Kommunikation unter der Erde

Nacktmulle reden in Dialekten

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AUTOR/IN
Christine Westerhaus
ONLINEFASSUNG
Antonia Weise

Nacktmulle sind besonders beeindruckende Nagetiere. Sie bilden soziale Strukturen – ähnlich wie Ameisen und Bienen leben sie in Kolonien und haben eine Königin. Berliner Biologen haben jetzt herausgefunden, dass unterschiedliche Kolonien in ihrem eigenen Dialekt miteinander kommunizieren.

Nicht nur wir Menschen sprechen verschiedene Dialekte, sondern auch Nacktmulle. Das berichtet das Forschungsteam um Gary Lewin vom Berliner Max-Delbrück-Centrum (MDC) für Molekulare Medizin im Fachblatt „Science“.

Nacktmulle haben ein feines Ohr

Nacktmulle zwitschern wie Vögel, wenn sie miteinander kommunizieren. Bei ihrer täglichen Arbeit geben sie viele dieser Laute von sich – die sogenannten "Tschirps". Das Forschungsteam hat sich die Kommunikation der Tiere genauer angesehen um herauszufinden, welche Rolle die Laute der Tiere in der Organisation der Kolonie spielen. Dafür entwickelten sie einen Algorithmus, welcher mit einzelnen Lauten gefüttert wurde. Die mathematische Analyse zeigt: Jedes Tier hat eine individuelle "soft Tschirp" – also jeder hat seine eigene Stimme.

Diese Tiere können die Stimmen anderer Mitglieder aus der Kolonie auseinanderhalten. Hier ist Jack, hier ist Joe, das hier ist John, hier spreche ich mit jemand anderem. Wir können es nicht belegen, aber es ist durchaus möglich, dass diese Tschirps so individuell sind, dass die Tiere sich gegenseitig erkennen können.

Nacktmulle sind dem Menschen ähnlich

Nacktmulle leben unterirdisch in hierarchisch organisierten Kolonien. Wie in einem Bienen- oder Ameisenvolk teilen sich die Mitglieder der Kolonie die anfallende Arbeit. Die Chefin ist eine Königin und nur sie bringt die Nachkommen zur Welt. Um den Nachwuchs kümmern sich anschließend ihre Schwestern.

Junge Nackmulle im Nest (Foto: IMAGO, IMAGO / blickwinkel)
Als einzige Säuger leben Nacktmulle in einem Sozialgefüge, das einem Ameisenstaat oder einem Bienenvolk ähnelt.

In einer solchen Kolonie hat jedes der etwa 40 Tiere einen festen Platz in der Rangordnung. Gleichzeitig kennen die anderen Mitglieder den sozialen Status der anderen Nacktmulle ganz genau. Es liegt also nahe, dass sich Individuen derselben Kolonie – ähnlich wie Menschen – gegenseitig an der Stimme erkennen können.

Die Bedeutung der meisten Laute haben wir noch nicht erforscht. Aber der nächste Schritt war zu fragen, ob diese Tschirps individuell für die Kolonien sind. Weil die Kolonien voneinander getrennt sind und jede Kolonie anders ist.

Sprache der Nacktmulle fördert Fremdenfeindlichkeit

Nacktmulle töten Artgenossen aus anderen Kolonien, wenn sie in den Bau eindringen. Offenbar erkennen sie koloniefremde Artgenossen an ihrer speziellen Mundart – also der Art und Weise, wie die Fremdlinge zwitschern. Als die Forschenden den Nacktmullen Laute von Artgenossen aus anderen Kolonien vorspielten, reagierten die Tiere nicht. Sie antworteten nur auf die „Tschirps“ ihrer Nestgenoss*innen. Für die Forschenden bedeutet das: Es gibt einen Dialekt und dieser Dialekt hat eine Funktion. So stellten sie sich die Frage, ob diese Funktion innerhalb oder außerhalb der Kolonie kommt.

Nackmull bei Analyse der Tonaufnahmen  (Foto: Pressestelle, Felix Petermann, MDC)
Die Forscher vom Max-Delbrück-Centrum in Berlin analysieren die Laute der Nacktmulle.

Woher kommt der Dialekt?

Um das herauszufinden, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler frisch geborene Nacktmulle in eine fremde Kolonie verfrachtet. Dort lernten die Tiere, im Dialekt der neuen Kolonie zu zwitschern. Das zeigt: Der Dialekt wird erlernt und ist nicht angeboren. Allerdings gibt es auch bei Nacktmullen eine Art Sprachfenster, in dem Nacktmull-Babys den Kolonie-Dialekt gewissermaßen akzentfrei sprechen lernen.

In einem Fall haben wir ein Tier ein bisschen später in die Kolonie gesetzt. Da konnten wir beobachten, dass dieses den Dialekt nicht so gut gelernt hat, wie andere Tiere, die früher in die Kolonie gesetzt wurden. Deshalb die Annahme: Je später das Tier in die Kolonie kommt, desto schlechter lernt es den neuen Dialekt.

Zusammenhalt durch die eigene Mundart

Interessant ist auch, dass der Kolonie-Dialekt den Nacktmull-Staat gewissermaßen beisammen hält. Denn manchmal kommt es bei Nacktmullen zum Staatsstreich: Ein paar Weibchen verbünden sich und stürzen die Königin. Die Anarchie, die nach diesem Putsch bis zur Ernennung der neuen Königin in der Kolonie herrscht, lässt offenbar auch die Sprache entgleiten.

Nacktmull in einem Höhlensystem (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Friso Gentsch)
Die kleinen Nager leben in unterirdischen Höhlen in großen Kolonien.

Die Forschenden stellten außerdem fest: Die Dialekte gehen während der Anarchie auseinander. Sobald die Königin da sei, würden alle Nacktmulle gleich sprechen. Sobald keine Königin anwesend sei, würden die Dialekte wieder auseinander gehen. Es gibt also ein sogenanntes "Queens English".

Alle diese Experimente zeigen, dass der Nacktmull sehr viele menschliche Eigenschaften hat. Dabei existiert der Nacktmull seit mindestens 20 Millionen Jahren – lange bevor der Mensch seine Dialekte, sein Sozialleben entwickelt hat.

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