Bereiche der Kritischen Infrastrukturen (Foto: IMAGO, Jochen Tack)

Forschung und Gesellschaft

Kritische Infrastrukturen besser schützen

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AUTOR/IN
Annemarie Neumann
Lena Schmidt

Alltägliche Dinge wie Wasser, Strom oder die medizinische Versorgung erscheinen selbstverständlich. Doch was passiert, wenn es zu Störungen der Kritischen Infrastrukturen kommt?

Morgens auf dem Weg zur Arbeit der Müllabfuhr begegnen, nachmittags der Gang in den Supermarkt und zu Hause verrät ein Blick in den Terminkalender: Montag steht ein Check-Up bei der Hausärztin an, morgen eine Verabredung im Theater. Das alles klingt normal und alltäglich.

Dass es sich um wichtige Säulen des gesellschaftlichen Zusammenlebens handelt, wird oft dann ins Bewusstsein gerufen, wenn von den sogenannten „Kritischen Infrastrukturen“ die Rede ist. Und das passiert meistens dann, wenn die Kritischen Infrastrukturen angegriffen oder gestört werden.

die verschiedenen Bereiche der Kritischen Infrastrukturen sind untereinander vernetzt (Foto: IMAGO, Jochen Tack)
Viele alltägliche Sektoren zählen zu den Kritischen Infrastrukturen. Diese sind heutzutage eng miteinander vernetzt.

Aktuelle Störungen und Angriffe auf unterschiedliche Sektoren

Beispiele für Störungen der Kritischen Infrastrukturen zeigten sich in jüngerer Vergangenheit zu Genüge: Gaslecks in den Nord-Stream-Pipelines verschärften die Krise im Energiesektor und durchtrennte Datenkabel legten den Fernverkehr in Norddeutschland lahm. Zuletzt belastete auch die Corona-Pandemie immer wieder das Gesundheitswesen.

ausströmendes Gas in der Ostsee (Foto: IMAGO, TT)
Tagelang tratt Gas gegen Ende September 2022 aus den Nord-Stream-Pipelines aus, nachdem diese durch eine Explosion beschädigt wurden.

Bereits eine einzelne Störung kann eine Art Domino-Effekt herbeiführen. Fällt zum Beispiel der Strom großflächig und für längere Zeit aus, könnten die Trinkwasser- und Lebensmittelversorgung zusammenbrechen oder Verkehrsleitsysteme und Telefonnetze ausfallen. Zudem wäre die Kranken- und Notfallversorgung gefährdet. Fallen Tankstellen aus, wären auch Rettungsfahrzeuge direkt betroffen. Fast alle Branchen sind heutzutage auf eine funktionierende Energie- und Stromversorgung angewiesen.

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All-Gefahren-Ansatz: Auf alles vorbereitet sein

Durch die gegenseitigen Abhängigkeiten der Bereiche müssen viele verschiedene „Worst Case“-Szenarien in Betracht gezogen werden. Denn die Gefährdungen können technisch bedingt sein, aber auch durch menschliches Versagen, durch Naturkatastrophen oder gar durch vorsätzliche Handlungen herbeigeführt werden. Letzteres reicht vom Kappen der Bahnkabel oder Pipeline-Sprengungen bis hin zur Cyber-Sabotage.

Zu jeder Form der Gefährdung werden geeignete Maßnahmen zum Schutz benötigt – sowohl zur Prävention, um Gefährdungen zu verhindern, als auch zur Reaktion, um Störungen abzufedern. Dies erfolgt nach dem All-Gefahren-Ansatz, also der Berücksichtigung aller Gefahrenarten.

Gerade weitläufige Strukturen wie Straßen, Schienen, Rohre, Datenkabel oder Stromleitungen können nicht jederzeit und allumfassend geschützt werden. Deshalb müssen alle Strukturen möglichst resilient, also widerstandsfähig, sein:

„Von Churchill kennt man den Rat, man müsse einmal mehr aufstehen als hinfallen. In diesem Sinne kann man Resilienz begreifen.“

Wie kann die Resilienz gesteigert werden?

Für alle Bereiche sind Strategien oder Sicherheitsstandards festgelegt. Im Bereich der Strom- und Energieversorgung gibt es zum Beispiel ein Notfallmanagement, das sich über Bund, Länder und Kommunen verteilt. Es wurden Notfallpläne erstellt, die in Szenarien geübt werden. Denn es muss überprüft werden, ob die einzelnen Abläufe greifen. Und es werden Notstromaggregate bereitgestellt, auf die dann beispielsweise Krankenhäuser im Ernstfall zurückgreifen können.

Auch aus akuten Krisen können Schlüsse für Vorkehrungen gezogen werden. So ergab sich im Rahmen der Corona-Pandemie das Kleeblattkonzept zur besseren Verteilung von schwer erkrankten Personen auf andere Regionen und Länder, um gefährdete und überlastete Gesundheitssysteme zu entlasten.

Gerade die Gefahr durch Cyber-Angriffe wird im Zuge der Digitalisierung und Automatisierung zukünftig weiter zunehmen. Es gilt, Sicherheitslücken in den IT-Systemen frühzeitig zu entdecken und zu beheben. Dafür müssen Mindestanforderungen an die Cybersicherheit erfüllt werden. Diese richten sich nach dem jeweiligen Stand der Technik und sind in der Cybersicherheitsstrategie für Deutschland festgeschrieben.

Computer gehackt, Cyber-Angriff (Foto: IMAGO, Panthermedia)
Bei einem Cyberangriff werden meist Daten geklaut und verschlüsselt. In manchen Fällen wird Lösegeld für die Entschlüsselung erpresst.

Krisenbewältigung durch Künstliche Intelligenz

In Zukunft könnte gerade in digitalisierten Bereichen der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) für mehr Resilienz sorgen. Eine Forschungsgruppe an der Universität Oldenburg unter der Leitung von Dr. Eric Veith arbeitet derzeit an einem interdisziplinären Ansatz, der den besonderen Anforderungen des Betriebs Kritischer Infrastrukturen mit KI gerecht werden soll.

Man müsse sich laut Veith von der Vorstellung lösen, dass sich jedes komplexe System im Voraus für alle Eventualitäten rüsten kann. Stattdessen bräuchten wir Systeme, so Veith, die von sich aus Strategien entwickeln, um in unvorhergesehenen Situationen wieder zum optimalen Zustand zurückzukehren.

Eine KI könnte helfen, eine Reizüberflutung in der Notsituation zu vermeiden. Innerhalb von Sekundenbruchteilen muss eine Reaktion auf den Systemalarm erfolgen – und teils „leuchten die Anzeigen wie ein Weihnachtsbaum“, erklärt der Forscher. Das kann Menschen schnell überfordern.

Es sei jedoch wichtig, dass Menschen weiterhin die strategischen und gegebenenfalls auch moralischen Entscheidungen treffen: Welche Anlagen sind systemrelevant, welche sind essenziell für unsere Gesellschaft? Welche Abschnitte im Stromnetz bleiben eine Zeit lang dunkel?

Wie kann sich jeder selbst auf den Ernstfall vorbereiten?

Einige Vorsorgemaßnahmen betreffen nicht die Institutionen der Kritischen Infrastrukturen, sondern die Bürgerinnen und Bürger selbst. So hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe einen Ratgeber für die Notfallvorsorge und das richtige Handeln in Notsituationen für die Bevölkerung erstellt. Darin wird auf Lebensmittel und andere nützliche Gegenstände hingewiesen, womit man sich 10 Tage selbstversorgen könnte.

Vorrat für 10 Tage - Empfehlung des BBK (Foto: IMAGO, Jochen Tack)
Der Bund hat Checklisten und Ratgeber für den Notfall erstellt, sodass sich auch die Bevölkerung für den Ernstfall wappnen kann.

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