Am Large Hadron Collider (LHC) werden Protonen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aufeinander geschossen. „Man muss sich vorstellen, dass so ein LHC-Strahl die kinetische Energie von einem Hochgeschwindigkeitszug hat. Und da muss man sehr vorsichtig mit umgehen“, sagt Markus Klute. Er leitet das Institut für Experimentelle Teilchenphysik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und analysiert seit vielen Jahren die Daten, die bei den Teilchenkollisionen im Beschleuniger gemessen werden.
LHC soll fundamentale Fragen beantworten
In der dritten Messphase des LHC, dem sogenannten Run 3, sollten in den Jahren 2022, 2023 und 2024 insgesamt dreimal mehr Daten aufgezeichnet werden, als seit der Inbetriebnahme des LHC im Jahr 2008 gesammelt wurden. Die Forschenden hoffen, aus den Messungen der Teilchenkollisionen Antworten auf fundamentale Fragen der Physik zu erhalten: Welche Eigenschaften hat das Higgs-Teilchen, das im Jahr 2012 erstmals gemessen wurde? Gibt es noch mehr Elementarteilchen als bisher bekannt? Aus was besteht die unsichtbare Dunkle Materie?

Es läuft nicht immer alles rund
Doch auch bei einer „Weltmaschine“ wie dem LHC geht manchmal etwas schief. So etwa Mitte Juli, als ein Baum auf eine Stromleitung in der Nähe der Stadt Lausanne gefallen war: „Um 1.00 Uhr und 17 Sekunden am Montag, den 17. Juli, wurden die LHC-Strahlen nach nur 9 Minuten Kollisionszeit wegen einer elektrischen Störung abgestellt“, schreibt Rende Steerenberg in seinem „Accelerator Report“. Er leitet die Strahlen-Abteilung am LHC und ist bekannt als der Mann, der den LHC „einschaltet“.
Dass sich der LHC bei einer Störung von alleine ausschaltet, passiert öfters und ist sogar beabsichtigt. Damit wird verhindert, dass sich der Beschleuniger unkontrolliert aufheizt oder dass die Strahlen unkontrolliert abgelenkt werden. Leider ist diesmal beim Abschaltvorgang etwas kaputt gegangen.

Riss stoppt vorerst alle Messungen
Was genau passierte, nachdem der Baum eine Störung im Stromnetz ausgelöst hatte, erklärt Markus Klute von KIT: „Der LHC hat diese Störung gesehen und dann automatisch entschieden, dass der Strahl „gedumpt“ werden muss. Das heißt, er wird in einen Block geschossen. Das passiert sehr schnell und automatisch. Dann ist aber gleichzeitig noch etwas passiert.
Die Magnete, die wir benutzen damit der LHC-Strahl auf eine Kreisbahn gezwungen wird, die werden bei sehr niedrigen Temperaturen betrieben – kälter als der Weltraum.“ Diese Magnete haben sich beim Abschaltvorgang aufgewärmt. Während sich die Wärme im Material ausgebreitet hat, haben sich die einzelnen Elemente, aus denen die Magnete zusammengesetzt sind, minimal bewegt. Dabei ist ein Riss entstanden, der repariert werden muss.

Wie repariert man einen Teilchenbeschleuniger?
Bevor Techniker die unterirdische Röhre betreten konnten, musste diese von minus 273 Grad Celsius auf Zimmertemperatur aufgewärmt werden. Das dauert etwa eine Woche. Währenddessen werden Röntgenbilder von der kaputten Stelle gemacht, um herauszufinden, wo genau sich der Riss befindet. „Nach dem Aufwärmen konnte man die Maschine ein bisschen auseinandernehmen, und dann auch schon reparieren. Dafür gibt es Ersatzstücke, die man einsetzt. Das ist wie bei einem alten Auto. Wenn etwas kaputt ist, baut man ein neues Teil ein. Und hier baut man eben ein neues Verbindungsstück ein“, erklärt Markus Klute.
Den Teilchenbeschleuniger zu reparieren, ist also gar nicht so aufwändig. Nervig ist nur die Zeit, die es braucht, um den 27 Kilometer langen Ring wieder fast auf den absoluten Nullpunkt abzukühlen. Das dauert mindestens vier Wochen.
Skurrile Missgeschicke in der Vergangenheit
Vielleicht können sich die Forscher damit trösten, dass der Baum auf der Stromleitung nicht das erste Missgeschick in der Geschichte des Teilchenbeschleunigers war: 1996 war in dem Tunnel noch das Vorgängermodell des LHC in Betrieb. Eines Tages wurde der Strahl immer wieder durch ein unbekanntes Hindernis geblockt, er schaffte es also nicht durch die gesamte Röhre. Der Grund dafür waren zwei Bierflaschen, die dem Strahl den Weg versperrten. Die Flaschen waren wohl bei der Arbeit im Tunnel von Technikern zurückgelassen worden.
Im Jahr 2009 war es keine menschliche Ursache, sondern ein verirrter Vogel, der den Teilchenbeschleuniger zum Stillstand brachte: Der Vogel hatte ein Stück Baguette auf eine Stromschiene abgelegt. Das Baguette verursachte einen Kurzschluss und die Temperatur der Magnete stieg um 8 Grad Celsius an. Damals war glücklicherweise nichts weiter kaputt gegangen. 2016 gab es noch einmal einen kuriosen Zwischenfall, verursacht durch einen tierischen Besucher: Ein Wiesel war an einen Transformator geraten und der dadurch entstandene Kurzschluss sorgte für einen zweiwöchigen Ausfall der Messungen.

Messungen sind dennoch vielversprechend
Dass sich die Baum-Störung von vor drei Wochen ausgerechnet in der Hochphase der Messungen ereignet hat, ist trotzdem extrem schade. Doch Professor Klute und seinen Kollegen wissen, dass solche Zwischenfälle bei einer Weltmaschine wie dem LHC immer wieder passieren können:
„Im ersten Moment ist das schon sehr schade, denn wir hatten wirklich ein gutes Jahr. Aber dann legt man sich zurück und überlegt, wie komplex die Maschine ist und wie viele einzelne Punkte die Maschine hat, die dann tatsächlich irgendwie auch mal kaputt gehen können.“
Die Daten, die der LHC bis Ende 2024 aufgezeichnet haben wird, sind dennoch vielversprechend: So hohe Kollisionsenergien wurden bisher noch nie in einem Teilchenbeschleuniger erreicht. Das Institut von Markus Klute ist auch maßgeblich an der Auswertung der Daten beteiligt. Am Karlsruher Institut für Technologie steht einer von weltweit nur 13 Großrechnern, auf denen die Messdaten der Teilchenkollisionen gespeichert und ausgewertet werden.
