Brandschutz

Ist Stuttgart 21 eine Todesfalle?

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AUTOR/IN
Sonja Legisa

Kann der neue Bahnhof in Stuttgart zur Todesfalle werden? Die Gegner sagen "ja", die Bahn "nein". odysso erklärt wie unterirdische Bahnhöfe auf den Brandfall vorbereitet werden.

Außenaufnahme vom Stuttgarter Bahnhof (Foto: SWR, SWR -)
SWR -

Ist Stuttgart 21 im Brandfall sicher? Darüber wird viel diskutiert. Im Visier der Gegner: Das Brandschutzkonzept der Bahn. Der neue Tiefbahnhof habe u.a. zu wenig Fluchtwege für die Masse der Reisenden, um das zu verdecken rechne die Bahn mit kleineren Personenzahlen auf Kosten der Menschen. "Stuttgart 21 wird zur Todesfalle" sagen die Gegner. Die Deutsche Bahn AG hingegen verteidigt ihr Brandschutzkonzept. "Wir haben in den letzten Jahren an der Sicherheitsschraube gedreht". Doch Stuttgart 21 ist nicht der einzige Tiefbahnhof, der gebaut wird. Experten standen schon häufig vor der Herausforderung unterirdische Bauten für den Brandfall sicher zu gestalten.

Herausforderung Brandschutz

Der moderne unterirdische Bahnhof ist hell und groß, Reisende sollen sich hier wohl und sicher fühlen. Doch der Anspruch an die Architektur ist mit dem Brandschutz häufig schwer vereinbar. So sind filigrane Tragwerke und weitläufige Raumstrukturen modern, doch im Brandfall kann sich der Rauch ungehindert in der ganzen Halle ausbreiten. Genauso sind lange Bahnsteige für eine schnelle Abwicklung ideal, doch bricht ein Feuer aus, sind die Fluchtwege endlos lang und beengt. Hinzu kommt, dass ein unterirdischer Bahnhof mit einem Haus ohne Fenster vergleichbar ist. Die ebenerdige Flucht ist unmöglich, so bleibt nur der Weg nach oben, doch hier zieht auch der heiße Rauch hin.
Wie geht man diese Herausforderung an? Wir erklären es anhand einer U-Bahnstation in Köln.

Beispiel U-Bahnhof

Deutschlands Städte sind durchzogen von Tunneln und U-Bahnhöfen. So auch Köln. Hier wird derzeit an der Nord-Süd Stadtbahn gebaut, eines der größten städtebaulichen U-Bahnprojekte Deutschlands. Was wird hier getan wenn es brennt? Wir treffen Gutachter und Ingenieur Dr. Roland Leucker: "Grundsätzlich besteht vielfach in der Bevölkerung eine gewisse Angst sich, in unterirdischen Anlagen aufzuhalten", sagt er. So sei die Technik zwar berechenbar, nur der Mensch eben nicht. Der Brandschutz versucht aber beidem gerecht zu werden. So steht folgende Frage im Mittelpunkt: Haben die Menschen im Brandfall genügend Zeit, um aus dem Bahnhof zu flüchten, bevor alle Wege verraucht sind?

Raus aus dem Bahnhof!

Wie viel Zeit benötigen die Menschen, um zu flüchten? Das herauszufinden ist keine leichte Aufgabe, doch es gibt dafür Methoden. So ist der Mensch zwar nicht berechenbar, doch könne man schon "gewisse Grundmuster im Verhalten der Menschen voraussetzen, wie zum Beispiel den Fluchtreflex", sagt Leucker.

Fingerzeig auf einen Bildschirm mit Notfallsimulation (Foto: SWR, SWR -)
Notfallsimulation: Jeder Punkt simuliert einen Menschen SWR -

Um die Fluchtdauer auszumachen füttert Leucker ein Simulationsprogramm mit allen relevanten Daten, die ihm zur Verfügung stehen, z. B. sämtliche Informationen zur Räumlichkeit der U-Bahnhaltestelle, Reaktionszeiten von Menschen und deren durchschnittliche Gehgeschwindigkeit. Besonders wichtig: Die Anzahl der Menschen, mit der er rechnet. So schreiben die Regelwerke vor, immer "von der größtmöglichen Personenzahl im Regelbetrieb" auszugehen. Dr. Roland Leucker wendet hierfür eine Formel an, die von komplett gefüllten Zügen ausgeht und addiert eine gewisse Menge an wartenden Personen, die noch auf dem Bahnsteig stehen. Das Ergebnis für unsere Haltestelle im Beitrag: 960 Personen.
Hat die Simulationssoftware nun alle Daten verarbeitet, visualisiert sie in Form von kleinen bunten Punkten die einzelnen Personen. Manche gehen schneller, andere langsamer. Alle benutzen die vorhandenen Fluchtwege. Das Ergebnis: An unserer Beispiel-Haltestelle dauert es rund 10 bis 11 Minuten bis alle Menschen nach draußen geflüchtet sind.

Gefährlicher Rauch!

Holt der Rauch die Menschen in 11 Minuten ein? Um diese Frage zu beantworten, wird ebenfalls mit Computersimulationen gearbeitet. Das Brand-Szenario, von dem man ausgeht, ist in allen unterirdischen Bahnhöfen das Gleiche: Ein brennender Zug fährt in die Haltestelle ein und hält an. Nun zeigt die Simulation wie schnell sich der Rauch vom brennenden Zug ausbreitet. Es gilt die Regel: Solange die Menschen flüchten, darf sich dichter Rauch nur oberhalb von 2,50 Meter über dem Bahnsteig befinden. Falls die Fluchtwege schneller verrauchen als die Menschen flüchten können, muss der Rauch in Schach gehalten werden. Das passiert mit Hilfe von Rauchabzügen oder Ventilatoren, die den Rauch aus der Halle saugen und ins Freie blasen. Hinzu kommen sogenannte Rauchschürzen, die aussehen wie Leinwände und im Brandfall von der Decke ausgefahren werden. Sie verhindern, dass sich der Rauch über mehrere Stockwerke verteilt und so höher gelegene Fluchtwege verrauchen. Ebenfalls sorgen verglaste Treppenhäuser dafür, dass die Fluchtwege nach oben möglichst lange rauchfrei bleiben.

… und was wird in Stuttgart geplant?

Selbstverständlich ist der neue Tiefbahnhof in Stuttgart wesentlich größer als die U-Bahnstation in Köln und auch die Architektur ist eine völlig andere, doch das Prinzip ist das gleiche: Die Personen müssen rechtzeitig flüchten können, bis der Rauch sie einholt. So zieht der Rauch im Stuttgarter Tiefbahnhof unter anderem über Lamellen ab, die sich in den Lichtluken befinden. Große Ventilatoren kommen ebenfalls zum Einsatz, Rauchschürzen hingegen nicht. Wie in Köln rechnet der Brandschutzbeauftragte in Stuttgart mit dem gleichen Brandszenario. Nur variiert er die Position des brennenden Zugs: Insgesamt vier unterschiedliche Brandstandorte werden am Computer simuliert und berechnet.

Kritik: Anzahl und Verteilung der Menschen

Für Diskussionen sorgten in der Vergangenheit die Fluchtwege. So musste die Bahn acht Fluchttreppenhäuser zusätzlich einplanen. Die Brandschutzbestimmungen hatten sich verschärft. Außerdem musste die Bahn mit einer höheren Menschenanzahl rechnen als ursprünglich: Maximal 16.000 statt ursprünglich 10.000 sollen in 23 Minuten draußen sein.

Doch den Gegnern ist das nicht genug. "Die Verteilung der Menschen, mit der die Bahn rechnet ist unrealistisch" sagt Dr. Christoph Engelhardt, Physiker und Systemanalytiker. Die Bahn geht davon aus, dass sich alle Personen gleichmäßig auf den vier Bahnsteigen verteilen. Bei insgesamt rund 16.000 Menschen sind das circa 4.000 pro Bahnsteig. Berücksichtige man jedoch die Züge mit der höchsten Kapazität, könnten bei Verspätungen "über 6.000 Personen auf einem Bahnsteig stehen", so Engelhardt. Der Brandschutzbeauftragte der Bahn, Klaus-Jürgen Bieger kontert: "Mehr Züge zu fahren, heißt nicht automatisch, dass alle Züge voll sind. Wir hätten natürlich gerne die Züge ganz voll, aber das ist nicht so, das verteilt sich." Selbst wenn der Nahverkehr bis 2021 zugenommen habe sei maximal mit 11.000 Menschen zu rechnen. "Das heißt, da ist eine hohe Sicherheitsreserve", so Bieger. Ohnehin würde extrem viel Prävention geleistet. Die Züge seien so sicher konzipiert, dass die Wahrscheinlichkeit eines Zugbrandes extrem gering sei.

Was berechnet werden kann, ist wohl berechnet worden. Eine Genehmigung des Brandschutzkonzepts stand im Februar 2015 noch aus. Doch trotz aller Simulationen: Kommt es zur Katastrophe, treffen oft Zufälle zusammen, mit denen zuvor keiner gerechnet hat.

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Sonja Legisa