Körperdysmorphe Störung (Foto: IMAGO, imago)

Körperdysmorphe Störung

Wenn das eigene Spiegelbild zur Qual wird

Stand
INTERVIEW
Christine Langer im Gespräch mit der Psychologin Michaela Schmidt von der Uni Osnabrück
ONLINEFASSUNG
Ralf Kölbel

Eine Kleinigkeit am eigenen Körper sorgt dafür, dass man sich hässlich oder sogar entstellt fühlt. Ursache kann die Körperdysmorphe Störung sein. Ein Team aus Psychologinnen und Psychotherapeuten der Uni Osnabrück erforscht die Krankheit und klärt darüber auf.

Die Nase etwas krumm, die Zähne zu groß oder die Beine zu kurz. Irgendwas hat fast jeder am eigenen Körper auszusetzen. Das ist eigentlich ganz normal. Die meisten von uns kommen damit gut zurecht. Man akzeptiert sich, wie man ist.

Aber manche werden von so einem vermeintlichen Makel psychisch krank, weil sie eine total verzerrte Vorstellung ihres Körpers haben und sich oder Teile ihres Körpers als hässlich oder entstellt empfinden. Über diese sogenannte "Körperdysmorphe Störung" ist bisher noch ziemlich wenig bekannt. Dabei ist sie gar nicht so selten.

Körperdysmorphe Störungen werden oft nicht als solche erkannt. (Foto: IMAGO, imago images/Westend61)
Körperdysmorphe Störungen werden oft nicht als solche erkannt.

Körperdysmorphe Störungen sind etwas anderes als Essstörungen

Das Projekt "ImaginYouth" an der Uni Osnabrück verfolgt das Ziel, über die Körperdysmorphe Störung aufzuklären und hat auch eine Online-Therapie für Betroffene entwickelt. Michaela Schmidt koordiniert das Projekt und erklärt noch einmal, was man genau unter einer körperdysmorphen Störung versteht:

Das ist tatsächlich so, dass die Betroffenen sich Sorgen um ganz bestimmte Körperteile oder Bereiche machen. Also am häufigsten ist das Haut, Nase, Haare. Also so Dinge im Gesicht. Es ist aber nicht so, dass sie sich Sorgen um ihr Gewicht machen. Da wäre man dann nämlich eher im Bereich Essstörung. Also das wird häufig verwechselt.

Es können, so Schmidt, alle Bereiche des Körpers betroffen sein, also auch Genitalien, Muskeln, Füße. Diesbezüglich gebe es keine Einschränkung, was als KDS gilt und was nicht. Am häufigsten betreffe es jedoch das Gesicht.

Menschen mit einer Körperdysmorphen Störung leiden stark an einem vermeintlichen Makel, häufig betrifft es das Gesicht. (Foto: IMAGO, imago images/Shotshop)
Menschen mit einer Körperdysmorphen Störung leiden stark an einem vermeintlichen Makel, häufig betrifft es das Gesicht.

Welche Symptome haben die Betroffenen?

Man muss sich das so vorstellen, dass die Betroffenen sich und auch ihre Umwelt eigentlich mit einer Brille angucken. Und diese Brille heißt: Ich bin hässlich, ich bin abartig.

Betroffene, so Schmidt, denken, wenn sie morgens aufstehen, als Erstes an ihr Aussehen. Sie betrachten sich ganz häufig im Spiegel. Wenn sie auf andere Menschen treffen, haben sie immer im Hinterkopf: Mensch, hat er jetzt mich gerade so angeguckt, weil er denkt, meine Nase ist irgendwie hässlich?

Menschen mit KDS seien, so Schmidt, dadurch total beeinträchtigt. Eigentlich drehe sich alles um ihr Aussehen. Teilweise gehen die Betroffenen nicht mehr zur Schule oder zur Arbeit, treffen sich nicht mehr mit Freunden, gehen ihren Hobbys nicht mehr nach. Das erzeuge bei den Betroffenen natürlich ein ganz extremes Leid. Die Beschäftigung mit dem Aussehen nehme einen ganz großen Teil des Alltags bei ihnen ein. Das zeige sich z.B. auch darin, dass sie viel länger brauchen, um sich morgens fertig zu machen, als vielleicht jemand ohne KDS.

Menschen mit einer Körperdysmorphen Störung beschäftigen sich viel mit ihrem eigenem Aussehen. (Foto: IMAGO, imago/Westend61)
Menschen mit einer Körperdysmorphen Störung beschäftigen sich viel mit ihrem eigenem Aussehen.

Daran erkennt man, wer betroffen ist

Wenn die Person sich zurückzieht und Verabredungen absagt, nicht mehr zu irgendwelchen Veranstaltungen oder Partys mitkommen möchte, dann sollte man vielleicht ein bisschen hellhörig werden.

Das muss dann aber keine KDS ein. Denn solche Verhaltensweisen kenne man auch zum Beispiel im Rahmen einer Depression oder einer sozialen Angststörung. Das Spezifische, woran man eine Körperdysmorphe Störung eigentlich immer ganz gut erkennt ist, wenn die Betroffenen beispielsweise bei der Familie oder bei Freunden ganz häufig nachfragen: Wie sehe ich denn gerade aus? Findest Du meine Nase auch komisch? Da sollte man vielleicht ein bisschen hellhörig werden und fragen: Was ist dann eigentlich mit der Nase? Warum fragst du das dauernd? Machst du dir da solche Gedanken drüber?

Menschen mit einer Körperdysmorphen Störung fordern von ihrer Umwelt auch häufig Bestätigung für ihre eigene vermeintliche Hässlichkeit ein. Das kann ein Alarmsignal sein. (Foto: IMAGO, imago/Ikon Images)
Menschen mit einer Körperdysmorphen Störung fordern von ihrer Umwelt auch häufig Bestätigung für ihre eigene vermeintliche Hässlichkeit ein. Das kann ein Alarmsignal sein.

Körperdysmorphe Störungen sind häufiger als Esstörungen

Körperdysmorphe Störungen treten, so heißt es in einer Pressemitteilung der Uni Osnabrück, bei zwei bis drei Prozent der Erwachsenen in Deutschland auf und sogar bei vier Prozent der Jugendlichen. Körperdysmorphe Störungen treten damit deutlich häufiger auf als Essstörungen.

Allerdings sei die Körperdysmorphe Störung, so die Psychologin Michaela Schmidt, weitaus weniger bekannt als die Essstörung. Deswegen würden die Patienten oder die Betroffenen auch viel seltener in Therapie gehen und dadurch auch viel seltener auffallen.

Viele Betroffene leiden mehr oder weniger im Stillen, vertrauen sich häufig auch gar nicht ihren Angehörigen an, weil sie Angst haben, sie werden nicht ernst genommen, oder sie werden für oberflächlich und eitel abgestempelt.

Essstörungen seien, so Schmidt, mittlerweile einfach viel besser erforscht und auch viel bekannter in der Öffentlichkeit. Das führe dazu, dass sich Personen mit Esstörungen häufiger trauen, ihre Sorgen anzusprechen. Aber de facto sei KDS tatsächlich eine relativ häufige Erkrankung.

Psychiater oder Psychotherapeuten müssen für das Erkennen von KDS sensibilisiert werden

Die Psychologin Michaela Schmidt geht davon aus, dass auch Spezialisten wie Psychiater oder Psychotherapeuten KDS manchmal übersehen, weil sich die Symptome mit vielen anderen Erkrankungen überschneiden würden.

So gehe es auch bei einer Essstörung ums Aussehen. Bei einer sozialen Angststörung gehe es auch darum, dass man irgendwie Angst hat, bewertet zu werden. Bei einer Depression zieht man sich sehr zurück.

Also das ist tatsächlich leider immer noch so, dass das manchmal auch verwechselt wird und dass das manche Therapeuten, die vielleicht auch ein bisschen älter sind, übersehen könnten.

Körperdysmorphe Störungen werden von Therapeut*innen nicht immer gleich erkannt. (Foto: IMAGO, imago images/Panthermedia)
Körperdysmorphe Störungen werden von Therapeut*innen nicht immer gleich erkannt.

So kann man Menschen mit Körperdysmorpher Störung helfen

Die Körperdysmorphe Störung wird erst seit wenigen Jahren wirklich als Störung anerkannt und ist seither auch in den Diagnostik-Manualen, die Therapeuten nutzen, eingetragen. Bei der Therapie gibt es verschiedene Faktoren, die eine Rolle spielen.

Das grundsätzliche Problem ist eigentlich, so Schmidt, das die Betroffenen ihren Selbstwert ganz extrem von ihrem Aussehen abhängig machen. Und wenn sie dann das Gefühl haben, ich sehe nicht gut aus, dann leidet natürlich auch deren Selbstwert extrem.

Ein Therapiebaustein sei es, dass die Betroffenen eben merken: Okay, mein Aussehen ist eigentlich gar nicht so wichtig, wie ich das Aussehen immer nehme. Sondern es gibt auch viele andere Dinge, die mich ausmachen und die andere auch gerne an mir mögen. Also ich muss nicht perfekt aussehen, um geliebt zu werden, um erfolgreich zu sein usw..

In der Therapie schaut man sich das entsprechend an: Was haben die Personen für Gedankengänge über ihr Aussehen? Wie verhalten sie sich, welche Mechanismen haben sie entwickelt, um ihr Aussehen zu verstecken oder sich irgendwie anzupassen? Worauf schauen sie, wenn sie sich im Spiegel angucken, sind das immer nur die Dinge, die sie nicht mögen? Oder können sie auch mal andere Dinge angucken, die sie vielleicht gar nicht so schlecht finden?

„ImaginYouth“ ist eine Online-Therapie für KDS-Betroffene

Die Hauptbestandteile der Therapie sind: die Gedanken, das Thema Selbstwert und das Verhalten beziehungsweise auch: die Aufmerksamkeit.

An der Uni Osnabrück wurde jetzt für Betroffene eine Online-Therapie namens „Imagin youth“ entwickelt. Dieses Programm ist keine App, wird also nicht am Handy durchgeführt, sondern am Laptop oder am PC.

Die Patient*innen bekommen Zugang zu einer Online-Therapie-Plattform. Betroffene bekommen jede Woche eine Therapie-Session freigeschaltet, die sie dann selbständig bearbeiten. Auch hier geht es vor allem um die Themen: Gedanken, Selbstwert und Verhalten.

Die Therapie sei, so Schmidt, eigentlich sehr ähnlich zu einer regulären ambulanten Psychotherapie, die man vor Ort machen würde, nur dass man das eben weitaus selbständiger macht. Man bearbeitet Übungen, schreibt und liest Tagebuch, wo man zum Beispiel die eigenen Gedankengänge hinterfragt und beobachtet, wie man sich verhält.

Therapeut*innen können die Antworten der Teilnehmenden einsehen und ihnen dann Feedback, Tipps und Hinweise geben und damit noch mal ganz konkret bei der Therapie unterstützen.

Weitere Informationen zur Körperdysmorphen Störung und Hinweise zur Online-Therapie "ImaginYouth" finden sich auf den Internetseiten der Uni Osnabrück.

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