Etwa die Hälfte aller Studienanfängerinnen und Studienanfänger schreiben sich heute an einer Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) ein. Dieses Studienangebot boomt.
Universitäten hatten sich lange dagegen gesträubt, dass die HAWs auch selbst Promotionen betreuen dürfen. Doch mittlerweile sind viele Hochschulen auf Augenhöhe mit den Unis. Das zeigt eine aktuelle Publikation des CHE Centrum für Hochschulentwicklung.
Hessen macht den Anfang
Genau vor zwei Jahren hatten nur die Hälfte der Bundesländer den Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften eine eigene Promotion ermöglicht. Heute sind es bereits 12 von 16 Bundesländern - eine wirklich beeindruckende Entwicklung, meint Ulrich Müller. Er ist Leiter politischer Analysen beim CHE Centrum für Hochschulentwicklung.
"Es braucht am Anfang Mutige, die voran gehen. Das war vor allem Hessen mit der Hochschule Fulda. Die hat 2016 schon das eigenständige Promotionsrecht bekommen. Weil das so überzeugend läuft, haben die anderen Länder irgendwann keinen Grund mehr gehabt, das ihren Hochschulen für angewandte Wissenschaften vorzuenthalten."

Nur vier Bundesländer hinken noch hinterher - das sind Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen. Doch auch diese Bundesländer arbeiten an einem eigenständigen Promotionsrecht für ihre Hochschulen. In maximal drei Jahren, schätzt Ulrich Müller, können Studierende in ganz Deutschland eigenständig an einer Hochschule promovieren.
Keine umständlichen Umwege über Universitäten
An der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in Sankt Augustin bei Bonn ist das bereits möglich. Vor zwei Jahren hat Alexander Busch dort direkt als Promovierender angefangen. Er erforscht die Strukturoptimierung von Kunststoffteilen. Dass er nicht in Kooperation mit einer Universität promovieren muss, hat für ihn entscheidende Vorteile:
"Ich persönlich finde es ganz toll, dass man promovieren kann in einer Hochschule, die man bereits kennt, ohne dass man sich ein externen Betreuer suchen muss von einer Uni und den überzeugen muss, dass das Thema überhaupt promotionswürdig ist. Sondern dass das alles hier irgendwie im Haus mit den Professoren, mit den Mitarbeitern, die man bereits seit Jahren kennt, ablaufen kann."

Unis stellten sich gegen das Promotionsrecht an Hochschulen
Doch warum gab es überhaupt diese Unterscheidung im Promotionsrecht zwischen Universität und Hochschule? "Die Unis haben sich gegen ein Promotionsrecht für Fachhochschulen gewehrt, weil sie gesagt haben: 'Wir als Uni, wir sind die Wissenschaftlichen. Wir machen die Grundlagenforschung, da sind wir stark. Ihr, liebe Fachhochschulen, seid doch für die Lehre da'", so Müller.
Daran wollten die Universitäten auch gerne festhalten. Lange gab es daher für Promotionsinteressierte an Fachhochschulen nur die Möglichkeit der kooperativen Promotion - also einer Promotion, die von Professoren der Fachhochschule und von solchen an der Universität gemeinsam betreut wurden.
Hochschule oder Universität - wer hat die besseren Standards?
Durch die Studienreform mit dem Namen Bologna, die die Abschlüsse Bachelor und Master eingeführt hat, wurden auch die Hochschulen aufgewertet. So wurde zum Beispiel der Masterabschluss an den Hochschulen gleichwertig zum Masterabschluss der Universitäten.
Der diskriminierende Zusatz "FH" hinter dem Abschluss fiel weg. Hinzu kommt, dass die Hochschulen immer stärker wachsen: Die Zahl der Studienanfänger und -anfängerinnen ist in den letzten 30 Jahren um 150 Prozent gestiegen. Heute sind die Unterschiede zu den Universitäten kaum mehr spürbar, versichert Müller:
"Es gab irgendwann keinen Grund mehr zu sagen, nur weil ihr an einer Fachhochschule seid, dürft ihr nicht promovieren. Weil das, was eine Promotion ausmacht, können die HAWs genauso gut und ich bin mal so frech zu sagen, manche können das inzwischen sogar besser als manche Universitäten."
Schließlich müssen Hochschulen für das Recht eine eigenständige Promotion zu betreiben sehr hohe Qualitätsstandards erfüllen. Das beginnt damit, dass die Professorinnen und Professoren eine gewisse Anzahl von Publikationen, Drittmitteleinwerbung und auch Betreuungserfahrung haben müssen und dass die Bewertung der Promotion nie allein vom Betreuer vorgenommen werden darf. Diese Voraussetzungen erfülle nicht jede Uni, meint Müller.
Hochschulpolitik 25 Jahre Bologna – Warum die Hochschulreform so nicht funktioniert
Vor 25 Jahren begann die bisher umfangreichste Reform des europäischen Hochschulsystems. Von den erhofften Verbesserungen für Studierende und Lehrende sind bisher nur wenige eingetreten.
Praxis versus Wissenschaft
Natürlich sind Promotionen an Hochschulen anders angelegt. Denn die praxisorientierte Anwendung ist auch dabei sehr wichtig, "also lösungsorientiert in Kooperation mit der Wirtschaft und eben nicht zwingend - wie an der Uni - mit Blick auf wissenschaftliche Karriere, sondern gerne auch nachher in der Industrie zum Beispiel landend (...) das ist sehr reizvoll. Und deswegen greift das jetzt bundesweit um sich", meint Ulrich Müller, Leiter politischer Analysen beim CHE Centrum für Hochschulentwicklung.