Gendermedizin

Medikamente werden seltener an Frauen getestet

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David Beck
Bild von David Beck, Reporter und Redakteur SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Impuls. (Foto: SWR, Ilyas Buss)
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Merle Janssen

Um Schwangere oder Stillende keinem Risiko auszusetzen, werden sie oft von Medikamenten-Studien ausgeschlossen. Die Medikamente sind dann aber eigentlich nicht für sie zugelassen. Fast immer wird in der Medizin von einem “Einheitsmenschen” ausgegangen – und der ist ein Mann.

Die Hürden für die Zulassung von Medikamenten und Impfstoffen sind hoch. Jeder Wirkstoff muss einen Prozess aus klinischen Studien durchlaufen. Darin werden Sicherheit, Dosierung und Wirksamkeit der Arzneimittel untersucht. Behörden erteilen nur dann eine Zulassung, wenn die Nebenwirkungen vertretbar sind und das Medikament wirksam ist. Es ist auch nur für diejenigen Gruppen zugelassen, die in den Studien untersucht wurden. 

Schutzbedürftige Patient:innen von Studien ausgeschlossen

Besonders schutzbedürftige Patientengruppen nehmen aber selten an solchen Studien teil. Diese sogenannten vulnerablen Patienten würde man in Studien ausschließen, sagt Andreas Grund. Er führt mit seiner Firma GCP Services in Bremen klinische Studien im Auftrag von Arzneimittelherstellern durch. 

Bei dem Ausschluss vulnerabler Gruppen geht es nicht nur um die Sicherheit der Probandinnen und Probanden selbst, sondern auch um junges, ungeborenes oder sogar noch gar nicht existentes Leben. Deswegen sind viele dieser Schutzbedürftigen Frauen. “Nämlich alle Schwangeren, alle Stillenden und aber auch alle gebärfähigen Frauen. Insbesondere, wenn sie nicht in besonderem Maße verhüten möchten”, erklärt Grund.

Studien nur mit Frauen, die doppelt verhüten

Meistens werden Frauen sogar nur dann in klinische Studien eingeschlossen, wenn sie doppelt verhüten. Denn in dieser Phase der Medikamenten-Entwicklung liegen meist noch keine Daten dazu vor, ob das Medikament fruchtschädigend, also schädlich für das ungeborene Kind ist. 

Doppelt verhüten bedeutet in der Regel: Pille und Kondom. Ungewollt führt das aber dazu, dass eine weitere Gruppe aus den Studien ausgeschlossen wird: Frauen, die einen natürlichen, von Verhütungshormonen unbeeinflussten Zyklus haben. In seiner Firma schätzt Grund den Anteil der männlichen Probanden auf 70 - 80 Prozent.

Dadurch, dass ich diese große Patientenpopulation ausschließe, behandle ich in jeder Studie eigentlich überwiegend Männer.

Klinische Studien häufig mit Männern, selten mit Schwangeren (Foto: IMAGO,  imago/Jochen Tack)
Ungewollte Männerdomäne: Bei klinischen Studien ist der überwiegende Teil der Probanden männlich.

Das führt dazu, dass diese Medikamente dann eigentlich nicht für Frauen zugelassen sind. Aber oft haben Ärztinnen und Ärzte keine andere Wahl, als ihre Patientinnen trotzdem damit zu behandeln, weil es an Alternativen fehlt. Eine falsche Dosierung könne die Folge sein, meint Andreas Grund.

Je nachdem, wie gut ausgebildet ein Arzt ist, wie wissenschaftlich er auch geprägt ist, wird er richtig dosieren, annähernd an der richtigen Dosierung, oder auch nicht. Und dann kann’s natürlich zu heftigen Nebenwirkungen kommen.

Paradoxerweise führt also der gute Wille, besonders gefährdete Personengruppen zu schützen, dazu, dass sie besonders wenig Schutz erfahren: Anstatt innerhalb einer streng reglementierten und überwachten Studie werden den Patientinnen Medikamente sozusagen auf gut Glück verabreicht – ohne dass klar ist, wie diese sich auf ihren Organismus auswirken oder wie sie dosiert werden müssen.

Klinische Studien häufig mit Männern, selten mit Schwangeren (Foto: IMAGO, imago images/Indiapicture)
Wie muss ein neues Medikament für Schwangere dosiert sein? Weil Medikamente vor der Zulassung selten an Schwangeren getestet werden, fehlen dazu anfangs Erkenntnisse.

Pharmaindustrie nicht allein in der Verantwortung

Studien, bei denen vulnerable Patienten einem Risiko ausgesetzt werden könnten, würden zuständige Ethikkommissionen und Behörden jedoch nicht genehmigen oder befürworten, sagt Grund; mit ethischen, moralischen oder berufsrechtlichen Argumenten. "Selbst wenn eine Pharmafirma sagen würde, das wäre jetzt wichtig, das zu wissen, würde diese Studie wahrscheinlich gar nicht starten können." Wird keine Studie durchgeführt, kommt das Medikament nicht auf den Markt. Andreas Grund sieht darin ein Dilemma.

Und damit nicht genug: Würde es zur Pflicht, Medikamente zusätzlich auf den weiblichen Organismus zu testen, würde sich die Zulassung verzögern und so der Leidensdruck aller steigen, die das Medikament benötigen. 

Vorschlag: Zusätzliche Studien speziell für Frauen

Andreas Grund fordert deshalb, dass zunächst bei den Behörden ein Umdenken stattfinden muss. Nach der eigentlichen Zulassung könnten sie zum Beispiel eine weitere Studie, speziell für Frauen, von den Pharmaunternehmen verlangen.

Bei anderen Gruppen ist das schon der Fall, so gibt es zum Beispiel spezielle Kinderstudien. Denn schon länger ist klar: Kinder haben ihren eigenen Organismus mit Besonderheiten, die es zu beachten gilt. Sie sind nicht einfach kleine Erwachsene. Aber Frauen seien auch keine weiblichen Männer, so Grund.

Frauen sind halt auch keine weiblichen Männer. Aber genau so werden Medikamente auf den Markt gebracht. Wir haben überwiegend Männerdaten gesammelt und trotzdem behandeln wir viele Frauen und dann passt das Nutzen-Risiko-Profil halt nicht mehr hundertprozentig.

Würde es spezielle Studien für Frauen geben, dann könnten Patientinnen, die diese Medikamente dringend brauchen, sicher behandelt werden. Zunächst in einem geschützten Rahmen einer wissenschaftlichen Studie. In der Folgezeit gäbe es für behandelnde Ärztinnen und Ärzte genug Informationen, um Medikamente sicher zu verabreichen – auch an Frauen.

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Bild von David Beck, Reporter und Redakteur SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Impuls. (Foto: SWR, Ilyas Buss)
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