Kind putzt sich Nase (Foto: IMAGO, Westend61)

Aktuelle Studie aus Norwegen

Kann eine Coronainfektion bei Kindern Diabetes auslösen?

Stand
AUTOR/IN
Annemarie Neumann
Lilly Zerbst

Ergebnisse einer aktuellen Studie aus Norwegen legen den Zusammenhang zwischen einer Coronainfektion und einem erhöhten Risiko einer Diabetes-Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen nahe.

Diabetes als Folge einer Corona-Erkrankung bei Kindern – diese Folgerung klingt erstmal alarmierend. Doch wie steht es um diesen Zusammenhang? Verschiedene Studien haben sich seit der Corona-Pandemie mit den Auswirkungen einer Corona-Erkrankung beschäftigt. Solch eine Studie fand auch in Norwegen statt. 

Kind misst Blutzucker (Foto: IMAGO, Panthermedia)
Die Erkrankung Typ-1-Diabetes tritt meist bereits im Kindes- und Jugendalter auf. Womöglich könnte eine Coronainfektion das Risiko dafür erhöhen.

Studie aus Norwegen: etwas höheres Risiko für Diabetes nach Coronainfektion

In der Studie wurden die Gesundheitsdaten aus nationalen Gesundheitsregistern über zwei Jahre von 1,2 Millionen Kindern und Jugendlichen aus Norwegen untersucht. Dabei wurde unter Berücksichtigung von verschiedenen Faktoren, wie Alter, Geschlecht, Herkunft und sozioökonomische Faktoren analysiert, dass das Risiko an Typ-1-Diabetes zu erkranken nach einer Corona-Infektion circa 60 Prozent höher war als bei den Studienteilnehmern ohne Infektion.

Wie Hanne Løvdal Gulseth, Forschungsdirektorin des Norwegischen Gesundheitsinstituts und Hauptautorin der Studie, darstellt, stieg daher das Risiko an Typ-1-Diabetes zu erkranken von 0,08 Prozent auf 0,13 Prozent und ist damit immer noch gering. 

Die überwiegende Mehrheit der jungen Menschen, die an Corona erkranken, wird keine Diabetes-Typ-1-Erkrankung entwickeln.

Das sind typische Symptome von Typ-1-Diabetes

Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunkrankheit, die dazu führt, dass die Bauchspeicheldrüse kaum oder gar kein Insulin mehr produziert.

Die Symptome können sein:

  • übermäßiger Durst,
  • häufiges Wasserlassen,
  • Übelkeit,
  • unerwarteter Gewichtsverlust oder
  • Müdigkeit.

Es ist nach Gulseth wichtig, die Anzeichen und Symptome zu kennen und daraufhin zu reagieren.

Viruserkrankungen können Autoimmunprozesse auslösen

Dass eine Virusinfektion den angeborenen Typ-1-Diabetes triggern kann, sei laut dem Präsidenten der Deutschen Diabetes Gesellschaft Prof. Andreas Neu denkbar. Es ist bekannt, so Neu, dass Menschen mit einer Veranlagung für die Stoffwechselerkrankung den Prozess schneller durchlaufen, wenn sie zusätzlich eine Virusinfektion durchmachen. Das heißt jedoch nicht, dass die Virusinfektion für die Entstehung des Typ-1-Diabetes verantwortlich ist.

Portraitfoto des Präsidenten der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) Prof. Dr. Andreas Neu. (Foto: Universitätsklinikum Tübingen (UKT))
Professor Andreas Neu ist Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Er meint, Studien zu den Auswirkungen des Coronavirus mit geringem Zeitraum sind mit Vorsicht zu betrachten.

Mögliche Zusammenhänge

Die Ergebnisse der norwegischen Studie lassen eben dies vermuten, was schon länger im Raum steht, dass eine übermäßige Immunreaktion durch eine Viruserkrankung zu einer Diabetes-Erkrankung beiträgt.

Zudem zeigten auch weitere Studien, dass die Coronaviren die Betazellen in der Bauchspeicheldrüse angreifen können, was auch zur Entwicklung und Entstehung beitragen könnte, so Gulseth. Sie schließt aber auch nicht aus, dass Entzündungen durch die Viren verursacht, bestehende Autoimmunität verschlimmern. „Der genaue Grund für das erhöhte Risiko für Typ-1-Diabetes bei jungen Menschen nach einer COVID-19-Infektion ist noch nicht vollständig geklärt und erfordert eine längerfristige Nachbeobachtung und weitere Untersuchungen, um festzustellen, ob das Risiko bei Kindern, die mit verschiedenen Varianten infiziert sind, unterschiedlich sein könnte".

Kind liegt krank im Bett. (Foto: IMAGO, Addictive Stock)
Dass eine Corona-Infektion die Entwicklung von Diabetes bei Kindern beschleunigt ist nicht ausgeschlossen. Die genauen Hintergründe dazu sind aber noch nicht abschließend geklärt.

US-Studie liefert keine eindeutigen Ergebnisse

Bei der aktuellen Interpretation von Gesundheitsdaten im Zusammenhang mit Covid-19 ist dennoch Vorsicht geboten. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft kritisiert zum Beispiel eine US-Studie aus diesem Jahr. Dort wurden verschiedene Datenquellen genutzt, die unterschiedliche Ergebnisse erzielten. Zudem fanden dort vorzeitige Schlüsse aus der Analyse statt, ohne dass zwischen den Diabetes Typen 1 und 2 unterschieden wurde.

In den vereinigten Staaten tritt zudem der Typ-2-Diabetes deutlich häufiger im Jugendalter auf als in Europa. Deshalb dürfe man die Studienergebnisse aus den USA nicht direkt auf europäische Verhältnisse übertragen, warnt Neu.

Ein Mädchen lässt sich im Ärztezimmer den Blutzuckerspiegel messen. (Foto: IMAGO, MASKOT)
In den USA sind mehr Kinder und Jugendliche von Typ 2 Diabetes betroffen. Grund dafür ist ein im Vergleich zu Europa anderer genetischer Hintergrund, sowie abweichende Bewegungs- und Ernährundsmuster.

Die Entstehung der beiden Typen unterscheidet sich und dass Diabetes alleinig als Folge einer Corona-Infektion entsteht, sieht Prof. Neu im Gespräch mit SWR2 Impuls kritisch.

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Deutsche Studie: Anstieg der Fallzahlen während der Pandemie

Auch in Deutschland wurde der Zusammenhang von Covid und Diabetes anhand der Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation im Zeitraum von Januar 2020 bis Juni 2021 untersucht. Das Register zeigt ebenso eine überproportionale Zunahme des Typ-1-Diabetes – sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern. Die ohnehin zunehmende Neuerkrankungsrate ist somit auch in Deutschland etwas steiler angestiegen, als es in den vorangegangenen Jahren der Fall war.

Das sei eine ernstzunehmende Beobachtung, so Neu. Allerdings seien Schwankungen im Trend der seit 30 Jahren zunehmenden Typ-1-Diabetes-Fallzahlen nicht ungewöhnlich. So müssen auch nach deutscher Sicht Langzeitbeobachtungen zeigen, ob tatsächlich ein kausaler Zusammenhang mit der Corona-Pandemie besteht. Solche Beobachtungen erstrecken sich über 15 Jahre oder länger, sagt Neu.

Das unterstreichen auch die norwegischen Ergebnisse. Der Anstieg der Fallzahlen könnte auch durch die veränderte Wahrnehmung von medizinischen Leistungen und Versorgungen durch die Pandemie mitverantwortet sein. Denn als Beobachtungsstudie, liefert diese keine direkten Beweise für die vermutete Ursache.

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Annemarie Neumann
Lilly Zerbst