Aus Sicht eines Bewohners
„Ein Leben lang war ich selbstständig: Berufliche Karriere, eigene Familie mit Kindern, hab anderen geholfen, war für jeden da, und jetzt geht es plötzlich nicht mehr: Nach dem Oberschenkelhalsbruch musste ich von der Klinik anschließend direkt ins Altenpflegeheim. Erst nur zur Kurzeitpflege und dann als Dauerpflegefall. Soviel Pflege kann man nicht von den Angehörigen erwarten. Man ist also auf einmal auf Fremde angewiesen. Das fühlt sich komisch an, weil man mich hier nicht kennt und niemand weiß, wer ich einmal war. Die Pfleger sehen wahrscheinlich nur den Pflegefall in mir, dem man bei allem helfen muss, der nicht mal mehr alleine aufs Klo kann. Das kann manchmal schrecklich peinlich sein. Denn innen drin in mir, bin ich doch immer noch der Alte. Bitte behandelt mich mit Würde! Es ist schon hart genug für, das alles akzeptieren zu müssen, dass ich plötzlich so kraftlos bin und scheinbar nur noch aus Falten bestehe. Und dann diese ganzen schmerzhaften Krankheiten - also alt zu werden ist wahrlich kein Zuckerschlecken. Aber es gibt keinen Weg, das zu verhindern. Bitte behandelt mich mit Würde!“
Aus Sicht eines Pflegeschülers
„6:30 Uhr am Morgen. Schichtbeginn. Bis 10:00Uhr müssen alle ihr Frühstück gegessen haben, damit der Frühstückswagen wieder pünktlich abgeholt werden kann. Alle, das sind 40 Alte und wir Pfleger sind zu viert. Also zehn kommen auf jeden von uns. Wecken, Windeln wechseln, Waschen, Rasieren, Anziehen und ab in den Speisesaal. Und dann der nächste. Herr Müller geht’s heute Morgen nicht so gut, ist langsam und mürrisch, macht nicht so richtig mit. Okay, dann müssen wir das Rasieren heute halt ausfallen lassen. Wichtig ist vor allem, im Zeitplan zu bleiben, sonst gibt es wieder einen dummen Spruch von der Schichtleiterin. Auch Frau Mayer von Zimmer 37 ist heute irgendwie total verwirrt. Gerade waren wir noch gemeinsam auf der Toilette und jetzt macht sie trotzdem in die Hose. Das gibt’s doch nicht! Mensch Frau Mayer, muss das jetzt sein? Also gut dann halt Windeln, irgendwie muss man ja hier mal fertig werden. Und dann wollen die Alten immer reden und von früher erzählen. Wir sind hier doch nicht beim Kaffekränzchen. Wäre ja toll, wenn man die Zeit hätte, sich das alles anzuhören. Aber dann wird man nicht fertig und die Kollegen beschweren sich, weil sie meine Arbeit mitmachen müssen. Zum Glück ist diese Woche niemand krank in unserer Pflegeschicht. Das ist sonst die Hölle. Dann sind alle nur noch genervt. Das hab ich mir irgendwie mal anders vorgestellt, damals in der Ausbildung.“
Aus Sicht eines Angehörigen
„15:00 Uhr schnell rein zum Vater. Irgendwie muss das mal wieder sein. Ich wollte eigentlich schon letzte Woche ins Heim kommen. Hoffentlich klagt er nicht wieder darüber, dass er heim will, dass er hier noch verrückt wird unter den ganzen Dementen. Eine Pflege zu Hause? Wie soll ich das machen? Wir sind alle berufstätig und er braucht rund um die Uhr Pflege. Trotzdem hab ich jedes Mal nach so einem Besuch im Pflegeheim ein schlechtes Gewissen. Den Vater, der mal alles für einen getan hat, hier an diesem traurigen Ort zurücklassen zu müssen. Die Kinder wollen schon längst nicht mehr mit, weil es so komisch hier riecht. Kann man ihnen nicht verdenken. Ich hoffe bloß, dass mir das nicht irgendwann auch mal passiert und ich in so ein Heim muss.“
Aus der Sicht eines Zahnarztes
„Die von diesem Altenheim haben vielleicht Ideen. Rufen mich einfach in meiner Praxis an und sagen, dass ein Bewohner über Zahnschmerzen klagt, dass er aber nicht ausreichend transportfähig sei, um in meine Praxis zu kommen. Ob ich nicht mal vorbei schauen könne. Wie das gehen soll, frage ich? Ob es zumindest einen Behandlungsstuhl vor Ort gibt mit Licht? Nein natürlich nicht! Ich kann doch nicht alles stehen und liegen lassen und ins Altenheim fahren. Mein Wartezimmer ist voll. Ich bin natürlich kein Unmensch und habe einen Besuch an meinem freien Mittwochnachmittag angekündigt. Was nimmt man mit zu solch einem zahnärztlichen Hausbesuch im Pflegeheim? Taschenlampe, Mundspiegel, Zahnbürste, Servietten? Keine Ahnung, was da auf mich zukommt. Richtig helfen kann ich sowieso nicht mit so einer Ausrüstung. Und die Alten, die Ihre Zähne nicht mehr selbst putzen können, die können einem echt leid tun. Denn wenn die Mundhygiene niemand für sie übernimmt, wird ein Zahn nach dem anderen wegfaulen. Da führt kein Weg dran vorbei – das sind die Gesetze der Mikrobiologie. Aber ich als einzelner Zahnarzt kann das auch nicht verhindern.“
Trotzdem – es geht auch anders
Es gibt noch viele weitere Perspektiven zum Pflegenotstand. Die der Pflegeheimleiter, die der Krankenkassen, die der Politiker oder die der Pflegeausbilder. Und viele reden davon, dass sich etwas ändern müsste. Wem soll man da glauben? Die Lösung scheint auf jeden Fall nicht einfach zu sein. Aber es gibt Häuser, die einen anderen Weg gehen, die etwas Neues versuchen: Für Ihre Bewohner, aber auch für Ihr Personal. Kein leichter Weg! Heimleiter Andreas Haupt und seine Kollegin Karin Remmlinger kämpfen zusammen mit ihrem Team in Bad Friedrichshall für bessere Bedingungen, die allen zu Gute kommen. Sie setzen dabei vor allem auf die Qualifizierung des Personals.
Die vier Perspektiven wurden aus vielen Einzelgesprächen mit Betroffenen zu kurzen Berichten aus dem Alltag zusammengefasst.