Könnte es eine Sepsis sein? An dieser Frage kommt man an der Uniklinik Greifswald nicht vorbei. Ein großes Plakat stellt sie allen Besucher*innen schon am Haupteingang. Hier wird klar: Sepsis ist ein Notfall. Wie beim Schlaganfall und Herzinfarkt ist auch bei einer Sepsis Zeit gewinnen, Leben retten.
Damit die Notfallkette funktioniert, müssen alle Sepsis auf dem Schirm haben. Genau das wollen Matthias Gründling und Manuela Gerber erreichen. Der Intensivmediziner und die Sepsisschwester sind das Kernteam des Qualitätsmanagement-Projekts „Sepsisdialog“ am Universitätsklinikum Greifswald. Das Plakat am Eingang der Klinik - nur eine kleine von vielen Initiativen des Projekts.

Lungenentzündung, Harnwegsinfekte, Entzündungen im Bauchraum, Covid-19: Jede Infektion kann sich zu einer Sepsis entwickeln. Ursache muss nicht zwangsläufig eine sichtbare Wunde sein. Häufig sind Bakterien der Auslöser, aber auch Pilze oder Viren kommen infrage. Der eigentliche Spieler bei einer Sepsis ist das Immunsystem, das in Unwucht gerät und sich gegen den eigenen Körper richtet. Der Aufruhr ist so heftig, dass der Körper nicht mehr richtig versorgt wird. Greift man nicht rechtzeitig ein, versagen lebenswichtige Organe.
Kein notwendiges Sepsis-Zeichen: der rote Strich
Fieber oder Schüttelfrost, manchmal Schmerzen, auch Verwirrtheit, ein schneller Puls, Kurzatmigkeit – ein starkes Krankheitsgefühl. Die ersten Anzeichen einer Sepsis sind nicht eindeutig. Auch deshalb wird Sepsis oft nicht oder zu spät erkannt. Bei Verdacht auf eine Sepsis ist sofort ärztliche Hilfe notwendig: Eine Sepsis muss immer im Krankenhaus behandelt werden.
Je zielgenauer man therapiert, umso besser stehen die Überlebenschancen. Noch gibt es kein Medikament, um gezielt in das Immungeschehen einzugreifen. Solange der Erreger nicht bekannt ist, muss „blind“ mit einem Breitbandantibiotikum behandelt werden. Akut gefährdete Patient*innen werden in ein künstliches Koma versetzt.

Aber auch wer nach einer Sepsis das Krankenhaus verlässt, ist nicht gesund. Viele Sepsis-Patient*innen haben zuhause mit Muskelschwäche und Nervenschäden zu kämpfen, können sich kaum bewegen und oder müssen alltägliche Fertigkeiten neu erlernen. Etwa drei von vier Menschen, die eine Sepsis überleben haben Folgeschäden, die von posttraumatischen Belastungsstörungen über chronische Erschöpfung bis zum Verlust von Gliedmaßen reichen.
Verschenktes Potenzial: In Deutschland wird Sepsis zu wenig wahrgenommen
Jedes Jahr sterben in Deutschland mehr als 70.000 Menschen an Sepsis. Expert*innen halten viele Tausende dieser Todesfälle für vermeidbar. Ihrer Auffassung nach könnten rund 20.000 Menschen mehr pro Jahr eine Sepsis überleben – mit verbesserter Prävention, frühzeitigem Erkennen und Behandeln. Bei der Sepsis-Sterblichkeit schneidet Deutschland im internationalen Vergleich schlecht ab.

Anders etwa in den USA, Großbritannien oder Australien: Dort hat auch die Politik ein Interesse daran, das Problem Sepsis zu lösen. Auch weil Sepsis und ihre Folgen ein enormer Kostenfaktor sind, bemüht man sich um breite Aufklärung und Qualitätsstandards. Die Sepsis-Sterblichkeit ist dort deutlich niedriger als hierzulande. Ein nationaler Sepsisplan könnte auch in Deutschland Leben retten, Spätfolgen mindern und dafür sorgen, dass Menschen mit Langzeitfolgen besser versorgt werden.
Schnelle Diagnose rettet Leben
In Greifswald hat die Arbeit von Manuela Gerber und Matthias Gründling schon vielen Patient*innen das Leben gerettet. Wie erkenne ich eine Sepsis und wie behandle ich sie? Neben regelmäßiger Schulung aller Mitarbeiter*innen werden alle Sepsis-Fälle dokumentiert und ausgewertet, um Lücken zu schließen, die Zeit kosten. Es gibt feste Abläufe und jeder Verdachtsfall wird wie ein Notfall behandelt.

Das Sepsisdialog-Team versucht dranzubleiben, schaut regelmäßig auf den Stationen vorbei, verteilt Infomaterial und hakt nach, um immer wieder das Thema Sepsis ins Gespräch zu bringen. Daneben tüfteln Gründling und Gerber mit einer Handvoll ehrenamtlicher Mitstreiter*innen immer wieder an neuen Projekten, zum Beispiel an der Organisation von Online-Vorträgen zur Sepsis, mit der sie mehr Menschen erreichen können. Im Uniklinikum Greifswald liegt die Sepsis-Sterblichkeit 10 Prozent unter dem bundesweiten Durchschnitt. Einfache Kniffe mit großer Wirkung – dem Greifswalder Team ist das schon gelungen.
Zusatzinfos:
Wann könnte es eine Sepsis sein?
Bei Erwachsenen und Kindern könnte es eine Sepsis sein, wenn mindestens zwei der folgenden Krankheitszeichen vorhanden sind:
- Fieber oder Schüttelfrost
- Verwirrtheit oder Desorientiertheit
- schneller Puls / Herzrasen
- Kurzatmigkeit / schnelle Atmung
- feuchte Haut, Schwitzen, Schwäche
- Schmerzen, starkes Unwohlsein, extremes Krankheitsgefühl
Bei Neugeborenen könnte es eine Sepsis sein, wenn mindestens zwei der folgenden Krankheitszeichen vorhanden sind:
- fühlt sich unnormal kalt und fiebrig an
- atmet schwer
- wiederholtes Erbrechen und / oder Durchfall
- verlangsamte Reaktion / Bewegungen
- trinkt nicht / keine Nahrungsaufnahme
- Krampfanfälle
Linktipps:
Infobroschüre & Handlungsempfehlungen für Patienten vom Aktionsbündnis Patientensicherheit
Infobroschüre: Handlungsempfehlung für Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte und Angehörige anderer Gesundheitsberufe vom Aktionsbündnis Patientensicherheit
Homepage des Qualitätsmanagementprojekt Sepsisdialog (Universitätsmedizin Greifswald)
Homepage der gemeinnützigen Sepsis-Stiftung mit Informationen rund um Sepsis
Homepage der medizinischen Fachgesellschaft Deutsche Sepsis-Gesellschaft (DSG)
Aktuelle Sepsis Definition (Sepsis-3) von 2016