Prof. Nancy Ip Yuk-yu, Direktorin von HKCeND und Professorin für Biowissenschaften an der Hong Kong University of Science and Technology (HKUST), im Science Park. (Foto: IMAGO, IMAGO / ZUMA Wire)

Wissenschaft International

Chinas Staatsführung und die freie Forschung und Lehre

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Steffen Wurzel
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Carla Vinetta Richter

Chinas Staats- und Parteiführung gibt Unsummen für Forschung und Wissenschaft aus. Doch in der Grundlagenforschung ist China in vielen Bereichen noch ein Entwicklungsland. Die Forschungszusammenarbeit mit China wird immer schwieriger.

Es sei nicht einfach, eine Wissenschaftsnation von Weltklasse zu werden – nur echte Innovationskraft bringe China in der Forschung voran. Mit diesen Worten machte Staats- und Parteichef Xi Jinping beim Besuch eines Weltraumforschungszentrums im September 2020 deutlich: Die Volksrepublik hat bei Innovation und Forschung deutlich zugelegt, ist aber noch nicht am Ziel.

Chinas Staats- und Parteiführung hat die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den vergangenen Jahren regelmäßig erhöht. Auch in den nächsten Jahren sollen die Wissenschaftsinvestitionen weiter zulegen: Die Kommunistische Partei hat ein jährliches Plus von jeweils mehr als sieben Prozent vorgegeben.

Entwicklung und Fortschritt

Auch bei der Zahl der Patente und der wissenschaftlichen Publikationen legt die Volksrepublik zu. Besonders erfolgreich ist das Land im Bereich der digitalen Kommunikationstechnik: In diesem Bereich hat China 2021 sogar die USA überholt.

Lars Jaeger, Physiker, Sachbuchautor und Wissenschaftsblogger, nennt Chinas Wissenschaftsambitionen beeindruckend. Zurzeit sei die Volksrepublik vor allem bei der Entwicklung neuer Technologien weltklasse: “Ob das auch für die wissenschaftliche Basis gilt - also dort, wo die wissenschaftlichen Fundamente gelegt werden - da bin ich mir nicht so sicher,” sagt Jaeger im Gespräch mit SWR2.

Portrait Lars Jaeger (Foto: Privat)
Der Physiker und Wirtschaftsblogger Lars Jaeger ist beeindruckt von der Anzahl von wissenschaftlichen Publikationen Chinas.

So wie Lars Jaeger sehen das auch viele andere Beobachterinnen und Beobachter: Bei der Anwendung von Forschung, also bei der Entwicklung von Technologieprodukten, gehört China zu den weltweit führenden Nationen. Das gilt zum Beispiel für die Bereiche Gentechnik, Quantencomputer- und Digitaltechnik.

Kann eine totalitäre Gesellschaft überhaupt zu einer führenden Wissenschaftsnation werden?

Doch was die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung angeht, liegt China weiterhin deutlich hinter den USA, Europa, Japan und anderen westlichen Demokratien. Die Gründe reichen von Problemen im chinesischen Bildungssystem - das sich nach wie vor durch Konformität und Auswendiglernen auszeichnet - bis hin zur allgegenwärtigen staatlichen Kontrolle und der immer stärker werdenden Rolle der Kommunistischen Partei. Chinas KP ordnet ihrer Doktrin inzwischen alle Gesellschaftsbereiche unter – das gilt ausdrücklich auch für Forschung, Lehre und Wissenschaft.

Ein medizinischer Mitarbeiter nimmt einen Anruf in der Notaufnahme des Minhang-Krankenhauses der Fudan-Universität in Shanghai, Ostchina, entgegen. (Foto: IMAGO, IMAGO / Xinhua)
China ist laut Lars Jaeger sehr gut auf der technologischen Seite entwickelt, jedoch nicht im Bereich der Grundlagenforschung.

„Die ganz kreativen Geister, die für die Wissenschaft im Grunde die Voraussetzung sind, wollen eigentlich auch in einer offenen Gesellschaft leben; also in einer Gesellschaft, in der sie sich frei ausdrücken können, wie und wo sie wollen.”

Jaeger wirft die Frage auf, ob eine totalitäre Gesellschaften wie China überhaupt zu einer führenden Wissenschaftsnation werden könne. Schließlich brauchten Kreativität und Innovationen Freiraum, keine Denkverbote.

Die Wirtschaftsethikerin Alicia Hennig hat fünf Jahre lang an verschiedenen Universitäten in China als Professorin gelehrt, unter anderem als Assistant Professor am Harbin Institute of Technology (HIT) in Shenzhen und als Associate Professor of Business Ethics an der Southeast University (SEU) in Nanjing. Überall habe sie gespürt, wie der Druck der Kommunistischen Partei auf Chinas Hochschulen wachse. Alle Universitäten Chinas seien inzwischen ein Sprachrohr der KP. Für freie Lehre und Forschung sehe sie keinen Freiraum mehr, sagt Hennig im SWR.

Chinas Regierung in der Universität

Zuletzt hat Alicia Hennig in China als Dozentin an der Shanghaier Jiaotong-Universität gearbeitet. Die Hochschule gehört zu den angesehensten Universitäten der Volksrepublik. Dort spürte Hennig ganz konkret, wie versucht wurde, Einfluss auf ihre Lehre zu nehmen. So bekam sie E-Mails von der Hochschul-Leitung Leitung mit dem Hinweis: "Wir müssen sicherstellen, dass der Begriff “Menschenrechte” nicht auftaucht in den Präsentationen.”

Innenansicht der Bibliothek der Pekinger Universität in Peking, der Hauptstadt von China.  (Foto: IMAGO, IMAGO / Xinhua)
Die deutsche Wirtschaftsethikerin Alicia Hennig arbeitete als Dozentin an einer chinesischen Universität.

In Hörsälen und Seminarräumen überall in China wurden in den vergangenen Jahren Überwachungskameras und Mikrofone aufgehängt. Alicia Hennig sagt, dass sie das in ihrer Arbeit als Dozentin beeinflusst habe – und zu mehr Selbstzensur führte. Nicht nur die Kameras, auch die zunehmend verhärtete politische Stimmung unter den Studierenden – als Ergebnis einer zunehmend nationalistischen Schulbildung in China - sorgten bei ihr für eine Art Schere im Kopf:

„Wir hatten auch teilweise (im Unterricht) Ländervergleiche. Und dann stellt sich die Frage: Kann ich zum Beispiel sagen, dass Japan und die USA in diesen und jenen Bereichen besser sind als China? Oder wird das dann gleich als Affront verstanden gegen China.”

Eine Trendwende hin zu mehr freier Lehre und offenem Denken ist in Chinas Forschungs- und Wissenschaftsszene nicht zu erwarten, im Gegenteil; auch wenn die Staats- und Parteiführung immer wieder behauptet, sie wolle das Land weiter öffnen.

Sind die Türen wirklich offen?

Bei einem Vortrag vor Journalistinnen und Journalisten im März 2022 betonte Chinas Wissenschaftsminister Wang Zhigang zwar, dass die Volksrepublik ihre Türen “noch weiter als bisher öffnen” werde - insbesondere im Bereich der Wissenschaft.

Der chinesische Minister für Wissenschaft und Technologie Wang Zhigang wird nach der zweiten Plenarsitzung der vierten Tagung des 13. Nationalen Volkskongresses (NVK) in Peking per Videoverbindung interviewt. (Foto: IMAGO, IMAGO / Xinhua)
Der chinesische Wissenschaftsminister Wang Zhigang möchte China angeblich für internationale Forschende öffnen.

Doch mit der Realität hat diese nicht viel zu tun. Seit mehr als zwei Jahren hält Chinas Staats- und Parteiführung die Grenzen der Volksrepublik fast vollständig geschlossen - unter Hinweis auf den Kampf gegen die Covid19-Pandemie. In der Folge sind inzwischen fast keine ausländischen Studierenden mehr im Land. Auch Reisen ausländischer Wissenschaftsdelegationen nach China sind de facto nicht mehr möglich. Eine baldige Wiederöffnung der Grenzen ist nicht absehbar.

Sachbuchautor und Wissenschaftsblogger Lars Jaeger rechnet damit, dass sich China noch weiter abschotten wird: Der politisch-gesellschaftliche Kurs der Staatsführung in Peking werde immer orthodoxer und das könne dazu führen, dass China nicht mehr viel mit dem Westen zu tun haben wolle. Langfristig schade sich die Volksrepublik damit allerdings mehr als dem Westen, betont Jaeger.

Die Wirtschaftsethikerin Alicia Hennig ist nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie in China Anfang 2020 zurück nach Europa gereist. Danach betreute sie ihre chinesischen Studentinnen und Studenten online weiter. Heute lehrt Hennig am Internationalen Hochschulinstitut (IHI) Zittau, das zur TU Dresden gehört. Sie plädiert ausdrücklich dafür, sich weiter mit China auseinanderzusetzen, sieht Forscherinnen und Forscher aus demokratisch regierten Staaten aber in einem Dilemma:

Portrait von Alicia Hennig (Foto: Privat)
Alicia Hennig war Dozentin an einer chinesischen Universität.

„Das Grundproblem ist einfach, dass man, wenn man eine Forschungskooperation mit chinesischen Forschern eingeht, dass man leider mitbedenken muss, dass man damit leider auch im Dienste der Partei steht.”

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