Alkoholindustrie als Wirtschaftsmacht

Wie die Alkohol-Lobby Beschränkungen verhindert

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AUTOR/IN
Frank Wittig

In Deutschland sterben jedes Jahr 74.000 Menschen an Alkohol. Es entstehen Kosten von 57 Milliarden Euro. Seit Jahren wird über Beschränkungen diskutiert. Es geschieht nichts.

Weinbau spielt im Südwesten eine enorme wirtschaftliche Rolle. Sechzig Prozent der Rebflächen Deutschlands liegen in Rheinland-Pfalz. In 64.000 Betrieben wird der Rebensaft hier angebaut oder verarbeitet. In Baden-Württemberg beträgt die Anbaufläche noch einmal fast halb so viel.

Im Südwesten hängen zehntausende von Arbeitsplätzen vom Weinbau und der Weinherstellung ab. Bedeutend ist auch die Bierindustrie. Deutschland ist größter Bierexporteur der EU. Neun Milliarden Euro Umsatz im Jahr generieren Anbau, Produktion und Vertrieb des Gerstensafts. Kein Wunder, dass die Alkoholindustrie hier starke Lobbyarbeit betreibt, um ihre Pfründe zu sichern.

Deutsche Alkoholindustrie: Mrd.-Umsätze und Arbeitsplätze  (Foto: SWR)
Wirtschaftsmacht Bier und Wein

Mit Werbung Umsatz weiter steigern

Außerdem will die Alkoholindustrie den Umsatz mit Werbung weiter ankurbeln. In allen Medien tauchen die verführerischen Bilder auf. Alkoholkonsum wird mit Erotik, Geselligkeit und Spaß verbunden. Reiche und schöne Alkoholkonsumenten tummeln sich auf Jachten und in idyllischer Natur. Die Werbung verspricht schöne Gefühle mit Alkohol. Diese Werbung verfehlt ihre Wirkung nicht, leider auch schon bei Kindern.

Eine englische Studie ergab, dass Kinder sich bei Alkoholmarken besser auskennen als bei Süßigkeiten. Der Soziologe Dieter Korczak kritisiert das unregulierte Alkoholmarketing in Deutschland seit langem:

„Die Beschränkung der Alkoholwerbung wird ja schon seit vielen Jahren versucht, europaweit und auch in Deutschland. Das wäre natürlich sinnvoll.“

Dass sogar Fußballidole für die Bierwerbung eingespannt werden, hält er für perfide. Diese Vorbilder seien besonders werbewirksam. Generell hält Korczak eine Einschränkung der Alkoholreklame für dringend geboten.

In der Werbung: viel Busen und viel Alkohol (Foto: SWR)
Werbung: Alkohol-Erotik

Feigenblatt-Kampagnen der Regierung

Stattdessen versucht die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung im Auftrag der Bundesregierung mit Kampagnen vor den Folgen von übermäßigem Alkoholkonsum zu warnen. „Kenn Dein Limit“ heißt eine der Kampagnen, die sich hauptsächlich an Jugendliche und junge Erwachsene richten. Auf Plakatwänden und in Kinospots. Sexuelle Übergriffe, andere Formen der Gewalt und Verkehrsunfälle werden hier als Folgen des Alkoholkonsums gezeigt. 500 Millionen Euro pro Jahr kostet diese Form der Aufklärung, die letztlich der Steuerzahler aufbringt. Dieter Korczak sagt, die Erfolge sind bestenfalls gering:

Wir haben sehr viele Studien untersucht, über 1000, in Deutschland über 200 Präventionsstudien. Und man muss leider sagen, dass die Ergebnisse sehr ernüchternd sind.“

Beim Thema Rauschtrinken und Komatrinken, auch bei der Sensibilisierung von Kindern für die Gefahren brächte die weitaus überwiegende Zahl der Kampagnen keine anhaltenden Effekte.

Warnung: Kontrollverlust bei alkoholisierten Jugendlichen  (Foto: SWR, Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung)
Warnung: Alkohol enthemmt

Werbung getarnt als Aufklärung

Auch die Alkoholindustrie gibt sich problembewusst und betreibt Aufklärung. Etwa mit Kampagnen wie „Bier bewusst genießen“. Oft ergibt sich allerdings der Eindruck: Es geht hier weniger um Warnung als vielmehr um versteckte Werbung. So stellt die Anzeige von Holsten-Bier die Frage: „Bist Du schon 16 oder nicht?“

Zwei Antworten sind möglich: „Ja ich bin schon über 16“ und „Nein, leider noch nicht.“ Neben beiden Antworten steht eine Flasche Holsten-Bier. Bei der Werbeagentur dürfte man Tränen gelacht haben. Solche Kampagnen – wie auch freiwillige Selbstbeschränkungen - sagt der Soziologe Korczak, sind lediglich strategische Winkelzüge der Industrie:

„Industrien wie die Alkoholindustrie, die Zigarettenindustrie, die Finanzindustrie haben einen Mechanismus, wenn sie gesetzliche Regulierungen verhindern wollen. Diese Industrien legen sich einen Kodex der Selbstregulierung auf, dass man unter 16 keinen Alkohol abgeben sollte, dass Schwangere keinen Alkohol trinken sollten. Das funktioniert in aller Regel nicht.“

Die eigentlichen Regulierungen könne man nur durch gesetzgeberische Maßnahmen erreichen. Aber die Industrie versuche natürlich, das zu verhindern.

Mit 16 darf man dann endlich... (Foto: SWR, Holsten-Brauerei)
"Aufklärung" durch Hersteller

Politik und Alkohollobby

Wie eng in Deutschland der Kontakt zwischen Herstellern von Alkoholika und der Politik ist, hat eine Anfrage der Linken an die Bundesregierung gezeigt. Es ging um das Thema Regulierung und Prävention. In der 17. Legislaturperiode hatten Mitglieder der Regierung über hundert Mal an Veranstaltungen der Alkohollobby teilgenommen. Hatten Kontakt mit den Produzenten von Schnaps, Wein und Bier. Viele Gelegenheiten zu Gesprächen über Regulierung durch Steuererhöhung, Werbe- oder Verkaufsbeschränkungen. Doch diese Themen spielten praktisch keine Rolle.

Dazu passt, dass die Bierindustrie jährlich den „Botschafter des Bieres“ auszeichnet. Unter anderen prominenten Politikern wurde diese Ehre schon Frank Walter Steinmeier, Horst Seehofer, Julia Klöckner und Peter Altmeier zu Teil. Wer Alkohol trinkt, gilt als volksnah. Das kommt gut an. Der ist kein Spielverderber. Wer als Politiker den Deutschen den Alkoholkonsum vergällen wollte, muss am Ende sogar befürchten, vom Wähler dafür bestraft zu werden. Traut sich auch deshalb niemand an das Thema dran?

Nur keine Spaßbremse sein: Politiker volksnah mit Alkohol (Foto: SWR)
Politiker mit Alkohol: volksnah

Weiterführende Informationen

DKFZ Alkohol-Atlas Deutschland

Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren

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Frank Wittig