Es ist eine gruselige Vorstellung: Ein KI-Modell schaut auf einen Körperscan und berechnet dann das Sterberisiko. Das System sagt also voraus, wie lange die Person vermutlich noch leben wird. Das klingt nach Science-Fiction, ist aber zumindest teilweise schon heute möglich. Dank KI können Körper immer präziser analysiert werden.
So könnte KI in Zukunft das biologische Alter einer Person abschätzen und eine individuelle Wahrscheinlichkeit angeben, wie alt Personen mit Blick auf den aktuellen Gesundheitszustand wahrscheinlich werden. Diese KI-Altersvorhersage kann auch helfen, das eigene Sterblichkeitsrisiko zu verringern.
Vergleich mit Menschen aus der gleichen Altersklasse
Zwei Pioniere bei der KI-Analyse sind Matthias Jung und Jakob Weiß von der Universitätsklinik Freiburg. Ihr KI-Modell kann Körperscans von MRT-Aufnahmen selbstständig analysieren und macht so erst große statistische Analysen möglich. Sie finden in den MRT-Bildern Hinweise auf ein kürzeres oder längeres Leben. Dafür haben sie zehntausende MRT-Bilder ausgewertet.
Matthias Jung, Radiologie an der Uniklinik Freiburg, präzisiert: “Das waren dann über 66.000 Leute. Dann haben wir geschaut, wie altert überhaupt der Mensch und wie sieht diese Alterung aus? (...) Beispielsweise ein 35-jähriger Mann im Vergleich zu anderen 35-jährigen Männern und dann zu sagen: Sie haben zu wenig Muskulatur und sehen damit älter aus als der normale 35-Jährige.”

KI analysiert Fett und Muskeln
Die MRT-Scans liefern zusammen mit der KI also eine aktuelle Bestandsaufnahme vom Körper. Die Radiologen schauen mit der KI dabei auf das Fett und die Muskeln – auf die Verteilung der Muskeln und deren Qualität. Das Ergebnis: Weniger und schwächere Muskeln erhöhen das Sterberisiko – ganz egal ob die Person raucht, Alkohol trinkt oder Vorerkrankungen hat.

Wofür ein ausgebildeter Arzt vier Stunden braucht, schafft die KI innerhalb von eineinhalb Minuten. Dann hat sie das Fett und die Muskeln genau erkannt. Wenn man das in Vollzeit gemacht hätte, hätte das nach Einschätzung des Radiologen Matthias Jung Jahrzehnte gedauert, um die Daten zu bekommen. Die KI hilft den Forschenden also, so viele neue Informationen überhaupt zu erhalten. Nur weil die KI Muskeln und Fett selbstständig genau erkennt, war die große Sterblichkeitsanalyse möglich.
Körperscan verrät biologisches Alter
Auf Grundlage der KI-Daten hat das Forschungsteam in den MRT-Bildern nach Hinweise auf ein höheres Sterblichkeitsrisiko gesucht und gefunden. In einem weiteren Schritt könnten sie dann auch in Zukunft theoretisch für jeden einzelnen Patienten ein Sterblichkeitsrisiko berechnen.
Nicht ganz passend, findet das Forschungsteam. Sie schauen deshalb vor allem auf das biologische Alter, das sich nicht an dem Geburtsdatum orientiert, sondern an dem tatsächlichen Zustand eines Körpers. Jakob Weiß, Radiologie an der Uniklinik Freiburg, nennt ein Beispiel:
“Wenn wir die MRT-Daten analysieren und sehen, sie haben die Muskelmasse von einer durchschnittlichen männlichen Person 55 Jahre alt. Sie sind aber selber erst 45 Jahre alt. Dann könnte man sagen. Sie sind von Ihrer Muskelkonstitution zehn Jahre älter, als Sie es eigentlich sein sollten.“

Diese Information kann wachrütteln und auch motivieren – so die Hoffnung. "Wir wissen ja schon, was wir machen könnten. Es geht eher darum, dem Patienten, das Risiko mitzuteilen”, so Matthias Jung.
Patienten können Sterberisiko selbst verringern
Klar ist: Wenn man tödliche Unfälle ausklammert, hat ein Mensch rein statistisch zu einem hohen Anteil selbst in der Hand, wie lange er lebt. Nur etwa 20 Prozent bestimmten die Gene, etwa 30 Prozent ist von der Umwelt abhängig wie Luftqualität und Klima. Die restlichen 50 Prozent kann jeder selbst steuern. Hier entscheidet also der eigene Lebensstil. Eine Analyse mit 700.000 Gesundheitsdaten von US-Soldaten zeigt, wie viel der Lebensstil ausmachen kann.
Wer mit 40 Jahren gesund lebt, verlängert damit sein Leben rein statistisch um 20 Jahre. Vor allem viel Bewegung, keine Drogen, gesunde Ernährung und erfüllende soziale Beziehungen sind wichtig für ein längeres Leben. Wenig überraschend, aber gerade in Deutschland ist die Lebenserwartung im Vergleich zu anderen Industrienationen verhältnismäßig gering. Mit Blick auf Westeuropa belegt Deutschland den vorletzten Platz. Mit neuen KI-Analysen könnten Risikofaktoren zumindest früher erkannt werden – so zumindest die Hoffnung.

Körperscan-Hype in den USA
Trotzdem sei KI "nicht das Allheilmittel für alles", so Jakob Weiß. Nicht immer gebe die KI die richtige Antwort, warnt er. "Aber es ist schon so, dass sich dadurch ein ganz neues Feld ergeben hat.”
Oft schauen Forschende bisher bei der Frage nach dem Sterberisiko auf einzelne Werte im Körper: Blutanalysen, Analyse von Körperzellen, der Zustand von Stammzellen, oder ein Blick auf die Kraftwerke der Zellen, die Mitochondrien – alles Faktoren, um die Lebenserwartung zumindest abschätzen zu können.
Doch verlässliche Prognosen sind bisher nicht möglich. Ändert sich das nun? Klar ist: Vor allem in den USA ist der Hype groß. Unternehmen bieten hier sogar schon Ganzkörper-MRT-Aufnahmen an, um Risikofaktoren möglichst früh zu erkennen. Doch die Angebote seien umstritten, und sehr teuer. Dazu der Freiburger Radiologe Matthias Jung:
“In den USA gibt es aktuell einen großen Markt für Ganzkörper-Screenings, Tumorscreenings oder eben auch Körper-Konstitutionsanalysen. Unser Plan ist das eher nicht. Unsere Idee ist eher, dass wir vorhandene Bildgebungen, die sowieso generiert werden, benutzen könnten, um solche Analysen zu machen und dazu zusätzliche Informationen zu gewinnen.”
Kommt die KI in den Klinikalltag?
Noch wird das KI-Modell im Klinikalltag nicht eingesetzt. Aber das biologische Alter könnte in Zukunft helfen, wenn es um die Frage geht, ob ein Patient überhaupt eine Therapie bekommen soll: Was ist zum Beispiel, wenn eine 85-Jährige vergleichsweise fit ist – ist das ein Argument, noch mehr Therapien in die Wege zu leiten, weil sie noch mit mehr Lebenszeit rechnen kann? Jakob Weiß verneint das.
Es wird noch Jahren dauern, bis die neue Analyse im Klinikalltag wohl eingesetzt wird. Kommt dann als Ergebnis ein höheres biologisches Alter heraus als erwartet, kann das erstmal Betroffene schockieren. Aber vielleicht ist es ja auch ein Schock, der motiviert, um in Zukunft noch gesünder zu leben.