Gesellschaft

Schluss mit dem Sex-Stress

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AUTOR/IN
Sigrid Lauff

Für eine erfüllte Sexualität gibt es keine Altersgrenze. Denn das Wesentliche an ihr ist die Kommunikation.

Sei gnädig mit Dir

Elisabeth und Herbert sind bald 70 und seit über 30 Jahren verheiratet. Von Anbeginn ihrer Ehe haben sie ihre erfüllte Sexualität sehr ernst genommen. „Auch als wir noch im Berufsstress und die Kinder noch im Haus waren“, sagt die ehemalige Personal-Beraterin, „haben wir uns verabredet zum Sex. Dates gemacht. Das muss eine ganz klare Entscheidung sein. Sonst kann es sein, dass der Alltag einen überrollt.“ Auch heute verabreden sie sich immer wieder, obwohl sich die Sexualität verändert hat: „Es ist wichtig, sehr gnädig mit sich zu sein“, betont Herbert, „denn früher war bei mir die Erregung sofort da. Mittlerweile brauche ich ein Aufwärmen oder Vorglühen. Die gute Nachricht ist aber: Wenn es glüht, dann ist es genauso leidenschaftlich wie früher.“ Vor allem Druck und perfektionistische Ansprüche will der ehemalige Firmenchef vermeiden: „Denn mit Druck passiert leider NIX.“

Erregung steht im Vordergrund

Dass so viele Menschen Probleme mit ihrer Sexualität haben, liegt laut dem Sexualpsychologen Cristoph Joseph Ahlers daran, dass die rigiden Prinzipien der Leistungsgesellschaft auf die Sexualität übertragen werden: „Es ist schon ziemlich viel, was so ein Paar beim Sex alles leisten MUSS: Leidenschaft, Prickeln, da muss sich Erotik einstellen, die Erregung muss doller werden, da muss das anhalten bis die Frau einen Orgasmus haben muss und dann erst der Mann seinen Orgasmus haben MUSS. Puh – da hab ich schon keinen Bock mehr.“ Je älter die Menschen sind, umso schwieriger wird’s mit all dem Müssen und so kommt es laut Ahlers, dass dann lieber auf Sex verzichtet wird.

Erweitertes Verständnis vom Sex

Christoph Joseph Ahlers kritisiert die einseitige Fokussierung auf Erregung oder Fortpflanzung: „Es gibt nämlich noch eine dritte Funktion von Sex: das ist die Kommunikation. Und da berührt Sexualität ein Grundbedürfnis: Nach Angenommen-Sein, Wahrgenommen und Ernst Genommen-Werden. Dieses Bedürfnis haben alle Menschen bis zum Tod“, so Ahlers. Wichtig sei dafür sei, zu akzeptieren, dass der Waschbrettbauch ein Waschbärbauch sein darf und der Popo auch nicht mehr wie Früchte aussehen muss. Jetzt hören wir mal auf, Idealen hinterher zu eifern und besinnen uns auf das, was wir haben: es gibt uns noch, wir sind einigermaßen beieinander, und das ist doch schon eine ganze Menge“, unterstreicht der Sexualpsychologe.

Elisabeth und Herbert haben das geschafft: „Auch wenn wir nicht mehr wie 30 aussehen“, sagt Herbert, „die Energie zwischen uns ist immer wieder ganz frisch. Meine Frau riecht so gut. Ich würde das mit einem guten alten Wein vergleichen, und das ist wunderschön.“

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Sigrid Lauff