Tierschutz ist in der Fischindustrie bislang kein Thema. Dabei liefert die Forschung neue, unerwartete Erkenntnisse zum Stress- und Schmerzempfinden der Fische.
Keine Lobby für Fische
Tierwohl ist bei Rindern, Schweinen oder Geflügel mittlerweile ein wichtiges Thema. Doch bei Fischen sorgt sich kaum jemand um ihr Wohlergehen. Sie werden nicht als Individuen gesehen, sondern als Massenware in Tonnen gemessen. Warum interessiert es niemanden, wie Fische leben, wie sie leiden oder sterben? Dabei sind die Zustände im Fischfang und Fischzucht weltweit katastrophal. Ein Grund für die Gleichgültigkeit gegenüber Fischen mag sein, dass ihnen lange Stress- und Schmerzempfinden abgesprochen wurde. Doch heute sind sich die Forschenden weitgehend einig, dass Fische empfindungsfähig sind. Sie verfügen über die physiologischen Voraussetzungen, um sowohl unmittelbaren als auch anhaltenden Schmerz empfinden zu können. Als bahnbrechend gelten die Experimente von Victoria Braithwaite und Lynn Sneddon, die in vielen Versuchen gezeigt haben, dass sich Fische anders verhalten, wenn ihre Schmerzsinne gereizt werden. Nämlich so wie alle anderen Tiere auch: Sie schützen sich, sie ruhen und fressen weniger. Zudem wurde gezeigt, dass sie auf Schmerzmittel reagieren.

Qualvoll erstickt
Wenn Fische Stress- und Schmerz empfinden, dann müssen wir Fische besser behandeln – sofern für Fische die gleichen ethischen Regeln gelten sollen wie für andere Nutztiere. Im deutschen Tierschutzgesetz ist eindeutig geregelt, dass man Tieren keinen Schaden zufügen, mit einer Ausnahme: wenn sie als Nutztiere verzehrt werden. In diesem Fall schulden wir ihnen aber einen schnellen, möglichst angstfreien Tod. Die Realität sieht anders aus. Fische ersticken langsam an Deck der Trawler oder auf den Fließbändern der Fischfabriken. Für wild gefangenen Fisch gibt es bislang auch kaum Hoffnung auf Besserung. Kontrollen an Bord fehlen. Und in den Fischfangnationen und auch in der Europäischen Kommission ist Fischwohl kein Thema.

Hoffnung in der Fischzucht
Anders sieht es in der Fischzucht aus – einem weltweit schnell wachsenden Sektor. Biofischfarmen bemühen sich schon heute um bessere Haltungsbedingungen für die Tiere und eine ökologischere Fischwirtschaft. Aber auch in konventionellen Aquafarmen werden viele nationale Gesetzgeber in Zukunft vermehrt auf Einhaltung der bestehenden Tierschutzgesetze achten. Das bedeutet konkret, dass man zunächst die Haltungsbedingungen für jede der weit über hundert Zuchtfischarten formulieren muss. Es braucht verbindliche Kriterien für Fischwohl. Doch woher weiß man, ob es dem buchstäblich ‚stummen‘ Fisch gut geht? Das ist bei jeder der geschätzt 35.000 Fischarten nämlich zum Teil sehr unterschiedlich. In Deutschland erforschen vor allem das dem Landwirtschaftsministerium angeschlossene Thünen-Institut an mehreren Standorten, sowie das IGB Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin-Köpenick die Wohlfühlbedingungen für die einzelnen Zuchtfischarten. Einer der führenden Experten ist Prof. Werner Kloas. Er und sein Team messen beispielsweise die Stresshormone im Wasser und machen verschiedene Verhaltensstudien. Der Verhaltensforscher Dr. David Bierbach verfolgt hier einen neuen Ansatz. Mit Methoden der Bilderkennung und künstlicher Intelligenz möchte er Verhaltensmuster automatisch erkennen zu können.

Zander natürlich vermehrt
Diese neuen Kenntnisse im Fischfang und in der Fischzucht umzusetzen ist eine Aufgabe der nächsten Jahre. Einige Betriebe wie z.B. Smøgenlax bei Göteborg oder Swisslachs in Lostallo im Tessin produzieren schon Lachs in sogenannten geschlossenen In-door-Kreislauf-Betrieben. Nur so lässt sich das Abwasser direkt klären und wieder in den Kreislauf geben und nur so lassen sich gefürchtete Krankheitserreger kontrollieren und als Folge der pauschale Einsatz von Medikamenten minimieren. B ei Swifish, einem kleinen In-door-Betrieb bei Bern geht
man noch weiter. Hier will man natürlichen Verhaltensweisen der Fische gerecht werden und – weltweit einzigartig – Zander auf natürliche Weise vermehren. Normalerweise werden in der Fischzucht die Weibchen betäubt und ihre Eier per Hand abgestreift. Die Eier werden dann mit der Samenmilch der Männchen vermischt. Natürliche Bedingungen wie Partnerwahl werden dadurch aber ausgeschaltet und die Kombination der DNA ist komplett dem Zufall überlassen. Das wollen die Betreiber von Swifish ändern. Sie stecken viel Mühe in ihre Anlage, um sicherzustellen, dass es den Fischen gut geht. So werden etwa die Jahreszeiten simuliert, damit Zander ihre Winterruhe halten können. Ihre Ziele sind nicht nur ‚glückliche‘ und kerngesunde Fische, sondern ein hochwertiges Fischgenuss.

Linktipps:
NGOs, die sich um das Thema Fischwohl kümmern sind z.B.:
Öffentliche Aquarien, die sich für das Thema Fischwohl stark machen:
Anglerverbände, z.B.: ·
Deutscher Angelfischer-Verband
Kleine Auswahl von Zuchtbetrieben, die sich Fischwohl auf die Fahne schreiben:
Lesetipps:
· Jonathan Balcombe: What a fish knows; dt. “Was Fische wissen“, erschienen bei mare, 2020
· Billo Heinzpeter Studer: fair-fish: Weil man Fische nicht streicheln kann (rüffer&rub visionär)
· Buchtipp: David DeGrazia: Taking Animals Seriously, Mental Life and Moral Status. Cambridge University Press, 1996
· Ursula Wolf, Ethik der Mensch-Tier-Beziehung, 2.Auflg.2018, Klostermann Rote Reihe 49