Bewegung ist insbesondere für Ältere entscheidend für ihre Gesundheit. Je mehr Wissenschaftler dazu forschen, desto besser können sie in den Alltag integrierte Trainingsprogramme entwickeln.
Wenn Aliens unsere Welt besuchen würden, müssten sie wohl denken, für Menschen muss körperliche Anstrengung etwas Schädliches sein. Warum sonst sollten wir uns einen Maschinenpark geschaffen haben, der uns vor Bewegung aus eigener Kraft bewahrt. Rolltreppen, Aufzüge, die große Auswahl an Rollmaschinen, die uns mühelos von hier nach dort transportieren. Und die zahllosen Maschinen, die uns die Arbeit abnehmen.
Vom Laubbläser über den Vollernter bis zum Industrieroboter: Anstrengung wird zurückgedrängt, wenn irgend möglich. Doch der Preis dafür ist hoch. Bewegungsarmut verursacht Schäden an Körper, Geist und Seele. Ist die Ursache zahlreicher Krankheiten, wie Diabetes mellitus Typ 2, Herz- Kreislauferkrankungen jeglicher Art, Atemwegserkrankungen, Krebs, Depression … Die Liste ließe sich lange fortführen.
Land in Bewegung
In Rheinland-Pfalz gibt es – gefördert vom Innenministerium - das Programm „Land in Bewegung“. Um möglichst viele Menschen körperlich zu mobilisieren. Eins der Projekte - speziell für Kinder und Jugendliche – heißt: „Bewegungssteine“: Bewegungssteine mit Übungs-Anleitungen müssen auf dem Parcours gefunden werden. Und dann geht es los mit der Fitnessübung.
Stefan Puderbach kümmert sich um solche Projekte im Landkreis Neuwied. Der Bewegungsmanager beklagt die steigende Bewegungsarmut bei Kindern: „Besonders fatal ist es, wenn die Kinder im Alter zwischen sieben und zehn Jahren – im besten Lernalter – wichtige Bewegungserfahrungen – Gleichgewicht, Koordination – nicht erlernen. Sie können es später erlernen, aber das Gehirn, die Synapsen, die dort geschult werden, die können die Kinder später nur noch sehr sehr schwer aufholen.“
Wieder haben die Kinder einen Bewegungsstein entdeckt. Er fordert eine Übung, bei der es um Gleichgewicht und Koordination geht. Außerdem werden durch das Anziehen der Knie die Bauchmuskeln gekräftigt. Na klar, das ist schon ein bisschen anstrengend. Aber die Kinder haben auch Spaß bei den Übungen.

Mobilität als neues Diagnosekriterium
Bewegungsmuster als Informationsquelle zur Ermittlung des Gesundheitszustandes, zur Überprüfung des Therapieerfolgs, zur Bewertung der Wirksamkeit von Medikamenten, zur Überwachung des Krankheitsverlaufs. Das ist das Ziel des europäischen Forschungsprojekts Mobilise D, an dem auch im Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus gearbeitet wird. Die Bewegungsanalytik fügt den bisherigen Diagnosetechniken eine ganz neue Dimension hinzu. Mobilität als Diagnosekriterium, erklärt der Geriater
Prof. em. Clemens Becker, sei gerade bei betagten Personen für eine Einschätzung des Gesundheitszustandes aussagekräftiger als etwa Cholesterinspiegel oder Blutdruck. Den Wissenschaftlern ist es gelungen, die komplexen Bewegungen mit einem einzigen Sensor, der am Gürtel getragen werden kann, zu erfassen. So lassen sich im Alltag Bewegungsdaten über mehrere Tage hinweg ermitteln. Eine völlig neue Quelle medizinischer Information.
Eigens für diese Daten entwickelte Algorithmen erkennen in den Bewegungsdaten Informationen unter anderem über Tempo, Menge, Varianz, Länge und Symmetrie des Gangbildes. In naher Zukunft soll das zur Standarddiagnostik gehören. „Wir wollen erreichen, dass in den nächsten zwei, drei Jahren jedes neue Medikament dahingehend überprüfet wird, in welcher Form die Mobilität dadurch verbessert, möglicherweise aber auch verschlechtert wird“, erklärt Becker.

Training für Betagte
Der Heidelberger Alternsforscher Michael Schwenk probt mit Senioren in der Küche das LIFE-Programm: wie Bewegungen im häuslichen Umfeld optimal zu Trainingszwecken genutzt werden können. Beim Einräumen der Spülmaschine etwa: nicht bücken, sondern in die Hocke gehen. Kräftigt die Beinmuskulatur. Oder der Einbeinstand an der Spüle: Gutes Training für das Gleichgewicht.
Der Name des australischen Programms, LIFE, steht für Lebensstil integrierte funktionelle Übungen. Ganz normale Bewegungen sollen so ausgeführt werden, dass sich ein Trainingseffekt ergibt. Körperliche Ertüchtigung ganz ohne Fitnessstudio. Die 87jährige Christa Goenner-Radig hat beim LIFE-Training mitgemacht. Sie hat ein künstliches Hüftgelenk und einen teilversteiften Rücken. Mit dem LIFE-Programm wollte sie nach den OPs wieder auf die Beine kommen. Mit Erfolg:
„Also das war für mich ganz eklatant. Nach so einer Operation ist man schon sehr müde und unbeweglich. Und es war wunderbar, wie ich gemerkt habe, wie das wirklich was bringt.“ Eine Studie hat gezeigt, dass die Teilnehmer ihre Gehleistung um 1500 Schritte pro Tag verbessert haben. Das entspreche einer „Verjüngung“ um etwa sieben Jahre, erklärt Alternsforscher Michel Schwenk. Die Alternsforscher sind davon überzeugt: Mit LIFE ließe sich die Lebensqualität und die Selbständigkeit von Betagten deutlich erhöhen. Und fordern eine breite öffentliche Unterstützung für das Programm.
