Vom Opfer zum Täter

Die Ursachen von Gewalt

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AUTOR/IN
Manuel Gerber

Niemand wird als Gewalttäter geboren. Der biografische Einfluss ist groß. Das betrifft vor allem Erfahrungen in jungen Jahren.

Gewalt beeinflusst die Persönlichkeit von Kindern: Durch sie wird das Gehirn messbar verändert. Häufig erlebte Gewalt führt zu einer chronisch erhöhten Ausschüttung von Stresshormonen. Diese Hormone setzen die Empathie herunter und erhöhen die Bereitschaft zur Aggression. Die Selbstkontrolle entgleitet.

Die Erfahrung der Ohnmacht gegenüber Eltern, Lehrern oder anderen Bezugspersonen, die Menschen im Kindesalter machen, geben manche im späteren Leben weiter, indem sie selbst zu Tätern werden. Aktuellen Zahlen zufolge nimmt Gewalt in Deutschland in der Erziehung ab - wenn auch schleppend: In den vergangenen 20 Jahren stieg der Anteil gewaltfrei erzogener Kinder in Deutschland von rund 43 auf gut 60 Prozent. Das elterliche Züchtigungsrecht wurde im Jahr 2000 endlich abgeschafft.

Traumatisierung führt zu Gewalt - Kaum Gewalttäter aus intakten Familien

Länder, die Gewalt an Kindern verbieten, weisen weniger Jugendkriminalität auf. Der Statistik zufolge haben sich seit 2007 die Fälle von Gewaltkriminalität wie Totschlag, Raub oder schwere Körperverletzung deutlich verringert. Martin Rettenberger, Direktor der kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, sieht einen Zusammenhang:

Es gebe so gut wie kein schwerwiegendes Gewaltdelikt, bei dem der Täter aus einer intakten Familie stammt. In aller Regel gebe es bei Straftätern sehr frühe Traumatisierungen. Das müsse nicht gleich Misshandlung oder Missbrauch sein. Kinder spürten aber, ob sie lediglich versorgt oder als Person wirklich geliebt und gewollt würden, so Rettenberger.

Höheres Gewaltrisiko bei Männern

Besonders häufig werden Jungen und junge Männer kriminell. Wissenschaftler sehen hier zum einen genetische und hormonelle Ursachen. Aber auch die Art und Weise, wie Männer in der Familie und durch die Gesellschaft, in der sie aufwachsen, sozialisiert werden, sei entscheidend, betont Martin Rettenberger. ‚Soziales Lernen‘ ist das Stichwort. Demnach wird Männern auch heute noch immer eine bestimmte Rolle zugeschrieben, die ihnen anerzogen wird und die sie entsprechend erfüllen wollen. Diese Rolle geht nach den Erfahrungen von Kriminologen mit einem erhöhten Gewaltrisiko einher.

Soziale Bindung macht sozial

Geht man von diesen Erkenntnissen aus, bedeutet das im Umkehrschluss, dass stabile soziale Bindungen, besonders in der Familie, vor Kriminalität schützen können, durch eine Art Kontrollnetz. Dass unter den Tatverdächtigen von Gewaltkriminalität in Deutschland zum Beispiel viele Flüchtlinge sind, begründet sich aus Sicht der Forscher damit, dass unter ihnen überproportional viele junge Männer sind. Viele hätten kein soziales Kontrollnetz mehr, seien heimatlos und entwurzelt. Es seien aber gerade soziale Bindungen, die Menschen auf die zentralen Lebensbereiche wie Partnerschaft, Familie und Berufsleben vorbereiten. Wodurch man sich dann in einer Gesellschaft sozial anerkannt fühle.

Integration mindert Gewaltbereitschaft

Dafür, dass die meisten Menschen trotz negativer Erfahrungen in der Kindheit nicht irgendwann im Leben zum Täter werden, sind nach Ansicht der Forscher verschiedene Faktoren entscheidend: Sie liegen in der Person begründet sowie im entsprechenden Umfeld. Wissenschaftler betonen, dass Jugendliche, die zu Kriminalität und Gewalt neigen, dennoch ein stabiles Leben aufbauen können, wenn sie gesellschaftlich und vor allem auch beruflich gut integriert sind. Der Einfluss von außen ist also groß. Das zeigen Studien zu Biografien von Kriminellen.

"Der freie Wille entscheidet"

Und dann ist da noch der freie Wille, sich für oder gegen eine kriminelle Handlung zu entscheiden. Das betont der Direktor der kriminologischen Zentralstelle: Die meisten Menschen, die mit sehr negativen Voraussetzungen starten und in ihrer Kindheit Misshandlung, Missbrauch oder Schläge erleben, würden dennoch weder kriminell noch gewalttätig. "Die innere Widerstandskraft, der innere Schutz, den ein Mensch aufbauen kann, ist häufig stärker als das Risiko zur Gewaltbereitschaft, das jemand in sich trägt", ist Martin Rettenberger sicher.

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Manuel Gerber