Nicht nur Großmächte, auch private Unternehmen verfolgen ihre Agenda im Orbit, die Interessenlage ist unübersichtlich. Hinzu kommt die wachsende Menge an Weltraumschrott. Es wird zu eng im Orbit -| und gefährlich für uns.
Am 10. Februar 2009 knallt es im Orbit: Mit jeweils mehr als 20.000 Kilometern pro Stunde krachen die Satelliten Iridium 33 und Kosmos 2251 aufeinander. Dabei entstehen mehr als 100.000 Trümmerteile, die das Risiko für weitere Unfälle gewaltig erhöhen. So musste etwa die Internationale Raumstation ISS schon mehrfach Ausweichmanöver durchführen, um nicht mit einem der Fragmente aus dem Crash zusammenzustoßen.
Auch wenn der Weltraumcrash schon mehr als ein Jahrzehnt zurückliegt: Für Expert*innen zeigt er, was künftig im Orbit häufiger passieren könnte. Denn je mehr Objekte sich in den Umlaufbahnen befinden, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit einer Kollision – und wegen der vielen Trümmerteile, die jede Kollision erzeugt, steigt wiederum das Risiko weiterer Crashs. All dies führt zu mehr Weltraumschrott.
Forschende prognostizieren ein exponentielles Wachstum der Anzahl solcher Weltraumschrottfragmente – und infolgedessen auch der Anzahl ungewollter Kollisionen dieser Fragmente mit aktiven Satelliten. Das „Kessler-Syndrom“ oder der „Kessler-Effekt“, benannt nach dem Astronomen Donald Kessler, beschreibt genau dieses Szenario einer kaskadierenden Zunahme von Objekten und Kollisionen. Schon in wenigen Jahren könnte dies die Raumfahrt stark erschweren – wenn nicht sogar unmöglich machen.
Denn wegen der enormen Geschwindigkeiten von zum Teil mehr als 25.000 Kilometern pro Stunde entwickeln schon kleine Objekte mit einer Größe von 1 Zentimeter die Sprengkraft einer Handgranate, sobald sie mit Satelliten oder anderen Objekten kollidieren.
Immense Zahl an Satelliten
Das Problem wird in den kommenden Jahren dringlicher, da die Anzahl der Satelliten in den Orbits deutlich mehr wird: Mit rund 50.000 Satelliten rechnet die ESA bis zum Jahr 2030. Derzeit gibt es gerade einmal kaum mehr als 4.500 aktive Satelliten.

Damit wird auch die weltweite Abhängigkeit von Satelliten noch größer, als sie es ohnehin schon ist. Schon jetzt funktionieren zum Beispiel globale Kommunikation, Bank- und Finanzwesen, Navigation, Erd- und Wetterbeobachtung über Satelliten. Sollten diese nicht mehr funktionieren, würde auf der Erde einiges zusammenbrechen.
Satellitentechnik im Einsatz
Nicht nur die Zahl der Satelliten, auch die mittels Satellitentechnologie generierte Datenmenge wird größer. Beobachtungssysteme profitieren davon. Die Technologien kommen zum Beispiel bei Katastrophenhilfe, Klimabeobachtung und Monitoring im humanitären Bereich zum Einsatz. Doch auch kommerziell sind solche Systeme nutzbar, etwa in der von Satelliten gesteuerten Landwirtschaft.
Welche Bereiche künftig noch vom Fortschritt der Satellitentechnik profitieren, ist offen. Die Vergangenheit zeigt, dass neue Möglichkeiten auch neue Anwendungsbereiche schaffen. Ob diese dann die Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte gefährden, ist eine andere Sache und ungewiss.

Militärische Auseinandersetzung im All
Nicht nur private Unternehmen, auch militärische Großmächte verfolgen ihre Agenda im Orbit. Damit bekommt die Entwicklung im All eine zusätzliche Dynamik. Die Hightech-Armeen, allen voran die US-Armee, gefolgt von den Streitkräften Chinas und Russlands, sind in Sachen Kommunikation, Beobachtung, Missionskoordination, Zielführung und Navigation auf die Technik aus dem All angewiesen – und damit dort auch verwundbar. Satelliten sind leichte Ziele und nur schwer zu schützen. Bodenraketen, Killersatelliten, Lasersysteme oder Störsignale können sie außer Gefecht setzen. Über solche Antisatellitenwaffen verfügen viele Armeen der Welt, und so zeichnet sich aus Sicht von Rüstungsexpert*innen und Friedensforscher*innen ein Wettrüsten im All ab. Sollte es im Zuge eines Konfliktes tatsächlich zu einer militärischen Auseinandersetzung im All kommen, wäre damit auch die zivile Nutzung der Orbits gefährdet – allein schon wegen der dann immensen Zahl an Weltraumschrottfragmenten.
Fehlende Rechtsbasis
Verhindern ließe sich ein solches Szenario nach Ansicht von Expert*innen nur durch Verträge, die explizit für den Weltraum gelten. Zwar gibt es mit dem Weltraumvertrag aus dem Jahr 1967 und den vier darauffolgenden Verträgen zur Weltraumrettung, zur Haftung, zur Registrierung von Starts sowie zur Nutzung von Himmelskörpern eine gute Basis – die aber eine Konfrontation und ein Aufrüsten im All nicht verhindern kann. Auch sind die mehr als 40 Jahre alten Verträge unzureichend für die neue Melange aus staatlichen und privatwirtschaftlichen Unternehmungen mit den ganz neuen technischen Möglichkeiten. So fehlt es etwa an globalen Gesetzen für die Erdbeobachtung: Einzelstaaten können ihren Privatunternehmen verschieden hohe Auflösungen von Bildern aus dem All erlauben. Zudem gibt es bislang keine Verkehrsregeln im All, weder für Satelliten noch für Weltraumtransporte. Internationale verbindliche Regeln zur Vermeidung von Weltraumschrott fehlen auch.
Möglichkeiten zur Entschärfung des Problems
Weltraumagenturen wie ESA oder NASA sowie Friedensforschende sehen großen Handlungsbedarf und fordern verbindliche Regeln für alle, die Satelliten in Umlaufbahnen bringen – egal, ob diese nun kommerziellen, zivilen oder militärischen Zwecken dienen. Eine Forderung: Schon bevor Satelliten auf die Reise in einen Orbit geschickt werden, muss verbindlich geklärt sein, wie sie am Ende ihrer Funktionsdauer wieder von dort verschwinden – und zwar bevor sie zu Weltraumschrott werden.
Technische Möglichkeiten dazu gibt es. Denkbar ist zum Beispiel ein Antriebssystem, das den Satelliten kontrolliert zum Absturz bringt und ihn so in der Atmosphäre verglühen lässt. Die ESA plant mit der Mission Clearspace zudem, einzelne größere Schrottfragmente im All einzusammeln und aus dem Verkehr zu ziehen.
Fest steht: Sollte es zum Zusammenbruch wichtiger Satellitenfunktionen kommen, kann das für das Zusammenleben auf der Erde fatale Folgen haben. Wichtige Akteure haben das erkannt. Nun gilt es, rechtzeitig die richtigen Konsequenzen zu ziehen.
Weitere Infos:
Zum Thema Weltraumschrott:
ESA Space Environment Report 2021
Zur deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie:
Bericht des Koordinators der Bundesregierung für die Deutsche Luft- und Raumfahrt
Zum Konfliktpotenzial im Weltall:
Spektrum der Wissenschaft: Angriff im Orbit
Bundeszentrale für politische Bildung: Wettrüsten im All Stand und Perspektiven
WeltTrends 178, August 2021: Weltraum Konfrontation & Kooperation
Zum Thema Weltraumrecht
Historische Entwicklung der Weltraumverträge und des Weltraumrechts
Rechtliche Herausforderungen und Datensicherheit bei satellitengestütztem Internet
Aktuelles Standardwerk zu Thema Weltraumrecht:
Stephan Hobe: Space Law (englischsprachige Ausgabe), Verlag: C.H. Beck – Hart – Nomos 2019, ISBN 978-3-406-69537-7, Preis: 180,00 EUR