Plagegeister

Risiko Ratte? Wie gefährlich ist sie wirklich?

STAND
AUTOR/IN
Christoph Goldbeck | Carsten Linder

Wie gefährlich sind Ratten wirklich für uns und die Umwelt? In exklusiv für diesen Film durchgeführten Tests finden wir das heraus.

Ist die Wanderratte wirklich so gefährlich wie man sagt?

Die Wanderratte (Rattus norvegicus) ist einer der ältesten Kulturfolger des Menschen und ein hervorragender Generalist, eine Art ökologischer Alleskönner also. Sie ist sozial, ein Allesfresser und der einzige Vierbeiner, der in unserer Kanalisation vorkommt. Ratten besitzen eine hohe Vermehrungsquote und sind von Natur aus sehr vorsichtig bei ihrer Nahrungswahl. Das macht sie nur schwer kontrollierbar und bekämpfbar. Gleichzeitig sind Wanderratten, und damit die bei uns am häufigsten vorkommende Rattenart, ein so genanntes stabiles Reservoir für Krankheitserreger jeglicher Art.

Das und die Nähe zum Menschen machen den weltweit verbreiteten Nager zu einer echten Gesundheitsgefahr. Doch welche Erreger stecken wirklich in dem Vierbeiner? Nur selten wird auf sämtliche Keime getestet, denn das ist zu aufwendig, zu teuer oder es gibt noch keine gesetzliche Meldepflicht für viele Erreger und damit auch keine gesetzliche Grundlage zur Testung. Dabei kann die Wanderratte Krankheitskeime nicht nur verschleppen, sondern auch übertragen.

Die Wanderratte, ein hervorragender Generalist und Reservoir für Keime. (Foto: SWR, SWR/ Azraels Art)
Gesundheits-Risiko Wanderratte?

Welche Erreger schlummern in der Wanderratte?

Sicher ist nach unseren, exklusiv für diese Dokumentation durchgeführten Untersuchungen, dass Wanderratten sogar tödliche Krankheiten übertragen können, auf die normalerweise noch nicht einmal getestet wird. Ratten können über 100 Infektionskrankheiten übertragen. In Deutschland sind, in Bezug auf die Übertragung durch die Wanderratte, wohl die Bakterien der Gattung Leptospira und die daraus folgende Leptospirose am bekanntesten.

Es gab aber auch schon Infektionen mit dem Hanta-Virus, Borrelien, Salmonellen, Toxoplasmose und - wie unsere Mini-Pilotstudie an sechs Wanderratten aus unterschiedlichen Populationen in Mannheim offenbarte - mit dem Erreger des Rattenbissfiebers (Streptobazillus moniliformis), dem Ratten spezifischen Hepatitis E Virus und einem multiresistenten Keim (Enterobacter cloacae).

Und das alles ist nur eine Momentaufnahme, da ständig neue humanpathogene Erreger oder Erregersubtypen in den Nagetieren nachgewiesen werden. Die Wanderratte ist also ein gar nicht so geringes Gesundheits- und sogar Zoonose-Risiko und natürlich wissen wir aus früheren Pest-Zeiten, dass Wanderratten sogar Pandemietreiber sein könnten. Corona lässt grüßen.

In Wanderratten stecken über 100 Infektionskrankheiten. (Foto: SWR)
Die Wanderratte ist ein Infektionsrisiko!

Wie gefährlich ist die Ratte für unsere Umwelt?

Viele Jahre hat man aus Sicht der Wissenschaft versäumt, sich mit Ratten auseinanderzusetzen, zu banal, keine Forschungsgelder oder nicht relevant genug waren die Begründungen. Doch jetzt wird immer deutlicher: Rattengift ist ein wenn auch menschengemachtes Problem: Der Eintrag von hoch toxischen Rattengiften in unser Ökosystem ist weit fortgeschritten, dazu birgt der Klimawandel das Risiko, dass sich die Nager besser vermehren können. Sogar wir selber könnten von den Auswirkungen des Rattengifts betroffen sein, z.B. unsere Fortpflanzungsfähigkeit.

Rattengifte (Rodentizide) sind nämlich lange aktiv und finden sich in vielen anderen Tieren, wie Singvögeln, Füchsen, Igeln, Adlern, Fischen, usw., was bedeutet, wir essen sie unter Umständen auch mit. Zudem ist unser Abwasser belastet, zwar in geringen Mengen, aber da die Gifte äußerst akkumulierend sind, ist das ein Problem, wie wir bei einem eigens für diesen Film gemachten Test herausfanden.

Rattengifte sind schon in vielen anderen Tieren nachgewiesen.  (Foto: SWR)
Ist die Ratte auch ein Risiko für unsere Umwelt?

Welche Lösungen gibt es?

Sicherlich wäre es zu allererst wichtig, dass alle Kläranlagen die so genannte 4. Klärstufe besitzen, um mittels Aktivkohle Rückstände der Rattengifte aus dem Abwasser zu eliminieren. Aber für unser Ökosystem würde das alleine nicht reichen, denn Fressfeinde nehmen das Rattengift ja über das Tier selber auf.

Seit vielen Jahrzehnten warnen Biolog*Innen und Wissenschaftler*Innen davor, dass Infektionskrankheiten bei Wildtieren und dadurch Zoonose-Risiken drastisch zunehmen. Die Gründe sind die unmittelbare Umweltzerstörung, zu viel CO2, eine geringe Biodiversität, Massentierhaltung, Antibiotikaresistenzen, Verlust der natürlichen Lebensräume, aber auch der Einsatz von Fungiziden, Rodentiziden oder Pestiziden.

Die natürlichen Feinde der Ratten fehlen und wir kommen diesen natürlichen Lebensräumen, in denen sich Ratten dann unkontrolliert vermehren, immer näher. Unser Verhalten ist also der Grund, warum unsere Lebensräume nicht mehr richtig funktionieren. Bekommen wir das nicht in den Griff, könnte uns der Generalist Wanderratte in Zukunft mit Blick auf mögliche Pandemien noch gefährlicher werden.

Natürlich ist es unser Umgang mit Müll, der Ratten in unsere Nähe treibt. (Foto: SWR)
Natürlich ist es unser Umgang mit Müll, der Ratten in unsere Nähe treibt.

Linktipps:

Umweltbundesamt gibt Antworten auf häufig gestellte Fragen

Zusatzinfos:

Als Rodentizide werden Mittel zur Bekämpfung von Nagetieren wie zum Beispiel Hausmäusen, Wanderratten oder Feldmäusen bezeichnet. Es handelt sich dabei um Biozide (Produktart 14), wenn ihr Einsatz dem Schutz der menschlichen oder tierischen Gesundheit (Infektionsschutz), von Menschen hergestellter Produkte (Materialschutz) oder dem hygienebedingten Vorratsschutz dient.

Die Wanderratte (Rattus norvegicus) ist ein Nagetier (Rodentia) aus der Familie der Langschwanzmäuse. Die ursprünglich im nördlichen Ostasien heimische Art wurde durch den Menschen weltweit verbreitet und kommt heute auf allen Kontinenten außer Antarktika und auf fast allen größeren Inseln oder Inselgruppen vor.

Ratten können über 100 Infektionskrankheiten übertragen, behauptet man. Aber wirklich auf breiter Fläche getestet hat man das noch nicht, denn es ist sonst zu teuer und aufwendig, dazu bestehen für manche Erreger keine gesetzlichen Meldepflichten (z.B. Rattenbissfieber, Ratten spezifisches Hepatitis E oder manche multiresistenten Keime…). Erst durch unsere initiierten, einmaligen Tests, wie Resistenzbestimmungen, Multiplex PCR oder bakteriologische Abstriche, zeigte sich, wie gefährlich die Ratte wirklich ist.

Adressen:

Prof. Dr. Rainer Günter Ulrich

Laborleiter/ Molekularbiologe am

Friedrich-Löffler-Institut / Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit

Südufer 10

17493 Greifswald - Insel Riems

Tel.: +49 38351 7 1244

E-Mail: Elke.Reinking@fli.de

PD Dr. Erik Schmolz

Fachgebietsleiter

Umweltbundesamt

FG IV 1.4 Gesundheitsschädlinge und ihre Bekämpfung

Boetticher Str. 2, Haus 23

14195 Berlin

Tel. +49 30 8903 1363

Lesetipps:

Autor: Juliane Fischer, Anton Friesen, Anke Geduhn, Susanne Hein, Barbara Jahn, Agnes Kalle, Anja Kehrer, Ingrid Nöh, Eleonora Petersohn, Hans-Werner Pfeiffer, Caroline Riedhammer, Ricarda Rissel, Erik Schmolz, Beatrice Schwarz-Schulz, Christiane Stahr, Kristina Wege, Stefanie Wieck

Herausgeber: Umweltbundesamt, Fachgebiet IV 1.2 Biozide, Fachgebiet IV 1.4 Gesundheitsschädlinge und ihre Bekämpfung, Postfach 14 06, 06813 Dessau-Roßlau, Stand: September 2018 / 4. Auflage,

ISSN 2363-829X

Sonstiges: 52 Seiten, 0 Euro

STAND
AUTOR/IN
Christoph Goldbeck | Carsten Linder