Eine Coronavirus-Figur steht auf einem Schachbrett zwischen einem weißen und einem schwarzen Bauern. Im Hintergrund zeigt ein Pfeil aufwärts. (Foto: IMAGO, IMAGO / Bihlmayerfotografie)

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Corona und Grippe - steht uns eine Doppel-Welle bevor?

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Prof. Carsten Watzl im Gespräch mit SWR2-Impuls-Moderator Jochen Steiner
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Die Corona-Fallzahlen steigen laut Robert Koch-Institut weiter kräftig in Deutschland. Mit fallenden Temperaturen könnte eine Grippewelle hinzukommen. Was hätte das zu bedeuten?

SWR2-Impuls-Moderator Jochen Steiner hat mit Professor Carsten Watzl gesprochen. Er ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.

Manche Fachleute schauen mit Sorge auf einige Sublinien der Omikron-Variante des Coronavirus. Solche Erreger könnten eine Herbstwelle größer werden lassen. Die vorliegenden Daten zu den in Deutschland entdeckten Virusvarianten zeigen das aber noch nicht, so der Wochenbericht des Robert Koch-Instituts. Mit aktuell knapp 97 Prozent dominiert in Deutschland nach wie vor die Omikron-Sublinie BA.5.

Kälte macht den Körper anfälliger für Corona-Viren

Jochen Steiner, SWR2: Warum steigen die Corona-Fallzahlen wieder?

Professor Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie: Das hängt damit zusammen, dass sich in den kälteren Jahreszeiten das Virus einfacher verbreiten kann. Beispielsweise können sich Aerosole länger in der Luft halten, wenn die Luft eher trocken ist. Unsere Schleimhäute sind ein bisschen mehr ausgetrocknet und auch ein bisschen kühler. Das alles zusammen führt dann dazu, dass man sich schneller mit dem Virus ansteckt, und dass sich das Virus leichter verbreiten kann.

Ein Schild mit einem Pfeil trägt die Aufschrift "Herbstwelle". (Foto: IMAGO, IMAGO / Bihlmayerfotografie)
Sinkende Temperaturen im Herbst und Winter lassen Corona- und Grippe-Fallzahlen steigen.

Corona-Fälle belasten Krankenhäuser

Jochen Steiner: Die steigenden Fallzahlen merkt man auch in den Krankenhäusern. Mancherorts scheinen sie schon wieder an ihre Grenzen zu kommen. Welche Informationen haben Sie?

Carsten Watzl: Bei den Krankenhäusern muss man wirklich unterscheiden, ob die Leute aufgrund einer Corona-Infektion da sind oder einfach mit einer Corona-Infektion. Beides ist ein Problem für die Krankenhäuser. Auch eine Person mit Hüftoperation, die dann Corona-positiv ist, ist ein Problem für das Krankenhaus, weil so eine Person isoliert werden muss. Zum Glück ist es so, dass bei Omikron die Leute eher selten schwer an dem Virus selber erkranken.

Grundimmunität und weniger schwere Erkrankungen entschärfen derzeit die Situation

Jochen Steiner: Das heißt, die Omikron Sublinien, die jetzt hier und da auch wieder auftauchen, können uns nicht so gefährlich werden?

Carsten Watzl: Das haben wir, glaube ich, auch schon im letzten Winter gesehen. Da hatten wir die Omikron-Wellen zunächst mit der Sublinie BA.1, dann BA.2 und über den Sommer hat uns BA.5 beschäftigt. Das hat jedes Mal zu vergleichsweise hohen Inzidenzen geführt. Aber zum Glück sind nicht so viele Leute so schwer erkrankt, dass sie auf der Intensivstation behandelt werden mussten oder gar daran gestorben sind. Das ist meiner Meinung nach zum einen dadurch bedingt, dass Omikron etwas harmloser ist, zum anderen aber auch dadurch, dass wir mittlerweile eine sehr gute Grundimmunität in der Bevölkerung haben. Die allermeisten Leute sind entweder geimpft oder genesen, und das schützt vor der schweren Erkrankung.

Hoffnung auf nicht zu starke Grippewelle

Jochen Steiner: Die Grippesaison ist in den letzten beiden Wintern im Büro praktisch ausgeblieben – auch wegen Maske tragen, Abstand halten und Kontaktbeschränkungen. Diese Maßnahmen gibt es jetzt kaum noch. Rechnen Sie deshalb mit einer Grippewelle in diesem Winter, wie es vor Corona normal war?

Carsten Watzl: Was man sagen kann, ist, dass wir diesen Winter wahrscheinlich wieder eine Grippewelle haben werden. Wie stark sie sein wird, ist ein bisschen schwer vorherzusagen. In Australien ist die Grippewelle jetzt schon vorbei. Dort hat die Grippewelle zwar etwas früher und ein bisschen steiler angefangen, aber letztendlich war das eine Grippewelle wie in den Vorjahren auch, also nichts Besonderes. Davon würde ich im Moment auch ausgehen, dass wir jetzt wieder Grippefälle sehen werden. Man kann nur hoffen, dass es nicht zu stark wird.

Corona-Stoffmasken stapeln sich auf einer gelben Unterlage. (Foto: IMAGO, IMAGO / Panthermedia)
Corona-Schutzmaßnahmen wie das Tragen von Masken hat eine Grippewelle in den vergangenen Wintern zurückgehalten.

STIKO empfiehlt Grippe-Impfung für Menschen über 60

Jochen Steiner: Die Menschen, die besonders gefährdet sind, sind dieselben, die vor Corona wahrscheinlich auch schon gefährdet waren, oder?

Carsten Watzl: Das ist richtig. Auch bei der Grippe gibt es eine Empfehlung der ständigen Impfkommission (STIKO), dass sich alle Personen ab 60 Jahren impfen lassen sollen. Diese Impfsaison gegen Grippe fängt jetzt gerade an. Man kann jetzt zu seinem Hausarzt gehen und sich diese Grippe-Impfung abholen.

Zusätzlich gilt das auch für Leute, die sehr viel Kontakt mit anderen Menschen haben. Auch sie sollten sich impfen lassen, gerade auch Leute im Gesundheitswesen. In den letzten Jahren haben sich immer sehr wenig Leute gegen Grippe impfen lassen. Daher kann man diese Empfehlung jetzt nur wiederholen.

Eine Spritze wird aus einer Ampulle aufgezogen. (Foto: IMAGO, IMAGO / Bihlmayerfotografie)
Die STIKO empfiehlt eine Grippe-Impfung für Menschen über 60 Jahre, Risikopatienten und Menschen mit viel Kontaktpersonen.

Gleichzeitige Infektion mit Corona und der Grippe ist unwahrscheinlich

Jochen Steiner: Kann es eigentlich passieren, dass ich mich mit Corona und mit Grippe zeitgleich anstecke?

Carsten Watzl: Das ist eher seltener der Fall. Das hängt damit zusammen, dass unser Immunsystem, wenn man sich mit einem Virus infiziert hat, unspezifische Abwehrmechanismen aktiviert. Die begrenzen dann die spezifische Virusinfektion, die man gerade hat. Aber die Mechanismen machen es auch viel schwieriger, dass man sich zeitgleich mit einem zweiten Virus infiziert. Das heißt für die einzelne Person ist es eher unwahrscheinlich, dass sie sich zeitgleich mit Grippe und Corona infiziert.

Aber als Gesellschaft könnten wir mit der Überlappung schon ein Problem kriegen, wenn die eine Hälfte der Gesellschaft sich mit Corona und die andere mit Grippe infiziert. Dann könnten die Krankenhäuser doch wieder an ihre Belastungsgrenze stoßen.

Schutz der Grippe-Impfung variiert

Jochen Steiner: Genau und das Pflegepersonal und Ärztinnen und Ärzte, die können ja auch krank werden. Und dann haben wir, glaube ich, doch wieder ein Problem.

Carsten Watzl: Richtig, deshalb gibt es die ganz klare Empfehlung, sich gegen die Grippe impfen zu lassen, auch jetzt. Der Schutz des Grippe-Impfstoffs ist aber immer ein bisschen schwer vorherzusagen. Denn hier wird eine Vorhersage getroffen, welche Grippeviren uns denn in der nächsten Saison Probleme bereiten könnten. Die werden dann in den Impfstoff gepackt. Und in manchen Saisons ist die Vorhersage relativ gut, in anderen eher schlechter. Das ist immer noch ein Unsicherheitsfaktor.

Professor Watzl erwartet normale Grippe-Saison

Jochen Steiner: Wie sind Ihre ganz persönlichen Einschätzungen für den kommenden Herbst und Winter mit Blick auf Corona und die Grippe?

Carsten Watzl: Ich glaube, mit Blick auf Corona haben wir das Gröbste wirklich hinter uns. Wir wissen, dass wir eine sehr hohe Immunität in der Bevölkerung haben. Das heißt, es werden sich vielleicht noch viele Leute infizieren, aber nicht mehr sehr viele Leute schwer krank werden. Das ist letztendlich dann die Definition, dass die Pandemie bei uns wahrscheinlich eher am Ende ist und dieser endemische Zustand erreicht wird.

Bei der Grippe werden wir wieder eine ganz normale Saison haben. Man kann nur hoffen, dass jetzt nicht Corona und Grippe beide einen schlimmen Winter machen. Davon gehe ich aber im Moment nicht aus. Aber das sind zwei Atemwegsinfekte, die jeden Winter auch uns und das Gesundheitssystem belasten können.

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