Gutes Brot, böses Brot

Deutsche Brotkultur auf Abwegen

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AUTOR/IN
Monika Kovacsics

Immer mehr Menschen vertragen kein Brot. Was steckt hinter den Beschwerden, und was ist dran an dem Hype, Brot selbst zu backen?

Brot kann krank machen. Schätzungsweise vertragen 10 Prozent der Bevölkerung kein Brot. Mediziner, traditionelle Bäcker und Agrarwissenschaftler fahnden nach den Stoffen, die die Beschwerden auslösen.

Neu in den Leitlinien der Gastroenterologen: Die Weizensensitivität (Foto: SWR)
Diagnose Weizensensitivität

Brot kann krank machen. Rund 5 Prozent der Bevölkerung sind betroffen. Sie leiden an Zöliakie, einer Allergie oder der sogenannten Weizensensitivität. Die Zöliakie ist eine ernsthafte Erkrankung von der rund 1% Bevölkerung betroffen sind. Ihre Darmschleimhaut wird durch Gluten geschädigt. , das ist ein Klebereiweiß im Getreide, das auch in Brot und Backwaren vorkommt. Zöliakiekranke müssen sich deshalb streng glutenfrei ernähren.

Andere reagieren auf bestimmte Proteine im Weizen nachweislich mit einer Allergie. Wieder andere bekommen nach dem Genuss von Brot starke Beschwerden wie Blähungen. Dann kann eine Weizensensitivität vorliegen. Bei diesen Personen verhindert eine sogenannte Kohlenhydrat-Malabsorption, dass die Kohlenhydrate im Magen-Darm-Trakt aufgenommen werden. Es entstehen Gase, die Blähungen verursachen. Menschen mit der Diagnose Weizensensitivität sind nicht krank, aber ihre Beschwerden verschwinden, wenn sie auf Brot, Pizza und Pasta verzichten, bzw. wenn sie sich glutenfrei ernähren, was automatisch weizenfrei bedeutet.

Der Gastroenterologe Prof. Wolfgang Holtmeier vom Krankenhaus Porz am Rhein hat die Erfahrung, dass es einem Drittel der Patienten mit dem Verdacht auf Reizdarm besser geht, wenn sie sich gluten- bzw. weizenfrei ernähren. Dann liegt – nach Ausschluss einer Zöliakie und einer Weizenallergie – eine Weizensensitivität vor.

Dieser Begriff wurde erst vor kurzem in die Leitlinien der Gastroenterologen aufgenommen. Es hat den Anschein, dass die Zahl der Menschen, die kein Brot vertragen zugenommen hat im Vergleich zu vor einigen Jahrzehnten. Doch dazu gibt es keine Erhebungen. Fachleute schätzen allerdings, dass es eine Dunkelziffer gibt und insgesamt rund 10% der Bevölkerung in irgendeiner Weise auf Brot und Getreide mit Symptomen reagieren. Fakt ist, dass das Bewusstsein für solche Ernährungsunverträglichkeiten in der Bevölkerung gestiegen ist.

Das Mehl und der Backprozess entscheiden über die Inhaltsstoffe (Foto: SWR)
Biotechnologisches Kraftwerk Sauerteig

Traditionsbäcker Alois Knussmann weiß, wie der Backprozess die Inhaltsstoffe im Brot beeinflusst. Er setzt auf den richtigen Umgang mit Sauerteig, wenn es um die Qualität und die Bekömmlichkeit des Brotes geht. Dem, was er über Jahrzehnte als Bäcker praktiziert hat, liegt ein komplexes Geschehen im Teig zugrunde.

Während der Gärzeit des Sauerteigs werden Bakterien und Mikroorganismen aktiv. Gase entweichen, das Volumen des Sauerteigs nimmt zu und es entsteht ein Spektrum von Säuren, das dem Brot seine natürlichen Aromen gibt. Traditionsbäcker Knussmann stellt sich mit Kneten, Wasserzugabe und Garzeiten auf diesen biotechnologischen Prozess ein. Für ihn ist die Zeit der wichtigste Faktor beim Brotbacken. Damit die Mikroorganismen im Teig aktiv werden können und so den Geschmack und die Bekömmlichkeit des Brotes bestimmen.

Heute stammt die Hälfte des verzehrten Brotes aus Großbäckereien. Statt langer Ruhephasen werden Ersatzstoffe eingesetzt. Vielen Konsumenten ist unklar, wo und wie das gekaufte Brot gebacken wurde. Deshalb backen sie ihr Brot selbst. Brot selbst backen ist inzwischen ein Hype mit Millionen Anhängern im Internet geworden. Ob es gesünder ist hängt von der Qualität der verwendeten Mehle und anderer Zutaten ab und davon wie gut das eigene Brotbacken gelingt.

Wissenschaft trifft Handwerk – was beim Backen nicht schiefgehen darf (Foto: SWR)
Experimentierort Backstube

Auf der Suche nach den Inhaltsstoffen, die Beschwerden auslösen, sind neben Gluten zwei weitere „schlechte“ Stoffe in der Diskussion. Die sogenannten ATIs (Amylase-Trypsin-Inhibitoren), Proteinbestandteile des Weizens, die beim Menschen entzündliche Reaktionen auslösen können. Die Vermutung, dass ATIs in modernen Hochleistungssorten des Weizens vermehrt vorkommen hat sich allerdings nicht bestätigt.

Prof. Friedrich Longin, Agrarwissenschaftler und Züchtungsforscher an der Universität Hohenheim hat moderne und alte Weizensorten auf den ATI-Gehalt untersucht und konnte keine Zunahme in der Menge der ATIs feststellen. In einem Weizenkorn stecken zahlreiche Proteine. Der Agrarwissenschaftler Longin hat in seinem Forschungsprojekt „Better Wheat“ allein 3000 unterschiedliche Proteine im Weizen analysiert. Darunter auch potentielle Allergene, die noch gar nicht als solche bekannt sind. Sicher ist, dass der Backprozess eine große Rolle dabei spielt, mit welchen Stoffen im Brot unser Körper fertigwerden muss.

In der Diskussion sind die sogenannten Fodmaps. Das sind langkettige Zuckermoleküle, die in vielen Lebensmitteln vorkommen; vorwiegend aber auch im gebackenen Brot vorkommen. Wie sie dort hinein kommen hängt davon ab, wie der Bäcker mit dem Teig umgeht. Prof. Friedrich Longin hat deshalb die Backstube des Traditionsbäckers Heiner Beck als Experimentierort gewählt.

In mehreren gemeinsamen Versuchen konnten sie zeigen, wie die schwer verdaulichen Fodmaps vom Backprozess abhängen. Sie verglichen Testbrote mit kurzer Teigführung, mit langer Teigführung und mit Sauerteig. Das Resultat: Je länger ein Teig ruht, desto mehr bauen sich die unerwünschten Fodmaps ab. Bei einer Ruhezeit des Teiges von ca. 4 Stunden geht die Menge der Fodmaps nahe Null.

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