Kernkraft

Atomkraft - wie gelingt der Ausstieg?

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odysso
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Martina Frietsch

Am 31.12.2022 werden die letzten Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz gehen. Ist die Stromversorgung gesichert und unser Leben weniger gefährlich?

Ende 2022 wird in Deutschland das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet. Doch der endgültige Atomausstieg dauert: Kraftwerke müssen zurückgebaut und strahlender Müll entsorgt werden. Auch die Diskussion geht weiter: Gelingt der Umstieg auf Erneuerbare Energien oder wird die Kernkraft gar noch gebraucht?

Atomkraft – nützlich oder gefährlich?

Gefährlich und teuer oder CO2-sparend und billig? Rund 60 Jahre lang lieferten Atomkraftwerke in der Bundesrepublik Strom, bis 2011 der Unfall von Fukushima das Ende der deutschen Meiler beschleunigte. Bis heute stehen sich Gegner und Befürworter der Atomkraft unversöhnlich gegenüber: Den einen konnte der Ausstieg nicht schnell genug gehen, die anderen sind überzeugt, dass Atomstrom unverzichtbar ist.

Die Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl kämpfte jahrzehntelang für den Ausstieg. Für sie war der Unfall im sowjetischen Tschernobyl 1986 der Auslöser, sich politisch zu engagieren. Als die rot-grüne Bundesregierung 2002 beschloss, keine neuen Kraftwerke mehr zu bauen, war ihr dieser Ausstieg aus der Kernkraft zu langsam. Besonders kritisch sieht sie das Problem des radioaktiven Abfalls: Bis heute weiß niemand, wie der Abfall aus sicher entsorgt beziehungsweise gelagert werden kann. Und angesichts der Entsorgungsprobleme sei Atomstrom eben nur scheinbar billig, sagt sie.

Der Karlsruher Kernphysiker Manfred Popp ist noch heute überzeugt, dass die Kernkraft ein riesiges Potenzial bietet. Er hat sein Berufsleben lang daran geforscht, diese Form der Stromerzeugung weiter zu entwickeln und sicherer zu machen. Die Bedenken gegen die Technologie versteht er, er teilt sie jedoch nicht. Oft fehlten den Menschen einfach Informationen, meint er, und dies führe zu Ängsten. Auch der Super-Gau von Tschernobyl ist für ihn kein Argument, da nicht fehlerhafte Technik den Unfall verursacht habe, sondern Menschen.

Transmutation soll Atommüll „entschärfen“

Weltweit suchen Länder nach einer Möglichkeit, Atommüll sicher zu lagern – für die nächste Million Jahre. Währenddessen arbeiten Wissenschaftler am KIT in Karlsruhe daran, so genannte Transmutations-Reaktoren zu entwickeln. Mit ihrer Hilfe kann der Atommüll zwar nicht unschädlich gemacht werden, aber er soll nur noch wesentlich kürzere Zeit radioaktiv strahlen: tausend Jahre oder gar einige hundert.
Um das zu erreichen, soll der Atommüll mit Neutronen beschossen werden; es kommt zu einer zweiten Kernspaltung und die Radioaktivität verringert sich. Der neue Transmutations-Reaktor – gesteuert durch einen Teilchenbeschleuniger – soll also dafür sorgen, dass die verstrahlten Reste der vorherigen Atomreaktoren weniger schädlich werden.
Bisher allerdings existiert die Technik nur in der Theorie. Und interessant, so Kritiker, sei sie allenfalls für Länder, die weiter auf Atomenergie setzten und strahlenden Müll produzierten, beispielsweise Frankreich oder Tschechien. Kernphysiker Walter Tromm, der am Programm NUSAFE arbeitet, sieht das ähnlich: Die neue Technologie könne solchen Staaten helfen, die Atommüll-Menge, die letztlich ins Endlager muss, stark zu reduzieren.

Atomkraft – eine Geschichte schwerer Unfälle

Über die Entsorgung des strahlenden Mülls machte sich zu Beginn der Atomkraft-Nutzung kaum jemand Gedanken – ebenso wie über die Sicherheit der neuen Technologie. Anfang der 1950er Jahre ging in den USA der erste zivil genutzte Reaktor in Betrieb; schon kurz darauf, 1952, kam es im kanadischen Forschungsreaktor „Chalk River“ zu einem ernsten Unfall mit teilweiser Kernschmelze.
1957 folgte ein Unfall im russischen Kyschtym in der Wiederaufbereitungsanlage Majak. Rund 500.000 Menschen wurden verstrahlt; der Unfall wurde jahrzehntelang geheim gehalten. Nur einen Monat brannte es im Reaktor im nordenglischen Kernkraftwerk Windscale (heute: Sellafield). Die Umgebung wurde verstrahlt, radioaktive Asche zog über Europa. Auch die USA erlebten um ein Haar einen Super-Gau: 1979 kam es durch Material- und Bedienfehler zu einer teilweisen Kernschmelze im Kraftwerk Three Mile Island bei Harrisburg.
Der erste Super-Gau, ein Störfall der Stufe 7 der INES-Skala, ereignete sich am 26. April 1986 im sowjetischen Atomkraftwerk Tschernobyl. Durch einen missglückten Testlauf im Kraftwerk kam es zur Kernschmelze und mehreren Explosionen. Viele tausend Menschen starben in Folge des Unfalls, ein großes Gebiet wurde verseucht. Auch dieser Unfall wurde seitens der Regierung zunächst verschwiegen. Binnen weniger Tage zog eine radioaktive Wolke über ganz Europa; in der Folge waren Pflanzen und Böden über Jahre radioaktiv belastet. Der Unfall von Tschernobyl war ein Wendepunkt in der Diskussion über die Sicherheit von Atomkraftwerken. Immer wieder wurde allerdings betont, wie unsicher die sowjetischen Reaktoren seien; ein vergleichbarer Unfall sei in einem westlichen Land undenkbar.
Mitten in der politischen Debatte über die Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke verursachten ein Erdbeben und ein Tsunami im japanischen Fukushima den nächsten Störfall der höchsten Stufe 7. Am 11. März 2011 wurden vier Reaktorblöcke in Fukushima-Daiichi an der Pazifik-Küste überschwemmt. In drei Reaktoren kam es zur Kernschmelze.
Für Deutschland bedeutete der Unfall von Fukushima das Aus für sämtliche Atommeiler – ohne die Laufzeitverlängerung, die sich die Energiekonzerne gewünscht hatten.

Welche Folgen hat der Atomausstieg?

Gegner des Ausstiegs aus der Atomenergie haben zahlreiche Argumente – ein Check von Claudia Kempfert, Energie-Ökonomin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
Sicherheit: Die Sicherheit erhöht sich, je mehr Kraftwerke abgeschaltet werden. Aber klar ist auch, dass Radioaktivität nicht an Grenzen haltmacht. Solange die Deutschlands Nachbarländer ihre Akws weiterbetreiben, bedeuten diese auch für Deutschland ein Sicherheitsrisiko.
Stromlücke: Selbst wenn alle deutschen Atomkraftwerke vom Netz genommen würden, würde es weder eine Stromlücke noch einen Blackout geben, da die erneuerbaren Energien ausgebaut wurden.
CO2-arme Energie: Atomenergie gilt als CO2-arm, vergleicht man sie mit fossilen Energieträgern wie Kohle oder Öl. Dies wird oft als Argument für die Atomkraft angeführt, da zur Erreichung der Klimaziele ja der CO2-Ausstoß gesenkt werden muss. Rechnet man das CO2 mit ein, das bei Bau und Rückbau der Kraftwerke sowie beim Uranabbau ausgestoßen wird, sieht die Bilanz der Akws nicht mehr so gut aus.
Ebenso die Kosten: Atomstrom gilt als günstig. Dies wird er jedoch vor allem durch staatliche Subventionen – die letztlich wieder als Kosten auf die Bürger umgelegt werden. Ebenso müssen die großen Kostentreiber – Rückbau und Endlagerung des Atommülls eingerechnet werden.
Know-how: Ohne eigene Reaktoren wird es in Deutschland weniger Interesse an Forschung und Entwicklung und letztlich weniger Know-how in der Kernphysik geben. Die Zukunft und damit auch der Wettbewerbsvorteil für die Wirtschaft liege langfristig in anderen Technologien im Energiesektor, so Claudia Kempfert. Und bis es so weit ist, dauert es Jahrzehnte, in denen das Know-how der Fachleute beim Rückbau der Meiler gebraucht wird.

Strahlende Vergangenheit – der Rückbau der Atomkraftwerke

Die deutschen Atomkraftwerke werden endgültig abgeschaltet – doch das ist noch lange nicht das Ende. Bis ein Kraftwerk komplett rückgebaut und das Ziel „grüne Wiese“ erreicht ist, kann es zehn bis 15 Jahre dauern. Hochradioaktives Material muss sicher gelagert werden, und wahre Massen von nicht-radioaktivem Material wollen entsorgt werden: pro Kraftwerk sind es rund 800.000 Tonnen.
Grundsätzlich wird von außen nach innen Stück für Stück abgebaut – die stark strahlenden Teile bleiben bis zum Schluss. Lediglich die Brennelemente aus dem Reaktorkern werden schon zu Beginn der Arbeiten in sogenannte Abklingbecken gebracht, in denen sie über mehrere Jahre gekühlt werden müssen.
Ein Teil der Anlage wird mit chemischen Methoden von der Radioaktivität gereinigt. Der größte Teil eines Atomkraftwerks – rund 98 Prozent aller Materialien – ist nicht radioaktiv belastet, weil er nie mit strahlendem Material in Berührung kam. Dekontaminierte und gereinigte Materialien werden wie der Bauschutt auch konventionell recycelt. Leicht- bis mittelradioaktive Abfälle, die nach der Zerlegung übrig bleiben, also Metallteile, Lacke oder Betonteile werden in spezielle Fässer verpackt, um später eingelagert zu werden.
Da es weltweit bisher kein Endlager gibt, müssen die radioaktiv belasteten Abfälle auf dem jeweiligen Kraftwerksgelände zwischengelagert werden. Die hochradioaktiven Brennelemente kommen nach der Abklingzeit in sogenannte Castoren, die eigens für Transport und Lagerung entwickelt wurden. Etwa 1900 Castorbehälter stehen derzeit in Zwischenlagern auf Kraftwerksgeländen, um irgendwann endgelagert zu werden. Ursprünglich waren die gusseisernen, zylindrischen Castoren für eine Lagerzeit von 40 Jahren konzipiert. Obwohl niemand weiß, wie es in den vorhandenen Castoren aussieht, muss inzwischen die Genehmigung verlängert werden, denn die Suche nach einem Endlager in Deutschland dauert an.

Reichen die erneuerbaren Energien aus?

Bisher stammt rund die Hälfte des Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Energien. Schon in naher Zukunft sollen sie jedoch Strom aus Atomkraft und Kohle ersetzen. Dazu genügt es nicht, den Ausbau weiter voranzutreiben, denn eine wesentliche Rolle spielt der Netzausbau. Rund 7500 Kilometer Stromnetze müssen in den kommenden Jahren neu und ausgebaut werden, damit der Strom dort ankommt, wo er gebraucht wird: Strom aus Wind beispielsweise wird im Norden erzeugt und im Süden gebraucht. Dazu kommt, dass zwar ausreichend Strom aus erneuerbaren Energiequellen produziert werden kann, aber nicht immer dann, wenn er gebraucht wird. Auch hier spielt das Netz eine große Rolle, damit Stromerzeugung und -verbrauch aufeinander abgestimmt werden können und die Spannung im Netz stabil ist – eine Rolle, die bislang die Großkraftwerke hatten.

Dass die Erneuerbaren durchaus für die Versorgung ausreichen, zeigt im Kleinen das private Projekt von Künstler Klemens Jakob. Er hat sein Haus so gebaut, dass er komplett autark lebt – Strom kommt aus der Solaranlage, Wärme aus dem Holzofen. Er ist nicht ans Strom-, Wasser- oder Gasnetz angeschlossen. Dafür hat er sein Haus mit Batterien für die Stromspeicherung und mit Gleichstrom ausgestattet. Strom hat er genug zur Verfügung, auch wenn die Sonne mal nicht oder nur wenig scheint. Nur wenn es schneit, muss er aktiv werden: Dann muss die Solaranlage vom Schnee befreit werden.

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