Die ersten Lebensjahre prägen unser Vertrauen in andere Menschen und beeinflussen unsere psychische und körperliche Gesundheit bis ins Erwachsenenalter.
Doch, wenn wir als Kinder stark belastende Erfahrungen machen müssen, etwa weil wir vernachlässigt oder körperlich wie auch emotional missbraucht werden, dann kann das langfristige Folgen haben - nicht nur für unsere Psyche, sondern auch für unsere körperliche Gesundheit.
Belastende Erfahrungen in der Kindheit in Deutschland keine Seltenheit
Das Thema betrifft leider keine Minderheit. In Deutschland sind belastende Kindheitserfahrungen sehr häufig: Etwa ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung berichtet von prägenden negativen Erlebnissen in der Kindheit, die ihre spätere Entwicklung und ihr Wohlbefinden beeinträchtigten.
Johannes Kruse, Kongresspräsident und Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Uniklinikum Gießen und Marburg, schlüsselt auf:.
"20 Prozent der Menschen in Deutschland berichten über moderate bis schwere Missbrauchs- und Vernachlässigungserfahrungen im Alter bis zum 12. Lebensjahr. Knapp 6 Prozent berichten über sexuelle Missbrauchserfahrungen, 6 Prozent über massive körperliche Missbrauchserfahrungen. Emotionale Missbrauchserfahrung ist im ähnlichen prozentualen Bereich und über emotionale Vernachlässigung berichten 12,6 Prozent der Bundesbürger."
Erlebnisse können sich auf spätere Beziehungen auswirken
Wenn diese Erlebnisse nicht verarbeitet oder aufgefangen werden, können sie langfristige Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben. So kann es Betroffenen zum Beispiel sehr schwer fallen, stabile Beziehungen aufzubauen.
Die Folgen gehen aber weit darüber hinaus, sagt Johannes Kruse. Depressionen, Ängste, aber auch funktionelle körperliche Beschwerden oder posttraumatische Belastungsstörungen - all das trete bei den Menschen im Erwachsenenalter gehäuft auf, die in ihrer Kindheit entsprechende Missbrauchs- und Gewalterfahrungen gemacht haben. Die Depressionsrate sei bei diesen Menschen doppelt so hoch als bei Menschen, die das nicht erlebt haben.
"Wir haben ein 2,7-fach erhöhtes Risiko für Angststörungen bei diesen Patienten und wir haben aber auch vermehrt chronische körperliche Erkrankungen. Auch Menschen mit einem Typ-2-Diabetes berichten deutlich vermehrt über Missbrauchserlebnisse gegenüber gesunden Patienten", erklärt der Mediziner.

Erwachsene haben dann höhere Anfälligkeit für psychische und auch körperliche Erkrankungen
Insgesamt führen schwere frühkindliche Belastungen dazu, dass die Betroffenen deutlich anfälliger sind für psychische Erkrankungen – aber auch für körperliche Erkrankungen – und zwar ihr Leben lang. So wirken Traumatisierungen durch die kindliche Missbrauchserfahrungen zum Beispiel auf unseres psychovegetatives Nervensystem, schildert der Kruse:
"Das zeigt sich auch in der Form, wie wir körperlich auf Stress reagieren als Erwachsene. Es gibt Menschen, die reagieren sensibler auf Stress als andere. Gerade Menschen mit entsprechenden Missbrauchserfahrungen entwickeln hier eine erhöhte körperliche Sensibilität."
Menschen mit negativen Kindheitserfahrungen haben meist große Schwierigkeiten, anderen Menschen und Informationen zu vertrauen. Das hat auch Auswirkungen auf das soziale Miteinander. Die Forschung beschäftigt sich in jüngster Zeit verstärkt damit, denn:
"Das ist nicht nur ein individuelles Problem. Es gibt aktuelle Studien dazu, dass diese schweren frühkindlichen Traumata auch vermehrt bei Menschen auftreten, die Verschwörungstheorien und Verschwörungsmentalität in Zeiten von Covid anhängen."
Verschiedene Therapieformen können Betroffenen helfen
Die sich selbst verstärkende Spirale aus Misstrauen und der daraus folgenden Einsamkeit führt offenbar bei vielen Betroffenen dazu, dass sie offen für Verschwörungstheorien sind. Eine problematische Entwicklung.
Doch wie können Menschen mit kindheitlichen Missbrauchserlebnissen gut und effizient behandelt werden? Bisher gibt es bereits vielfältige und sehr hilfreiche Therapien. Wie zum Beispiel psychodynamische und verhaltenstherapeutische Verfahren, traumafokussierte Techniken sowie körperorientierte Methoden wie Achtsamkeitstraining.
In einer sehr umfassenden Studie wird nun untersucht, welche Therapien am besten wirken. Die Ergebnisse sollen auf dem Kongress vorgestellt werden.