Medizin

Führt Pollenflug zu höheren Corona-Infektionszahlen?

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AUTOR/IN
Merle Janssen

Pollen einzuatmen schwächt die Immunreaktion gegen gängige Erkältungsviren. Auf die gleiche Weise könnten wir anfälliger für eine Coronainfektion sein, sagen Forschende der TU München in einer neuen Studie.

Wie vor einem Jahr das neuartige Coronavirus verbreitet sich derzeit eine neue Studie wie ein Lauffeuer: „Covid-19-Risiko steigt bei Pollenflug“, so meldete es die Technische Universität München am 09. März. Aber die Forscher und Forscherinnen selbst mahnen an, keine Panik zu schüren.

Als Mitte März 2020 weltweit die Infektionszahlen anzogen und die Weltgesundheitsorganisation WHO erstmals offiziell von einer Pandemie sprach, waren viele Baumpollen unterwegs: Hasel, Erle, Ulme, dann Pappel, Weide, Birke, wie Allergiker:innen nur zu gut wissen. In der nördlichen Hemisphäre war es um diese Zeit warm und trocken.

Pollen beeinträchtigen die Immunabwehr

Starker Pollenflug und gleichzeitig erhöhte Infektionsraten, das erinnerte das internationale Forscherteam an frühere Erkenntnisse dazu, wie Pollen die Immunabwehr beeinträchtigen. Durch eingeatmete Pollen auf der Nasenschleimhaut produzieren die Zellen weniger Wirkstoffe gegen Viren. Weniger dieser sogenannten Interferone bedeutet, dass Viren sich leichter vermehren und auf Nachbarzellen übergreifen können.

Pollen (Foto: IMAGO, imago/Ralph Peters)
Pollen lähmen die Schleimhaut, sodass der Körper anfälliger für Virusinfektionen sei, so Umweltexpertin Claudia Traidl-Hoffmann. Unabhängig davon, ob jemand eine Allergie hat oder nicht.

Bekannt war so ein Polleneffekt zum Beispiel für das Rhinovirus, ein Erkältungsvirus, das sich wie das Coronavirus über die Luft verbreitet. Daher fragten sich die Forscher:innen, ob auch Corona-Infektionen mit der Pollenbelastung zusammenhängen. An Versuchen mit Mäusen konnten sie schon zeigen, „dass Pollen die Schleimhaut lähmen und den Weg bahnen für Sars-CoV-2-Infektionen“, so die Studienautorin Claudia Traidl-Hoffmann. Der lähmende Effekt auf die Schleimhaut könne drei Tage anhalten.

Korrelation zwischer hoher Pollenbelastung und Covid-19-Infektionsrate

Wie die Pollenkonzentration in der Luft sich im Frühling 2020 entwickelte, so entwickelten sich auch die Zahlen der Corona-Neuinfektionen. In Regionen, in denen die Pollenbelastung hoch war, war die Infektionsrate hoch - 100 Pollen pro Kubikmeter mehr, und die Infektionsrate stieg durchschnittlich um 4 Prozent. Das stellte das Forscherteam anhand von Daten von 130 Pollenmessstationen in 31 Ländern fest.

Einen stärkeren Einfluss auf den Verlauf der Infektionszahlen habe allerdings der Lockdown gehabt. Die Forscher:innen wollen ihre Ergebnisse richtig verstanden wissen: „In der gegenwärtigen Pandemiesituation hängt die Ausbreitung der Sars-CoV-2-Infektion in erster Linie von der Interaktion von Person zu Person ab, was sich in dem signifikanten Effekt des Lockdown widerspiegelt“, heißt es im Forschungsbericht.

Studie stoppt vor zweitem Höhepunkt der Pollensaison

Wegen der Lockdown-Maßnahmen erfasste das Forscherteam ab Anfang April 2020 keine neuen Daten mehr – „mitten in der Pollensaison“, gibt Prof. Jan Nicolay zu Bedenken, der die Allergologische Abteilung am Universitätsklinikum Mannheim leitet. Unberücksichtigt bleibt damit der Hochpunkt der Gräserpollen.

Pollen (Foto: IMAGO, imago images/localpic)
Die Belastung durch Haselpollen war vor allem im März 2020 stark. Der Gipfel der Baumpollen geht etwa bis Mai.

Und Nicolay sei den Studienautor:innen dankbar, wie er sagt, dass sie "die Vorsicht walten lassen" und nicht von einer Ursache-Wirkung sprechen, sondern von zunächst einem statistischen Zusammenhang.

Die Studie sagt uns nicht, dass Pollenflug in irgendeiner Weise das Risiko, an Covid zu erkranken, erhöht.

Gezeigt würde lediglich eine Korrelation. Nichtsdestotrotz hält Nicolay den Erklärungsansatz der Forschergruppe für plausibel: "Wenn das Immunsystem sehr stark damit beschäftigt ist, die Pollen sozusagen zu checken, dann hat es unter Umständen weniger Möglichkeiten, sich auf die Coronaviren zu konzentrieren." Auf Basis der jetzigen Daten sei das aber spekulativ.

Allergiker:innen nicht mehr gefährdet als andere

Um Pollen von den Schleimhäuten fernzuhalten, rät Claudia Traidl-Hoffmann, sich über den Pollenflug zu informieren und auch draußen eine entsprechende Filter-Maske zu tragen. Da der Polleneffekt sich nicht auf Allergiker:innen beschränkt, richtet sie die Empfehlung an alle, die ein Risiko hätten, eine Covid-19-Erkrankung zu erleiden. Nach wie vor gebe es keine Daten, die zeigen würden, dass Allergiker besonders gefährdet wären, ergänzt Jan Nicolay.

FFP2-Maske (Foto: IMAGO, imago images / ZUMA Wire)
FFP2-Masken auch im Freien zu tragen, schützt vor Pollen.

Der Allergologe versteht Maskentragen im Freien als Möglichkeit, nicht als strikte Anweisung. "Das ist eher die Entscheidung jedes Einzelnen, als dass ich jetzt sagen würde: Aus medizinischer Sicht muss klar dieser Rat gegeben werden."

Sommerwetter könnte Polleneffekt ausgleichen

Als die Forscher:innen um Traidl-Hoffmann die Studie vorstellen, beschäftigt die Zuhörenden ein Thema: Was wird der Sommer bringen? Denn zurückgedacht an den letzten Sommer seien die Infektionszahlen vergleichsweise niedrig gewesen, obwohl im Sommer noch Pollensaison ist. Dem Forscherteam liegen keine Pollendaten aus dem Sommer 2020 vor, und so denkt Traidl-Hoffmann an andere Faktoren, die einer Virusinfektion eher entgegenwirken würden: Die Menschen halten sich weniger in geschlossenen Räumen auf und es ist insgesamt wärmer. Weniger Neuinfektionen vermutet sie auch für den kommenden Sommer. "Wir glauben, dass der stärkste Effekt im Frühjahr zu sehen sein wird."

Keine Hinweise, dass Pollenkörner Viruspartikel tragen

Tatsächlich denken die Forscher:innen, den Effekt der Pollen im Moment sehen zu können. Denn im derzeitigen Lockdown müssten die Zahlen sinken, doch sie tun es nicht. Die bisher gesammelten Daten würden für einen Polleneffekt sprechen. Trotzdem wiederholt Traidl-Hoffmann: "Nur Pollen allein macht keine Virusinfektion."

Die Studie macht keine Aussage darüber, ob Pollen die Schwere der Infektion beeinflussen. Die Forschenden der TU München und aus Augsburg wollen in einer weiteren Studie untersuchen, ob sie Biomarker finden, an denen man den Verlauf einer Covid-19-Erkrankung frühzeitig abschätzen kann. Dazu suchen sie Patienten, die sich gerade neu infiziert hätten. Wer einen positiven Testbescheid bekommt, ist aufgerufen, sich auf der Homepage von Unika-t für die Studie zu melden.

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Merle Janssen