Hochwasser, Corona, Kriege – eine Krise jagt die nächste. Sie scheinen uns wie aus dem Nichts zu überrollen. Aber – wie überraschend kommen sie wirklich?
Für viele Betroffene im Ahrtal kam das Hochwasser sehr plötzlich. Dabei waren die Informationen schon Tage zuvor verfügbar – sie haben die Leute nur nicht richtig erreicht. Wie kann man die Krisenkommunikation besser gestalten?
Theoretisch braucht die junge Mutter eine andere Nachricht als der türkischstämmige Rentner, der Student eine andere als die risikofreudige Weltenbummlerin. Bei allen kommt es jedoch vor allem auf drei Dinge an: Die Informationen müssen klar verständlich, schnell und einheitlich kommuniziert werden. Vor allem aber muss sie den Leuten ganz klar sagen, was sie tun sollen – und das am besten schon, bevor eine Krise überhaupt eintritt.
Ein weiterer wichtiger Faktor im Angesicht von Krisen ist, wie wir Menschen Risiken einschätzen. Risikoforscher schauen, wie wahrscheinlich eine Gefahr einen trifft und wie schlimm die Folgen wären, sagt Risikopsychologe Professor Ortwin Renn. Bei normalen Menschen spielen andere Dinge eine Rolle: Zum Beispiel wie vertraut die Gefahr ist, wie häufig man schon davon gehört hat oder wie sehr man denkt, dass man sich selbst schützen kann. Solche sogenannten Heuristiken waren vermutlich auch beim Hochwasser am Werk, sagt Ortwin Renn. Die Menschen dachten: Hochwasser, das kenne ich. Also bereiteten sie sich vor, wie sie es immer tun. Dass die Flutwelle so viel stärker und höher kam als sonst, haben viele deswegen nicht rechtzeitig realisiert.

„Die beste Zeit, um für den Notfall vorzusorgen, ist immer jetzt.“ Ursula Fuchs, Referatsleiterin für Information der Bevölkerung und Selbstschutz im BBK
Je nach Art und Ausmaß der Katastrophe liegt dann schnell die Infrastruktur am Boden. Es gibt kein Trinkwasser, keinen Strom, keinen Handyempfang. Keine medizinische Versorgung und keine Straßen. Ohne diese sogenannten kritischen Infrastrukturen stehen schnell Menschenleben auf dem Spiel. Daher hat der Staat für die insgesamt zehn Bereiche besondere Vorsorgemaßnahmen getroffen.
Der Strom kommt bei vielen zentralen Einrichtungen wie Wasserwerken aus einer Notstromversorgung, die immer vor Ort ist und zumindest für ein paar Stunden reicht.
Andere wichtige Orte wie Arztzentren werden schnellstmöglich mit mobilen Generatoren ausgestattet.
Trinkwasser kann im Ernstfall aus verschiedenen Quellen kommen. Eine sind die rund 5.200 geheimen Notbrunnen, die von speziell geschulten Einsatzkräften in Betrieb genommen werden. In andere Bereiche muss das Wasser mit Lastwagen transportiert werden. Kraftstoffe und Sanitätsmittel hat der Bund ebenfalls eingelagert.
Für die Versorgung mit Essen lagert der Staat an streng geheimen Orten Getreide, Reis, Hülsenfrüchte und Kondensmilch. Je nachdem, wie viele Personen versorgt werden müssen, reicht das für einige Tage bis mehrere Wochen.
Im Katastrophenfall werden aber erstmal die Schwächsten versorgt, zum Beispiel die Menschen in Krankenhäusern oder Altenheimen. Alle anderen müssen sich erstmal ein paar Tage selbst helfen können. Das Gesetz findet hierfür klare Worte: Der Staat ergänze die Vorsorgemaßnahmen des Bürgers. Der muss jedoch erstmal für sich selbst sorgen können.
Doch hier sieht es in Deutschland katastrophal aus. Nur rund 30% haben die empfohlene Menge an Trinkwasser und Lebensmitteln zu Hause. Rund 50% haben wenigstens ein paar Lebensmittelvorräte. Doch 20% der befragten Menschen in Deutschland hätten schon ab Tag eins kein Essen mehr.
Im Idealfall hat jeder Essen und Trinken für zehn Tage zu Hause, das ohne Strom und Wasser essbar ist. Detaillierte Listen, was man da haben sollte, finden sich hier.

Wir haben verlernt, mit Risiken umzugehen
Warum sind die Deutschen so schlecht auf Krisen vorbereitet? Warum fehlt das Risikobewusstsein heute in der Bevölkerung? Zur Zeit des Kalten Krieges wusste jeder, wie er sich in einer Krise verhalten muss. Schon in der Schule wurde das richtige Verhalten im Katastrophenfall vermittelt. Das Amt für Zivilschutz zog durchs Land und informierte die Menschen. Doch mit dem Ende des Kalten Krieges wurden diese Strukturen abgebaut. Das Amt für Zivilschutz wurde aufgelöst, Schutzräume und Sirenen aufgegeben. Und auch die Bevölkerung verliert ihr Krisenbewusstsein.
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 und das verheerende Hochwasser 2002 veränderten die Lage. Man merkte: Katastrophen gibt es doch noch. 2004 wird als Reaktion ein neues Amt für Katastrophenschutz gegründet, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, kurz BBK.
Doch die Kampagnen des BBKs für mehr Selbstschutz in der Bevölkerung werden von den Medien verrissen. Das sei „Panikmache“. Und auch in der Politik passiert nicht genug. Woran liegt das?

„Wir haben kein Erkenntnisproblem, das Problem liegt in der Umsetzung.“ Sandra Bubendorfer-Licht, MdB
Es ist das große Dilemma der Katastrophenvorsorge: Je besser man sich auf Krisen vorbereitet, desto weniger schlimm werden sie. Doch ohne schlimme Krisen erscheint der Katastrophenschutz schnell überflüssig. Das ist einer der Gründe, warum die Krisenvorsorge im sowieso bisher krisenarmen Deutschland lange vom Staat und seinen Bürgern vernachlässigt wurde.
Doch jetzt soll sich einiges ändern. Ein gemeinsames Kompetenzzentrum aller Katastrophenschützer wird aufgebaut, es gibt mehr Geld für den Katastrophenschutz und das Warnsystem Cell Broadcasting soll noch in 2022 in Betrieb gehen. So soll Deutschland in Zukunft krisenfester werden. Und das ist dringend nötig – denn die Krisen sind längst da, auch wenn wir manche davon im Alltag nicht sehen können. Das Artensterben, Wassermangel, Cyberattacken und vor allem der Klimawandel sind nur eine Auswahl der Katastrophen, die uns in den kommenden Jahrzehnten beschäftigen werden. Wir müssen besser vorbereitet sein, um nicht jedes Mal erschüttert zu werden.
Die Krise selbst ist also nicht planbar. Doch man kann sich auf sie vorbereiten, damit sie weniger schlimm ausfällt. Doch: Das kostet Geld und Zeit. Es ist also vor allem eine gesellschaftliche Frage: Wie viel ist uns der Schutz vor potenziellen Krisen wert?
Quellen und weitere Infos:
Detaillierte Liste, was jeder für den Notfall Zuhause haben sollte
Erste Bilanzen aus der Flutkatastrophe 2021
Best Practice aus der Wissenschaft, um Risiken einzuschätzen: UNDRR (2019): Global Assessment Report on Disaster Risk Reduction. United Nations Office for Disaster Risk Reduction (UNDRR). Geneva, Switzerland.
Deutscher Leitfaden zur Krisenkommunikation (von 2014): Bundesministerium des Innern (2014). Leitfaden Krisenkommunikation.
Einführung in das Thema Kritische Infrastrukture
Konzeption Zivile Verteidigung
Risikoanalyse zu einer SARS-Pandemie in Deutschland, 2012
Studie zu der neuen Lehrmethode für Statistik: Das Häufigkeitsnetz