Entwicklung des Wohnraums

Mehr Raum, weniger Platz

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AUTOR/IN
Manuel Gerber

Die durchschnittliche Wohnfläche pro Person hat sich seit den 1960er Jahren verdoppelt. Das hat tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Landschaft und den Verkehr.

Entstehung der bürgerlichen Privatsphäre

Unsere moderne Vorstellung vom Wohnen gibt es noch gar nicht so lange. Bis zur Industrialisierung im 19. Jahrhundert war die Trennung von Privatem und Arbeit nicht Standard. In denselben Räumen wurde häufig gearbeitet, geschlafen und sich gewaschen. In einem Bauernhaus lebten Großfamilie und Gesinde zusammen. Erst seit die Arbeit in Fabriken und Büros ausgelagert wurde und die Menschen als Kernfamilie zusammenleben, gibt es die Privatsphäre zuhause, die wir heute kennen. Die Toiletten haben sich von Aborten außerhalb der Wohnung zu Badezimmern im Haus entwickelt. Der Gang auf die Toilette wurde zur intimen Privatsache.

Einzug der Helferlein

Auch die Funktionen der Räume in der Wohnung haben sich verändert. Das Wohnzimmer, früher ein selten genutzter Raum für Repräsentationszwecke, hat mit Einzug des Fernsehgeräts seine heutige Funktion bekommen. Früher gehörte die Lebensmittelkonservierung zu den Haupttätigkeiten im Haushalt und nahm viel Raum ein. Die im späten 19. Jahrhundert aufkommende Konservierungsindustrie machte das überflüssig. Es folgte die Technisierung der Wohnung: Ein Kühlschrank ersetzt den Erdkeller zum Kühlen und die Zentralheizung den Kohlekeller. Der dadurch entstehende freie Raum wird anders genutzt, zum Beispiel als Hobbyraum. Statt Wohnraum durch technische Helferlein zu sparen, brauchen wir immer mehr. Das hat Folgen.

Wohnungsnot und Bauboom

Am Ende des zweiten Weltkriegs suchen über 20 Millionen Menschen in Deutschland eine Bleibe. Allein in den Westzonen fehlen rund fünfeinhalb Millionen Wohnungen. In den 1950ern wird deshalb wird so viel gebaut wie nie zuvor. Es muss schnell gehen und möglichst billig sein. Ein Großteil des Wohnraums sind Sozialwohnungen. Was hier gebaut wird, gilt schon bald als langweilig und hässlich. In den 1960ern ist das große Ziel in vielen Regionen erreicht: Der Wohnungsmarkt beruhigt sich. 1965 liegt die durchschnittliche Wohnfläche pro Person bei 22 Quadratmetern.

Steigender Platzbedarf

Der wirtschaftliche Aufschwung lässt viele Menschen vom Einfamilienhaus träumen. Steuervorteile und Bausparen machen es möglich. Das Einfamilienhaus steht meist außerhalb der Stadt. Ein Phänomen beginnt, das die Landschaft für die nächsten Jahrzehnte kräftig verändert: Die Zersiedelung.

Der Individualverkehr steigt. Der Pendler wird zwar durch die Pendlerpauschale gefördert, steht aber im Stau. Sein Blick ins Grüne wird währenddessen immer stärker verbaut.

Knappes Bauland

Nach dem Auszug der Kinder bleiben die Eltern meist zu zweit im Einfamilienhaus wohnen. Stirbt der Partner, bleibt eine Person alleine in einem ganzen Haus zurück. Seit den 1960er Jahren hat sich auch der Anteil der Einpersonenhaushalte von 20 Prozent auf 41 Prozent mehr als verdoppelt. Je weniger Personen in einem Haushalt wohnen, desto mehr Fläche brauchen sie im Durchschnitt. So steigt die Wohnfläche pro Person 2014 auf 46,5 Quadratmeter. Gleichzeitig fehlt Bauland, denn die Zersiedelung soll gestoppt werden. Eine Lösung ist das Nachverdichten. Auf bestehende Häuser wird ein Stockwerk oben drauf gebaut oder Baulücken, zum Beispiel Innenhöfe, werden mit Häusern zugebaut.

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Manuel Gerber