Keine Zeit für Hygiene
Das Aktionsbündnis Patientensicherheit ist meine erste Anlaufstelle. Ich vermute hier Kompetenz zu meinen Fragen. Schließlich ist unzulängliche Pflege eine direkte Bedrohung der Patientensicherheit. Außerdem hat die Vorsitzende Hedwig Francois-Kettner Jahrzehnte im Pflegeberuf gearbeitet. Zuletzt als Pflegedirektorin in der Berliner Charité. Sie weiß, was Pflegenotstand bedeutet: „Das Pflegepersonal, das beispielsweise alleine in einer Schicht arbeitet, und für vier Intensivpatienten verantwortlich ist, kann im Prinzip sich nicht oft genug die Hände waschen, oder entsprechend hygienisch einwandfrei arbeiten, weil die Zeit dafür nicht existiert.“
Hedwig Francois-Kettner spricht davon, dass es allein in den Intensivstationen 88.000 vermeidbare Infektionen pro Jahr in deutschen Krankenhäusern gebe. Doch nicht nur für die Patienten sei der Mangel an Pflegepersonal gefährlich. Auch die 400.000 Pflegekräfte leiden: „Sie werden krank, sie haben einen höheren Krankenstand als alle anderen Berufsgruppen. Sie haben eine hohe Rate an Burnout weil sie diesen Druck von 8 Stunden jeden Tag in einer Schicht rund um die Uhr nicht aushalten.“ Jetzt will die Politik besonders „pflegesensitive“ Bereiche mit mehr Personal ausstatten. Hedwig Francois-Kettner ist skeptisch. Die Kräfte würden aller Wahrscheinlichkeit nach aus anderen Bereichen abgezogen, wodurch sich die Lage dort noch verschlimmere.
DKG: „Kein genereller Pflegenotstand.“
Die Pfleger leiden und die Patienten leiden. Unter dem ökonomischen Druck verwandeln sich Krankenhäuser, in denen eigentlich geheilt werden sollte, immer mehr in Krankenfabriken, in denen mit Krankheit gewirtschaftet wird, ja in denen verschiedene Krankheiten – zum Beispiel Infektionskrankheiten - regelrecht gezüchtet werden. Mein nächster Gesprächspartner ist Georg Baum, Geschäftsführer bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft, DKG. Auch ihm – denke ich – müsste das Wohlergehen der Pfleger und Patienten am Herzen liegen. Doch er hält die Aufregung über den Pflegenotstand für übertrieben. „Nun einen globalen Pflegenotstand, dass global davon gesprochen wird, dass wir eine pflegerische Unterversorgung unserer Patienten in den Krankenhäusern hätten, kann man sicherlich nicht sprechen. Also kein genereller Pflegenotstand.“ Ich verweise auf eine wissenschaftliche Studie, die zu dem Ergebnis kommt, dass in Deutschland 100.000 Pflegekräfte in den Krankenhäusern fehlen. Georg Baum antwortet, die DKG teile diese Zahlen nicht. Und spricht von derzeit 10.000 unbesetzten Stellen. Als ich vorrechne, dass 10.000 zusätzliche Kräfte bei 2.000 Krankenhäusern lediglich 5 zusätzliche Kräfte pro Krankenhaus bedeuten, lenkt er ein: „Wir werden mehr Pflegekräfte brauchen als diese 10.000 freien Stellen, die wir haben, das sehen wir auch.“ Doch spricht er vor allem davon, dass man mehr Assistenzpflegekräfte und andere Hilfskräfte einstellen wolle, um die Pflegekräfte zu entlasten.
Die Ursache: Flurbereinigung der Krankenhauslandschaft
Auf der Fahrt zu meiner letzten Anlaufstelle, dem Deutschen Pflegerat, denke ich: Hilfspflegekräfte gibt es schon jetzt in großer Zahl. Zum Bettenmachen etwa. Aber sie haben keine medizinischen Kenntnisse und können deshalb Fachpflegekräfte nicht ersetzen. Irene Maier, Vizepräsidentin beim Deutschen Pflegerat, weiß, warum der Krankenhausvertreter Georg Baum das Problem mit dem Pflegenotstand so herunterspielt. „Herr Baum ist Vertreter, Lobbyist der Krankenhäuser und bei den Krankenhäusern geht es in Deutschland um Gewinnerwirtschaftung. Und bei Ansage der 10.000 Stellen, die nach seiner Ansicht ausreichen, geht es natürlich um eine minimale Größe, um die Gewinne der Krankenhäuser nicht einzuschränken.“
Und dann sagt Irene Maier etwas Ungeheuerliches: Der Pflegenotstand sei letztlich Folge einer übervorsichtigen Politik. Politiker würden sich nicht trauen, überflüssige Krankenhäuser zu schließen, weil sie mit der unpopulären Maßnahme Wählerstimmen verlieren könnten: „Wir haben in Deutschland bekanntermaßen zu viele Krankenhäuser. Und der Trick dabei ist, damit sich die politisch verantwortlichen möglichst die Hände nicht schmutzig machen, es über wirtschaftliche Vorgaben zu regeln, damit Krankenhäuser in die Insolvenz gehen und damit vom Markt genommen werden müssen.“ Die Krankenhäuser reagierten auf den wirtschaftlichen Druck unter anderem mit Einsparungen, insbesondere in den Pflegediensten. Sollte das tatsächlich der Fall sein, wäre das ein Skandal. Eine Flurbereinigung der Krankenhauslandschaft durch wirtschaftlichen Druck ist eine ganz miese Masche, die nicht nur Pflegekräfte quält. Sie spielt auch mit dem Leben der Patienten.
Beim Gesundheitsministerium wollte man mir kein Interview geben. Schriftlich hieß es, man sei für das Problem nicht zuständig.