Wo einmal Spargel wachsen sollte, treiben heute nur junge Maispflanzen aus dem Boden. Landwirt Joachim Huber aus dem badischen Hügelsheim ist nichts von seinem damals frisch angelegten viereinhalb Hektar großen Spargelfeld geblieben. Mit gemischten Gefühlen läuft er heute über die Ackerfurchen – denn heute weiß er: der Boden ist verseucht. Mit per- und polyfluorierten Chemikalien (PFC). „Das war natürlich erstmal ein Schock. Wir haben die Flächen hier 2006/2007 übernommen, in großer Vorfreude, hier Spargel anbauen zu können, weil hier in Hügelsheim die Böden einfach ideal sind und auch die Feldzuschnitte sehr schön sind und wurden dann eingeholt von dieser PFC Problematik.“ 200.000 Euro eingeplanter Umsatz gehen ihm seitdem pro Saison verloren. Den Spargel musste er roden. Aus der Vorfreude ist heute eine bittere Erkenntnis geworden: das Einzige, was er hier noch anbauen kann, ist Körnermais. Denn, so viel weiß man inzwischen über die Chemikalien, PFC lagern sich nur in den grünen Teil der Pflanze ein, nicht aber ins Korn. Zwar pflügen die Landwirte die Maispflanzen nach der Ernte wieder unter – die PFC bleiben somit im Boden – aber das tun sie so oder so. Denn PFC bauen sich nicht ab, zersetzen sich erst ab circa 1.000 Grad Celsius. Doch Abtransportieren, Verbrennen, Bodenaustausch – all das sind zur Zeit keine denkbaren Optionen. Denn nicht nur Landwirt Joachim Huber ist vom PFC Skandal betroffen – insgesamt fast 500 Hektar Boden zwischen Rhein und Schwarzwald sind mit den giftigen Chemikalien verseucht. Was sich bald herausstellt: der Vorbesitzer, von dem Joachim Huber vor zehn Jahren mehrere Flächen übernimmt, hat diese mit offenbar verunreinigtem Kompost gedüngt. Er stammt von einem Komposthändler, der alle PFC-betroffenen Landwirte aus der Region über Jahre belieferte. Der Kompost war mit Papierschlämmen versetzt – damals ganz legal. Dass so auch die Chemikalien in den Kompost und damit als Dünger auf die Felder gelangten, kann dem Komposthändler nie eindeutig bewiesen werden. Das Verfahren gegen ihn stellte die Staatsanwaltschaft schließlich ein. Ohnehin, so die Auskunft, sei der Fall verjährt gewesen.
Schadensbegrenzung
Bitter für Landwirt Huber. Denn die PFC in seinem Boden verjähren eben nicht. „Man ist enttäuscht, dass hier einer was getan hat, das offensichtlich nicht richtig war und im Endeffekt auch keiner Strafe entgegensieht. Und wir, die nichts dazu beigetragen haben, die Leidtragenden sind.“ Auf den Vorpächter seiner Felder sei er aber nicht sauer – das ändere nichts an seiner Situation. Was ihm bleibt, ist sein Spargelfeld nebenan. Auch dieses hatte er vom Vorpächter übernommen, auch hier ist der Boden mit PFC belastet. Doch so gering, dass der Anbau weitergehen kann. Unter der Kontrolle von Dr. Jörn Breuer und Melanie Zoska vom Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg (LTZ). Manchmal kommen die Kontrolleure auch zwei Mal während einer Saison, zur Nachkontrolle. So wie heute bei Joachim Huber, dessen Spargelernte bereits läuft. Mit dem „Vorernte-Monitoring“ wollen die örtlichen Behörden verhindern, dass PFC belastete Nahrung in den Verkauf gelangt – und das Vertrauen der Verbraucher zurückgewinnen. Immer, wenn einer der betroffenen Landwirte auf einer belasteten Fläche ernten will, kommen Proben der Ernte ins Labor des LTZ. Das „Vorernte-Monitoring“ ist freiwillig, aber alle betroffenen Landwirte haben bisher jedes Jahr mitgemacht. Transparenz ist das wichtigste, wenn man verunsicherte Kunden zurückgewinnen will. Schadensbegrenzung – nur leider kommt sie zu spät für den Boden. Um zu klären, wie die belasteten Böden überhaupt weiter nutzbar sind, betreibt Jörn Breuer vom LTZ ein PFC-Versuchsfeld. Es liegt nur wenige Kilometer von den verseuchten Spargeläckern Hubers – auch dieses Feld hatte er 2006 von dem Vorbesitzer übernommen und hat heute keine Verwendung mehr dafür. Also hat er es den Wissenschaftlern zur Verfügung gestellt. Mit seiner Mitarbeiterin untersucht Jörn Breuer hier nun, welche Pflanze wie viel PFC aufnimmt. Grundlagenforschung und Beratung für die Landwirte: was noch anbauen auf den belasteten Böden und was besser nicht?
Feldversuche
Breuer hat herausgefunden, dass Pflanzen im Gewächshaus generell die PFC viel stärker einlagern als auf dem freien Feld, da keine natürliche Auswaschung unter dem Glasdach stattfinden kann. Aber selbst bei eng verwandten Pflanzen verhalten sich die Chemikalien sehr unterschiedlich – was die Sache nicht leichter macht. So lagert Weizen viel PFC ein, Gerste dagegen nicht. Soja würde sich für den Anbau auf PFC-Flächen anbieten, nur leider passt es nicht auf die Hügelsheimer Böden. So bleibt es bei den meisten Landwirten beim Saatmais, der unbedenklich ist, wenn nur das Korn weiterverarbeitet wird. So erarbeiten sich Experten und Landwirte gemeinsam mühsam Wissen über Chemikalien, die plötzlich als Problemstoffe in den Böden auftauchten. Viele Fragen aber sind weiterhin unbeantwortet. So entstehen die kurzkettigen PFC, die Breuer und seine Mitarbeiterin in den Pflanzen nachweisen können, aus sogenannten Precursoren. Vorläufersubstanzen, aus deren Abbauprozess die PFC erst entstehen. Das Problem: selten wird ein Stoff, sondern es werden immer Stoffgemische in der Produktion verwendet. Welche Substanzen also genau damals in den Boden gelangten – und welche Abbauprozesse in den verseuchten Böden vielleicht noch laufen – all das wissen die Experten noch nicht. Überhaupt gibt es für viele der einzelne der insgesamt 2.000-3.000 Einzelsubstanzen der per- und polyfluorierten Chemikalien noch keine Methoden, sie analytisch auch nachzuweisen. Und so ist es keine Überraschung, dass es bisher auch noch keine toxikologisch hergeleiteten Grenzwerte für PFC in Nahrung gibt. Breuer muss deshalb mit den Grenzwerten für Trinkwasser arbeiten – ohne genau zu wissen, ob sich diese einfach übertragen lassen. Die Erkenntnisse, die Breuer mit seinem Team auf dem PFC Versuchsfeld erlangt, sind für deutsche und europäische Umweltbehörden deshalb von großem Interesse. Doch bis sich diese Erkenntnisse auch in neuen Regelungen und Gesetzen niederschlagen – zumal die Regulierung von Produktion und Einsatz von Chemikalien auf europäischer Ebene geschieht – dürften weitere Jahre ins Land gehen. Dabei sieht Breuer genau darin den einzigen Weg:„Der richtige Weg, langfristig mit dem Problem umzugehen ist sicherlich der, den Einsatz von Chemikalien strenger zu regulieren, um zu verhindern, dass solche Substanzen überhaupt in den Boden gelangen.“
Kontrollen? Nur im Verdachtsfall
Denn, so viel ist sicher, eine flächendeckende Kontrolle aller landwirtschaftlich genutzten Böden auf sämtliche mögliche Schadstoffe ist schlicht unbezahlbar, wenn man bedenkt, dass allein die Stoffgruppe der PFC mehrere tausend Einzelsubstanzen umfasst. Und selbst wenn das Geld da wäre – wer finden will, muss wissen, wonach er sucht. Genauso plötzlich wie PFC als Boden-Schadstoffe plötzlich ins Rampenlicht rückten, könnten uns in Zukunft noch andere Stoffe plötzlich Probleme bereiten, die wir heute noch gar nicht kennen, geschweige denn nachweisen können. Zwar gibt es Bodenkontrollen, in Baden-Württemberg ist beispielsweise die LUBW, die Landesanstalt für Messungen, Umwelt und Naturschutz zuständig – doch ihr Boden-Monitoring, so erklärt es Dr.Peter Dreher, Leiter der Abteilung Boden und Altlasten, ist eine Langzeitbeobachtung und nicht darauf ausgerichtet, einzelne Missbrauchsfälle wie den Kompost auf den badischen Äckern aufzudecken. „Es ist kein Fahndungssystem für Einzelfälle“, sagt er, und erklärt den Aufbau der Boden-Messststelle, an der seine Mitarbeiter regelmäßig Proben entnehmen. An insgesamt 155 Messpunkten im ganzen Land messen die Mitarbeiter der LUBW verschiedene Werte im Boden. Fünf strategisch ausgewählte Intensiv-Bodenmessstellen werden besonders ausgewertet: hier ist der Boden einer besonderen Belastung ausgesetzt, beispielsweise Feinstaub und anderen Abgasen. Hier liegt die Bodenmessstation direkt an der A5. Gemessen wird – grob zusammengefasst – alles, was in den Boden einwirkt, also Laub, Regenwasser, Schwermetalle, Abgase etc. und alles, was aus dem Boden rausgeht, also Sickerwasser. Denn im Wasser lassen sich viel einfacher repräsentative Proben entnehmen als im Boden, wo sich Stoffe sehr unregelmäßig verteilen. Das macht Bodenschutz schwer, weiß auch Dr. Peter Dreher. „Im Boden können sie innerhalb weniger Zentimeter schon unterschiedliche Stoffgehalte haben. Sie müssen sehr sehr viele Proben entnehmen, das macht es sehr aufwändig und im Übrigen auch sehr teuer.“ An ihren Boden-Intensivmessstellen entnehmen die Wissenschaftler also nicht nur Bodenproben, sondern analysieren sämtliche Proben aller Stoffe, die sie hier sammeln. So können sie ganze Stoffbilanzen erstellen – wie hat sich welcher Stoffgehalt im Boden über die Jahre verändert? Doch ein Fälle wie den der verseuchten PFC-Äcker kann ein solches Messsystem nicht verhindern – und ist auch gar nicht darauf ausgelegt. Dafür gilt in Deutschland das Bundesbodenschutzgesetz, doch auch das sieht Boden-Kontrollen nur im konkreten Verdachtsfall vor. Dann zielt das Gesetz vor allem darauf ab, den Verursacher einer Boden-Verunreinigung haftbar zu machen. Für den Boden ist es dann ohnehin zu spät.
„Wir können den Boden nicht vermehren“
Dabei gibt es durchaus Ansatzpunkte. Zwar werden einzelne Stoffe aus der Gruppe der PFC inzwischen auf europäischer Ebene für ein Verbot gehandelt – noch sieht aber selbst das Bodenschutzgesetz keine Analyse auf PFC vor, obwohl ihr Gefahrenpotenzial für den Boden inzwischen hinlänglich bekannt sein dürfte. Obwohl man inzwischen nicht nur im badischen PFC-Skandal davon ausgeht, dass verunreinigter Kompost die Ursache war, dürfen Landwirte weiter damit düngen – und auch mit Klärschlamm, der aber, neben wertvollen Nährstoffen wie Phosphor, eben auch Schadstoffe wie PFC enthalten kann. Während man also hinter der einen plötzlich im Boden entdeckten Schadstoffgruppe hinterher untersucht und reguliert, ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis die nächsten Substanzen auf irgendeinem Boden in Deutschland plötzlich Probleme bereiten. Das weiß auch Dr. Jörn Breuer: „Die Wahrscheinlichkeit, dass auch andere solcher Stoffe irgendwo in der Umwelt unterwegs sind, die uns da noch beschäftigen werden, die ist durchaus gegeben. Aber wir können den Boden nicht vermehren. Wir haben nur das, was wir hier um uns haben und wir brauchen diese Flächen.“ Allen voran die Landwirte. Für sie ist der Boden Kapital, Existenzgrundlage. Deshalb geht das Ernte-Monitoring“ in Nordbaden auch weiter. Joachim Huber atmet erst mal durch: all seine bisherigen Spargelproben sind unbelastet. Sein belastetes Spargelfeld wird er noch ein oder zwei Jahre bewirtschaften, dann ist der Acker zehn Jahre alt, Zeit für eine neue Kultur. Körnermais, was auch sonst. Dennoch bleiben viele Fragen: „Sind die Flächen überhaupt in Zukunft nutzbar? Es kann ja durchaus sein, dass die Flächen selbst nach der Sanierung für uns unnutzbar sind, für uns verloren sind, definitiv verloren. Und das wär für uns der Super GAU.“ Sein Boden hat den GAU schon erlebt.