auf der Raumstation eine andere geworden.

Auch für die ISS – ein Friedensprojekt aus den 1990ern – hat mit dem Tag des Überfalls auf die Ukraine eine neue Ära begonnen. Im amerikanischen Teil der Raumstation, in dem auch Maurer untergebracht ist, beginnt nach Kriegsbeginn die Diskussion, ob man nicht von der ISS aus eine Friedensbotschaft formulieren sollte, die Bodenkontrolle in Houston schreitet ein, berichtet Maurer:

Ja, wir haben das nicht nur überlegt, wir haben das sogar stark diskutiert, mit meinem Kollegen Mark Vande Hei. Dem hat es wirklich unter den Nägeln gebrannt. Er hat gesagt: Ich möchte aber was sagen, ich muss das jetzt unten klarstellen. Aber uns wurde gesagt: Jungs! Alles, was ihr hier oben sagt, das ist gut gemeint, aber es wird gegen euch verwendet werden. Da werden Sequenzen rausgeschnitten. Eure Worte werden in einen anderen Zusammenhang gebracht und das Ganze wird nochmal Öl ins Feuer gießen.

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