Axel Wagner unterwegs im Südwesten

Notfall Natur | 31.03.2022

Stand
AUTOR/IN
Axel Wagner
ONLINEFASSUNG
Martina Frietsch

Die Natur ist auch im Südwesten zum Notfall geworden! Die Bedrohungen für unsere belebte Umwelt haben ein facettenreiches und atemberaubendes Ausmaß angenommen, daher muss nun an allen Fronten gehandelt werden.

Der Mensch beutet die Natur aus und nutzt ihre Ressourcen im Übermaß. Die Folgen sind längst auch im Südwesten Deutschlands zu sehen und deutlich spürbar: Tierarten sterben aus, der Grundwasserspiegel sinkt, Bäume verdursten. Unsere Umwelt steht vor einem katastrophalen Umbruch.

Das Verschwinden der Arten: das Haselhuhn im Schwarzwald

Weltweit verschwinden jeden Tag rund 150 Arten - für immer. Doch was über Jahrmillionen ein langsamer, natürlicher Vorgang war, und von der Entstehung neuer Arten begleitet wurde, wird jetzt vom Menschen beschleunigt. In nur wenigen Jahrzehnten ist die Anzahl der Wirbeltiere um zwei Drittel zurückgegangen; rund eine Million der geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten ist akut vom Aussterben bedroht.

Diese Zahlen sollten uns wachrütteln!

Auch in Deutschland ist die Lage dramatisch. Mit dem Schwinden der Lebensräume verschwinden auch die Tiere. Eines, das beispielhaft für viele steht, ist das Haselhuhn. Um die Jahrtausendwende wurden im Schwarzwald die letzten Tiere gesichtet. Seither gilt der Vogel mit dem auffällig schwarzweißen Gefieder am Bauch in der Region als ausgestorben.

Dem Haselhuhn wurde der Wirtschaftswald zum Verhängnis: Haselsträucher und Laubhölzer, deren Knospen als Nahrung dienen, gingen zurück und wurden vom Wirtschaftswald verdrängt. Und so findet sich im Schwarzwald vor allem die Baumart Fichte – der Brotbaum der Forstindustrie. Doch in den dichten Wirtschaftsnadelwäldern kann das Haselhuhn nicht leben.

Ob die Tierart wieder im Schwarzwald angesiedelt werden kann, ist unsicher. Denn nur ein anderes Nahrungsangebot genügt dafür nicht. Damit das kleine Waldhuhn wieder heimisch wird, müssen alle Bedingungen seines Lebensraums stimmen. Laubhölzer, Waldwiesen, Unterschlupf und Ruhezonen fehlen und so ist das Haselhuhn längst nicht die einzige Vogelart, die den Interessen des Menschen im Schwarzwald weiche muss.

Das Verschwinden der Arten: das Haselhuhn im Schwarzwald (Foto: Colourbox)
Das Verschwinden der Arten: das Haselhuhn im Schwarzwald

Vom Aussterben bedroht: das Auerhuhn

Ähnlich ergeht es dem Auerhuhn – dem größten Waldvogel Europas droht im Schwarzwald in wenigen Jahren das Ende. Noch vor 100 Jahren lebten hier rund 3800 Auerhähne und damit eine der größten Populationen in Zentraleuropa. Heute sind es gerade noch 130 Hähne und ihre Hennen – zu wenige, um zu überleben.

Den Tieren fehlen im Wirtschaftswald geeignete Brutstätten, auch ihre Hauptnahrung, unter anderem aus Blaubeeren bestehend, finden sie in den verdunkelten Wäldern immer seltener. Die verbliebenen Populationen haben immer weniger Kontakt untereinander, der Genaustausch fehlt. Zur gleichen Zeit droht den Tieren Gefahr von ihren natürlichen Feinden wie Füchsen und Habichten, deren Populationen zugenommen haben. Und letztendlich stört auch der Mensch die Auerhühner, wenn er den Wald in der Freizeit intensiv nutzt. Soll das scheue Wappentier im Schwarzwald erhalten bleiben, müsste sofort gehandelt werden.

Vom Aussterben bedroht: das Auerhuhn (Foto: Colourbox)
Vom Aussterben bedroht: das Auerhuhn

Trubel im Wald: vom Naherholungsraum zum Tourismus-Hotspot

Die Tiere müssen sich ihren Lebensraum Wald heute mit Freizeitsportlern, Erholungssuchenden, mit Pilzsammlern, Forstarbeitern und anderen teilen – ein zunehmendes Problem. Ein Team der Forstlichen Versuchsanstalt Baden-Württemberg hat untersucht, wie sich die Freizeitaktivität auf das Wild auswirkt. Sechs Hirsche wurden dafür mit Sonden und Sendern ausgestattet. So konnte gemessen werden, worauf die Tiere reagieren, was sie stört und was sie vielleicht sogar in Panik versetzt.

Klares Ergebnis: Für Wanderer, die auf dem Weg bleiben, interessierten sich die Hirsche kaum. Anders reagieren sie auf Menschen, die quer durch den Wald laufen, auf Downhill-Mountainbiker, auf Wildcamper und auf alle, die nachts im Wald aktiv werden. Ein Konflikt, für den es beispielsweise in Bad Wildbad bereits eine praktische Lösung gibt: Dort wurden im Wald Wildruhezonen ausgewiesen, in denen Freizeitaktivitäten untersagt sind. Außerhalb dieser Ruhezonen dürfen Menschen wie gehabt ihren Hobbys nachgehen – ein funktionierendes Nebeneinander von Tourismus und Naturschutz.

Trubel im Wald: vom Naherholungsraum zum Tourismus-Hotspot (Foto: Colourbox)
Trubel im Wald: vom Naherholungsraum zum Tourismus-Hotspot

Der Grundwasserspiegel sinkt

Wenn den Bäumen das Wasser fehlt, ist das nicht sofort zu sehen. Ausbleibender Regen sorgt für Trockenheit-Stress, zudem sinkt der Grundwasserspiegel immer weiter. Erreichen die Wurzeln das Wasser nicht mehr, sterben die Bäume langsam ab. Mehrere trockene Jahre in Folge haben nun dafür gesorgt, dass weniger Grundwasser gebildet wurde. Und dennoch entnimmt der Mensch der Natur das Wasser, als habe sich nichts verändert.

Dies betrifft vor allem große Mengen für Landwirtschaft und Industrie; die öffentliche Wasserversorgung macht dagegen nur 2,8 Prozent aus. Den Schaden hat bislang vor allem die Natur: Pflanzen, die nicht mehr an Wasser kommen; Tiere, deren Lebensraum Wasser empfindlich gestört wird. Gleichzeitig steigt die Waldbrandgefahr. Doch langfristig wird sich das geringere Wasserangebot bei allen Nutzern bemerkbar machen, die um die wertvolle Ressource konkurrieren, und so wird auch der Mensch nicht durch den von ihm gestörten Wasserkreislauf verschont bleiben.

Der Grundwasserspiegel sinkt (Foto: Colourbox)
Der Grundwasserspiegel sinkt

Der Mensch gegen Ambrosia

Seit etlichen Jahren wird öffentlich vor Ambrosia gewarnt: Die Pflanze, einst eingewandert aus Amerika, soll extrem allergieauslösend sein. Anfassen oder die Pollen einatmen ist tabu. Zu den beschriebenen Reaktionen auf Ambrosia gehören Reizungen der Augen, Kontaktekzeme, Atembeschwerden bis hin zu Asthma. Und so wird Ambrosia gejätet, gemäht, verbrüht und abgeflämmt. Ambrosia-Allergiker gebe es jedoch nur wenige, so Prof. Karl-Christian Bergmann, Allergologe an der Berliner Charité und Leiter der Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst.

Die Maßnahmen gegen die vermeintlich so gefährliche Pflanze wären damit übertrieben, denn eigentlich ist sie nur ein weiteres allergieauslösendes Gewächs unter vielen. Und manche finden die Beifußblättrige Ambrosie sogar nützlich, denn als Heilkraut kann sie blutstillend und gegen Verdauungsstörungen wirken. Doch der Ambrosia-Vernichtungsfeldzug trifft auch andere Pflanzenarten, die etwa in Grünflächen stehen, auf denen bekämpft wird. Doch ein Abwägen von Nutzen und Schaden für die Natur bleibt im Falle des Ambrosia-Krieges aus.

Der Mensch gegen Ambrosia (Foto: Colourbox)
Der Mensch gegen Ambrosia

Mensch gegen Stechmücke

Stechmücken mag kaum ein Mensch. Fische mögen sie dafür umso lieber. Genauer gesagt: deren Larven. Auch Molche und Libellen sind auf die Stechmückenlarven als Nahrung angewiesen. Am Oberrhein, wo seit rund vier Jahrzehnten die Schnakenplage flächendeckend bekämpft wird, wird das zum Problem. Denn das Mittel BTI (bacillus thuringiensis israelensis) tötet gezielt die Larven der Stechmücken, allerdings auch die Larven der harmlosen Zuckmücken ab. In der Folge wird vielen anderen Tieren die Nahrungsgrundlage entzogen.

Würde die Zahl der Stechmücken nicht mehrmals jährlich reduziert, wäre das Leben in vielen Orten wegen der Stechmückenplage eine Qual für die menschlichen Bewohner. Die Andererseits belastet die Bekämpfung das empfindliche Ökosystem, weil die Nahrungskette unterbrochen wird. Die Stechmückenbekämpfung am Oberrhein ist ein klassischer Konflikt zwischen Mensch und Natur.

Mensch gegen Stechmücke (Foto: Colourbox)
Mensch gegen Stechmücke

Intakte Natur schützt vor Viren

Wie wichtig eine intakte Natur ist und welche Folgen menschliches Wirken hat, ist seit Anfang des Jahres 2020 am Beispiel der Corona-Krise zu sehen. Vermutlich sprang in China das Virus von einem Wildtier oder Haustier auf den Menschen über. Von dort aus verbreitete sich das Virus in kürzester Zeit weltweit. Nach zehn Monaten waren weltweit bereits über eine Million Menschen an der Erkrankung COVID-19 gestorben.

Viren wie SARS-CoV-2 gibt es in der Natur viele. Sie existieren normalerweise unerkannt in ihren Wirtstieren, solange der natürliche Lebensraum intakt ist. Erst wenn dieser Lebensraum gestört wird, können Viren dem Menschen gefährlich werden: Nimmt beispielsweise die Dichte einer Art in ihrem veränderten Lebensraum zu, steigt auch die Dichte an Viren, haben die Biologin Prof. Simone Sommer und ihr Team herausgefunden. Problematisch sind auch eingeschleppte Tierarten, auf die die Viren überspringen, wie etwa Ratten.

Am gefährlichsten ist der direkte Kontakt von Mensch und Tier: sei es, dass Menschen Wildtiere fangen und essen, oder dass sie in entlegenste Gebiete der Erde vordringen und Kontakt zu Wildtieren haben. Doch vor allem anderen ist die Zerstörung der intakten Natur ein Risiko für die Ausbreitung von Pandemien, da in gestörten Biotopen die Selbstregulationsmechanismen zur Eindämmung von Mikroorganismen gestört sind. Virenträger können sich ungehemmt vermehren.

Im Umkehrschluss heißt dies klar: Gefährliche Viren gibt es überall. Doch nur eine intakte, ungestörte Natur schützt den Menschen vor Naturkatastrophen wie der Ausbreitung von Corona.

Intakte Natur schützt vor Viren (Foto: Colourbox)
Intakte Natur schützt vor Viren
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