Drei Jahre Krieg in der Ukraine

Internationale Zusammenarbeit: Wer forscht noch mit Russland?

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Autor/in
Franziska Ehrenfeld
SWR Reporterin Franziska Ehrenfeld.
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Emily Burkhart
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Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine liegen viele internationale Forschungsprojekte mit Russland auf Eis. Wer arbeitet noch mit Russland zusammen, wer nicht und warum?

Vor drei Jahren, am 24. Februar 2022, hat Russland mit seinem Großangriff auf die Ukraine begonnen. Seitdem ruhen viele Forschungskooperationen mit dem Land oder sie wurden aufgekündigt – von beiden Seiten.

So riss etwa der Datenstrom für das ICARUS-Projekt ab, mit dem erforscht wird, wie sich Tiere global bewegen. Eine Antenne auf dem russischen Teil der Internationalen Raumstation (ISS) lieferte die Bewegungsdaten. Doch kurz nach der russischen Invasion beendete die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos die Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Verhaltensforschung.

Viele europäische Partner beenden Kooperationen

Aus Protest gegen das Vorgehen Moskaus legen auch viele westliche Partner Projekte still – wenige Tage nach dem Großangriff beendet etwa die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) jegliche Förderung russisch-deutscher Zusammenarbeit und schließt ihr Büro in Moskau. Damit stellt sich die DFG ausdrücklich hinter die deutsche Regierung.

Auch die Humboldt-Universität Berlin (HU) reagiert schnell und setzt die Kooperationen mit russischen Partnerinstitutionen aus. Stefan Karsch, der Regionalreferent für Osteuropa an der HU, hält die Entscheidung nach wie vor für richtig.

Ausschlaggebend für die Entscheidung sei auch ein Schreiben russischer Universitäten gewesen. Darin hatten hunderte Rektorinnen und Rektoren erklärt, den Angriffskrieg zu befürworten. Im Brief ist die Rede von „Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine“. Es sei wichtig, das Land, die Armee und den Präsidenten zu unterstützen. Außerdem werde es als Hauptpflicht aufgefasst, in der Jugend Patriotismus zu kultivieren.

Der Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) im Europäischen Kernforschungszentrum Cern bei Genf. Auch das CERN hat seine Zusammenarbeit mit Russland beendet.
Der Large Hadron Collider (LHC) des CERN - der weltgrößte Teilchenbeschleuniger in Genf. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurde die wissenschaftliche Kooperation mit Russland und Belarus 2024 weitgehend eingestellt.

CERN zieht Konsequenzen

Auch das CERN, die Europäische Organisation für Kernforschung in Genf, hat seine Zusammenarbeit mit Russland – und auch mit Belarus – inzwischen weitgehend beendet. 2024 ließ der CERN-Rat die Kooperationsvereinbarungen auslaufen.

Nur mit dem Vereinigten Institut für Kernforschung (JINR) in Dubna nahe Moskau bleibt die Zusammenarbeit bestehen, weil das Institut als internationale Einrichtung gesehen wird. Dessen Beobachterstatus am CERN wurde aber, genauso wie für Russland, schon 2022 ausgesetzt.

Der Pressesprecher Arnaud Marsollier betont, dass die Organisation als Friedensprojekt nach dem zweiten Weltkrieg gegründet wurde, um Nationen zusammenzubringen. Deshalb könne man aber nicht alles akzeptieren:

“Selbst wenn das CERN eine Art Zauberlabor ist, in dem so viele Länder ihren Beitrag leisten und multinationale Organisationen auf friedliche Weise zusammenarbeiten – selbst dann können wir es meiner Meinung nach nicht völlig ignorieren, wenn die Welt verrücktspielt, und in dieser Hinsicht war der Krieg in Europa ein großer Schock.“

Immerhin steht die Ukraine dem CERN als sogenanntes „assoziiertes Mitglied“ auch näher als Russland. Der CERN-Rat steht wiederum den Regierungen seiner europäischen Mitgliedsstaaten nahe, die mit Sanktionen hart gegen Russland vorgehen. Und die Sanktionen hätten die Zusammenarbeit mit Russland laut Marsollier ohnehin sehr erschwert.

Menschen mit Gelben Warnwesten auf denen "ITER" steht beim Besuch der ITER Abteilung in Marseille. Hier bleibt die internationale Forschung mit Russland bestehen.
Am internationalen Fusionsforschungsprojekt ITER in Südfrankreich wird die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Russland trotz geopolitischer Spannungen fortgesetzt.

Keine Folgen für Russland am Kernfusionsreaktor ITER

Ganz anders sieht es am internationalen Forschungsprojekt ITER in Südfrankreich aus. Dort wird zu Versuchszwecken seit 2007 an einem Kernfusionsreaktor gearbeitet. ITER ist von den Sanktionen gegen Russland ausgenommen.

Russland ist hier nach wie vor einer von sieben Partnern, also auf Augenhöhe mit der EU. Ein Mitglied hinauszuwerfen, sehe das ITER-Abkommen gar nicht vor, sagt Sprecher Laban Coblentz:

“Wir verpflichten uns, gemeinsam etwas zu errichten und buchstäblich Millionen von Teilen aus der ganzen Welt zu verschicken, damit wir EINE Maschine bauen. Das ist eine Verpflichtung, die man nicht unter leichtsinnigen Menschen eingeht. Bei den vielen Ländern besteht natürlich die Möglichkeit von Konflikten, Handelskriegen und sogar bewaffneten Konflikten, bei denen es dann gegensätzliche Ansichten gibt.“

Ohne die Zusammenarbeit mit Russland wäre ITER wohl auch aufgeschmissen. Denn jeder Partner steuert bestimmte Teile bei: Russland zum Beispiel einen riesigen ringförmigen Magneten, der rund ein Jahr nach Beginn der Invasion angeliefert wurde. 

Blick in die Reaktorzone des ITER (Internationaler Thermonuklearer Experimentalreaktor) in Frankreich, wo russische Ingenieure Gyrotron-Einheiten installieren. Die internationale Forschung mit Russland findet hier weiterhin statt.
In der Reaktorzone des ITER in Südfrankreich arbeiten russische Ingenieure an der Installation von Gyrotron-Einheiten - ein konkretes Beispiel für die fortgesetzte internationale Zusammenarbeit in der Fusionsforschung.

Ukraine ist kein ITER-Partnerland

Hinzu kommt: Die Ukraine ist nicht am ITER beteiligt. Ukrainerinnen und Ukrainer würden deshalb nur bei ganz besonderer Expertise angeheuert.

Man könnte also sagen, ITER ignoriert den russischen Angriff. Dafür will sich Coblentz aber nicht mehr rechtfertigen. Mittlerweile sei er stolz auf das Vorgehen:

„Dieses Projekt wurde im Kalten Krieg geboren, als eine Möglichkeit zusammenzuarbeiten und ideologische Differenzen zu akzeptieren. ITER ist ein Projekt der Hoffnung. Wir sind auch ein Projekt des Friedens – eine bewusste Entscheidung für den Frieden.“

Die Mitarbeitenden geben laut Coblentz – im übertragenen Sinne – ihre Pässe an der Pforte ab. Das ITER-Gelände sei ein internationales, das sich nur zufällig auf französischem Boden befindet. „Wir sind – wie wir sagen – ITERnational.“

Die zweiköpfige Crew der NASA SpaceX Mission Crew-9, bestehend aus einem amerikanischen Astronauten und einem Kosmonauten aus Russland, demonstriert die internationale Zusammenarbeit in der Raumfahrtforschung bei ihrer Ankunft am Kennedy Space Center.
Der NASA-Astronaut Nick Hague und der russische Kosmonaut Alexander Gorbunov präsentieren sich am Kennedy Space Center als neue Crew-9-Besatzung für die nächste SpaceX-Mission - ein Beispiel für die anhaltende Raumfahrtkooperation zwischen den USA und Russland.

Überkreuzflüge zur ISS gehen weiter

Die zweite große Ausnahme, bei der westliche und russische Forschende weiter zusammenarbeiten, ist die Internationale Raumstation. Russland arbeitet zwar schon an einer eigenen, bis 2028 will Roskosmos aber an der ISS beteiligt bleiben.

Die US-Behörde NASA führt ihre gemeinsamen Flüge von Astronauten und Kosmonautinnen dorthin fort. Durch die sogenannten Überkreuzflüge werde sichergestellt, dass sich auf der Station immer mindestens eine Person aus den USA und aus Russland befindet und alle Bereiche gewartet werden können.

Kooperationen mit Roskosmos abseits der ISS hat die Europäische Weltraumorganisation beendet – etwa die Marsmission ExoMars und die Zusammenarbeit an den russischen Luna-Missionen.

Mehrere Flaggen mit dem Logo des DAAD wehen vor dessen Hauptsitz in Bonn-Bad Godesberg - ein Symbol für internationale Zusammenarbeit in Forschung und akademischem Austausch.
Der DAAD fördert weiterhin russische Studierende in Deutschland - als bewusst erhaltene "letzte zivilgesellschaftliche Brücke" in Zeiten geopolitischer Spannungen.

Auch DAAD lässt eine Brücke offen

Auch beim Deutschen Akademischen Austauschdienst verbleibt nur eine Brücke. Nach Angaben des Generalsekretärs Kai Sicks werde keine Aktivität von deutschen Studierenden oder Forschenden in Russland mehr gefördert. Der DAAD vergebe aber noch Stipendien an Studierende, die aus Russland nach Deutschland kommen.

Es sei wichtig, diesen Kanal als „letzte zivilgesellschaftliche Brücke“ in diesem Bereich aufrecht zu erhalten:

„Wir haben das auch vor dem Hintergrund der Geschichte gemacht, in der wir ja gesehen haben, dass im Dritten Reich viele deutsche Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Möglichkeit bekommen haben, ins Ausland zu flüchten (...) und unterstützt zu werden. Ohne diese Möglichkeit wäre das für viele extremst bitter gewesen.“

Eine russische Flagge weht hinter Stacheldraht vor bewölktem Himmel - ein Symbol für die internationale Isolation Russlands und die eingeschränkte Zusammenarbeit in Forschung und anderen Bereichen.
Die russische Wissenschaft steht zunehmend isoliert da - Sanktionen erschweren den Zugang zu Forschungsgeräten und die internationale Zusammenarbeit bei Konferenzen und Projekten.

Lage für Forschung in Russland schwierig

Für Forschende in Russland ist die Lage nicht nur politisch schwierig. In der Wissenschaft werden weniger Daten ausgetauscht, Sanktionen verhindern den Zugang zu neuen Geräten und die Teilnahme an internationalen Konferenzen und Projekten ist erschwert. Damit steht die russische Forschung zunehmend isoliert da.

Ukrainekrieg So hilft das KIT der Ukraine, sich auf den nuklearen Ernstfall vorzubereiten

Als das Kernkraftwerk Saporischschja in der Ukraine Teil des Kriegsgeschehens wurde, war die Angst vor einer nuklearen Katastrophe groß. Unterstützung bei der Vorbereitung für den nuklearen Ernstfall erhält die Ukraine vom Karlsruher Institut für Technologie.