Umwelt

Plastik aus Flüssen fischen – Ist das realistisch?

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Gabor Paal
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Ralf Kölbel

Das Plastik auf den Flüssen einfangen, bevor es ins Meer gelangt: Das ist das nächste große Ziel des Niederländers Boyan Slat und seiner Firma Ocean Cleanup. Kann das funktionieren?

Das erste Ziel von Ocean Cleanup war, Plastik mit großen Sammelgeräten aus den Plastikstrudeln im Pazifik einzufangen und an Land zu bringen. Jetzt will die Firma das Problem an der Wurzel bekämpfen. Sogenannte „Interceptoren“ sollen Plastik schon auf den großen verschmutzten Flüssen der Welt aufsammeln und so verhindern, dass es überhaupt ins Meer gelangt.

Wie funktioniert ein „Interceptor“?

Das lässt sich am besten anhand einer Plastiktüte beschrieben, die den Fluss herabtreibt. Diese Plastiktüte wird zunächst auf eine Barriere stoßen, die von einem der Flussufer schräg in den Fluss hineinragt. Dadurch wird die Plastiktüte in Richtung des gegenüberliegenden Ufers abgelenkt. An diesem Ufer befindet sich ein Stück flussabwärts eine weitere ähnliche Barriere. An ihr entlang treibt die Plastiktüte wiederum in Richtung des eigentlichen Auffanggeräts.

Es ist eine Art Schiff, dessen Spitze flussaufwärts zeigt. An dieser Spitze endet die zweite Barriere. Die Plastiktüte wird also an die Schiffsspitze transportiert und von dort über ein Fließband ins Schiffsinnere befördert. Dort soll all das Plastik gleich in entsprechende Behälter sortiert werden, die dann an Land gebracht werden. Im Idealfall wird das Plastik dort recycelt.

Der Trick mit den zwei in den Fluss ragenden Barrieren ermöglicht es, einen Großteil des Plastiks aufzufangen, ohne die übrige Schifffahrt zu behindern.

So funktioniert der Interceptor - Erklärvideo von "Ocean Cleanup" (englisch)

Ist das ein vernünftiger Ansatz?

Vergleichen mit dem, was Ocean Cleanup bisher versucht hat – nämlich das Plastik auf dem Pazifik einzusammeln – hat das neue Konzept vermutlich ein größeres Potenzial: Im Pazifik fischt Ocean Cleanup nur das Plastik an der Oberfläche ab. Doch mehr als 99 Prozent des Plastiks im Ozean schwimmen darunter. Das Plastik verteilt sich längst bis die Tiefsee. Das kann Ocean Cleanup gar nicht mehr einfangen. In den Flüssen besteht dagegen die Chance, wirklich einen beträchtlichen Teil des Plastiks abzufangen, bevor es überhaupt ins Meer gelangt.

Auch dürfte der Aufwand, Plastik innerhalb eines begrenzten Flussquerschnitts einzusammeln, wesentlich geringer sein als wenn sich das Plastik erstmal auf dem offenen Meer verteilt hat und dort langsam zersetzt.

Zwar würden die neuen „Interceptoren“ keinen Müll aus dem Meer herausholen, sondern nur verhindern, dass neues Plastik ins Meer gelangt. Auf lange Sicht könnte das aber der effizientere Ansatz sein.

Interceptor soll Flüsse vom Plastikmüll befreien (Foto: Pressestelle, “The Ocean Cleanup”)
Der Niederländer Boyan Slat und seine Firma Ocean Cleanup wollen mit der neuen Entwicklung "Interceptor" Flüsse vom Plastikmüll befreien.

Ocean-Cleanup-Gründer Boyan Slat sagt, 1000 Flüsse seien für 90 Prozent des Plastiks im Meer verantwortlich, stimmt das?

Er sagt leider nicht, woher er diese Zahl hat. Richtig ist: Der Eintrag von Plastikmüll konzentriert sich auf wenige große Flüsse. So haben Forschende des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung Leipzig und der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf vor zwei Jahren schon ermittelt, dass nur 10 Flusssysteme für 90 Prozent der Plastikfracht in Flüssen verantwortlich sind. Die meisten davon befinden sich in Asien, allen voran der Jangtse (China), der Indus (Pakistan) und der Gelbe Fluss (China). Das heißt, wenn man sich auf diese 10 Flüsse konzentriert, könnte man wirklich viel erreichen.

Allerdings sagen Schätzungen auch, dass überhaupt nur 20 Prozent des Meeresplastiks über Flüsse in die Ozeane gespült wird und 80 Prozent auf anderem Weg: Einleitungen aus küstennahen Städten, Verwehungen über die Luft usw. Das alles sind aber grobe Schätzungen. Die Interceptoren könnten den Eintrag von Plastik somit nicht komplett unterbinden, trotzdem wäre das „Reinigen“ der Flüsse auf jeden Fall ein hilfreicher Ansatz.

Interceptor soll Flüsse wie hier in Indonesien vom Plastikmüll befreien. (Foto: Pressestelle, “The Ocean Cleanup”)
Interceptor soll Flüsse wie hier in Indonesien vom Plastikmüll befreien.

Ocean Cleanup gibt an, ein Interceptor könne 50 bis 100 Tonnen Plastik aus einem Fluss holen. Was ist davon zu halten?

Wenn das stimmt, wäre das eine gute Größe. Es wird geschätzt, dass täglich weltweit ca 5.000 bis 10.000 Tonnen Plastik über Flüsse eingetragen wird. Dann ließe ziemlich genau diese Menge mit 1.000 solcher Interceptoren einsammeln. Und das ist ja das, was Boyan Slat vorschwebt.

Ist das realistisch?

Bisher sind das Ankündigungen. Da muss man bei Boyan Slat vorsichtig sein: Er hat auch beim ersten Ocean Cleanup-Projekt – also der Sammelaktion auf den Meeren – mehr versprochen als er bisher halten konnte. Am Anfang hat es überhaupt nicht geklappt. Dann meldete er vor ein paar Wochen „erste Erfolge“, man habe große Mengen Plastik im Pazifik eingefangen. Aber konkretere Angaben über die Mengen, die Art des Plastiks oder auch Nebenwirkungen wie den Beifang war nichts zu hören.

Immerhin hat Ocean Cleanup schon Prototypen dieser Interceptoren entwickelt. Sie schwimmen auf zwei stark verschmutzten Flüssen in Indonesien und Malaysia. Es handelt sich um eher kleinere Flüsse. Das lässt zumindest darauf schließen, dass Boyan Slat – anders als bei seinem Pazifik-Sammelsystem – das neue System erst getestet hat, bevor er es in der Öffentlichkeit verkündet hat. Demnächst soll auch ein Interceptor im Mekong Delta in Vietnam in Betrieb gehören – und auch der Mekong gehört zu den „Top 10“ der am stärksten plastikverschmutzten Flüsse.

Interceptor im Einsatz in Malysia (Foto: Pressestelle, “The Ocean Cleanup”)
Interceptor im Einsatz in Malysia. Gerade im asiatischen Ram sind viele Flüsse extrem mit Plastikmüll belastet, der über diesen Weg in die Meere gelangt.
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