Kinder im Visier
Deutsche haben im Jahr 2015 im Schnitt 35 Kilogramm Zucker pro Kopf konsumiert. Mutter Verena Schmidt weiß, dass das für ihre Familie nicht gesund ist. Trotzdem ist der Frühstückstisch mit Schoko-Creme, Instant-Kakao und Muffins reichlich süß gedeckt: „Die Kinder lieben eben Zucker“.
Mit zahlreichen Tricks versucht die Zuckerlobby den Konsum von Süßigkeiten zu verharmlosen. Zudem werden Milliardenbudgets investiert, um mit kindgerechter Werbung vor allem die Kleinen für’s Naschen zu begeistern. Doch nicht nur Werbung berieselt die Kinder und Teenies. Auch mit Unterrichtsmaterial-Material zu gesunder Ernährung versucht man, die Kinder zu beeinflussen. Zum Beispiel die Comics von der Stiftung Kindergesundheit, die kostenlos für die erste und zweite Klasse zur Verfügung gestellt werden.
Diese Stiftung wird unter anderem von Nahrungsmittelfirmen wie Milupa gesponsert. Entwickelt wurde das Unterrichts-Material von dem Kinderarzt Prof. Berthold Koletzko, der unter anderem von Beneo, einer Tochterfirma von Südzucker, Drittmittel erhält.
Mit den Schulmaterialen versuche die Industrie zu signalisieren, dass ihr Kindergesundheit am Herzen liege. Bei genauem Hinschauen zeige sich jedoch, dass damit andere Ziele verfolgt werden, meint Felix Kamella von Lobby Control: „Bei Unterrichts-Materialien, die von Unternehmen oder Unternehmens-Verbänden hergestellt werden, fällt die Einseitigkeit in den Materialien häufig dadurch auf, dass die enthaltenen Informationen, erst mal nicht falsch sind, aber dass wichtige Informationen fehlen oder in den Hintergrund rücken. Hier in dem konkreten Fall sieht man, dass die Schülerinnen und Schüler sich als ‚Lebensmittel-Detektive’ mit dem Thema Fett auseinandersetzen sollen. Ein ähnliches Material zum Thema Zucker fehlt. Daran sieht man dann, wessen Interessen da möglicherweise hinter stecken.“
Was sagt die Wissenschaft
Mit selektiver Information wird die Aufmerksamkeit vom Zucker auf andere Themen verlagert. Auf unsere Anfrage zum Thema ‚Zucker und Diabetes Typ 2’ führt die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker wissenschaftliche Arbeiten an, die die eigene Darstellung belegen sollen. Da heißt es:
„Als sicher gilt: Veranlagung, Lebensstil, hohes Alter, Rauchen, der Verzehr von rotem Fleisch und Übergewicht begünstigen die Erkrankung an Diabetes. Gesüßte Limos führt der Diabetes-Risiko-Test des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) hingegen nicht an.“
Wir fragen bei Matthias Schulze nach, der an dem zitierten Test seinerzeit mit gearbeitet hat. Der Knackpunkt: Die zugrunde liegende Studie wurde in den 1990er Jahren in der Region Potsdam durchgeführt. Und kurz nach der Wiedervereinigung wurden dort nur wenig gesüßte Limos konsumiert. Deshalb war es gar nicht möglich, eine Diabetes-Statistik dazu zu erstellen. Dieses entscheidende Detail wird in der Antwort des Vereins der Zuckerindustrie jedoch unterschlagen. „Europaweit haben wir gesehen, dass die Personen, die gezuckerte Getränke regelmäßig konsumieren ein 20 bis 30 Prozent höheres Risiko haben, an Diabetes Typ 2 zu erkranken“, erklärt Schulze.
Weltweit gibt es mittlerweile zahlreiche Studien, die den Zusammenhang zwischen Zucker, Übergewicht und Diabetes herstellen. Zum Beispiel haben Stanford-Forscher untersucht, wie zuckerreich die Ernährung in 175 Ländern ist und das ins Verhältnis zur Häufigkeit von Typ-2-Diabetes gesetzt. Das Ergebnis: Dort, wo Menschen mehr Kalorien aus Zucker-Quellen zu sich nehmen als aus anderer Nahrung, steigt die Zahl der Diabetiker elfmal schneller. Eigentlich ein eindeutiges Ergebnis. Doch alle Studien haben ein Problem, das sich die Zuckerlobby in ihrer Argumentation zu Nutze macht: „Man fordert Studien, für die Probanden ausschließlich gesüßte Getränke über viele Jahre trinken müssten“, beschreibt Schulze das Dilemma. „Vor allem, wenn man an Endpunkte wie Diabetes denkt, ist das eine ethisch fragwürdige Herangehensweise, die so niemand realisieren kann“, sagt der Ernährungsforscher.
Rotes Tuch Zuckersteuer
Es bleibt daher ein Rest an Unsicherheit, welche Zuckerdosis genau krank macht. Das nutzt die Zuckerlobby geschickt, um Zweifel zu schüren und die Idee einer Zuckersteuer zu diskreditieren. Dieses Vorgehen vergleicht Felix Kamella von Lobby Control mit der Strategie, die auch Tabakindustrie über viele Jahre erfolgreich praktiziert hat: „Eine der zentralen Botschaften auf die gesetzt wird, ist die Eigenverantwortung. Man versucht auf diese Weise, die Verantwortung dem Verbraucher zuzuschieben und sich selbst über gesellschaftliches Engagement und über Image-Förderung aus der Sache herauszuhalten. Man stellt sich selbst als Unternehmen mit gesellschaftlicher Verantwortung dar, und darüber wird immer wieder versucht, auch der Politik gegenüber zu formulieren: Wir sind gar nicht Teil des Problems, sondern wir sind Teil der Lösung.“
Knapp 24 Teelöffel Zucker essen wir pro Tag. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt gerade mal 6. Um das zu erreichen, könnten eine veränderte Kennzeichnung zuckerhaltiger Lebensmittel und eine Zuckersteuer helfen. Andere Länder machen bereits vor wie´s geht – erfolgreich!